RZ-Leitartikel: Osama bin Laden ist tot, nicht aber der internationale Terrorismus

Das ist eine gute Nachricht: Osama bin Laden ist tot. Der Top-Terrorist hat die Welt verändert wie kaum ein einzelner Mensch zuvor. Er hat sie misstrauischer, grausamer und gefährlicher gemacht. Aber die Welt wird durch seinen Tod nicht automatisch besser werden – diese gewaltige Aufgabe steht den Terroristenjägern noch ins Haus.

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Das ist eine gute Nachricht: Osama bin Laden ist tot. Der Top-Terrorist hat die Welt verändert wie kaum ein einzelner Mensch zuvor. Er hat sie misstrauischer, grausamer und gefährlicher gemacht. Aber die Welt wird durch seinen Tod nicht automatisch besser werden – diese gewaltige Aufgabe steht den Terroristenjägern noch ins Haus.

Osama bin Laden hat den Terrorismus nicht erfunden. Er hat ihn jedoch in eine neue Dimension gebombt. Der Einschlag der Flugzeuge ins World Trade Center am 11. September 2001, weltweit live im Fernsehen übertragen, war der flammende Beweis: Hier geht es nicht um irgendwelche Forderungen, über die in Verhandlungen zu reden wäre. Nein. Hier geht es um alles oder nichts, hier sollen Regierungen gestürzt, Staatssysteme zerstört und islamistisches Recht mit Gewalt durchgesetzt werden.

Amerika unter George Bush reagierte auf diese Bedrohung reflexhaft mit Krieg. Krieg gegen den Terror. Die USA riefen gleich nach „9/11“ den globalen Notstand aus, marschierten in Afghanistan und bald darauf im Irak ein – aber immer noch fehlen die durchgreifenden Erfolge. Schlimmer noch: Die USA verspielten ihr Ansehen als Hort der Menschenrechte und Verteidiger demokratischer Werte, weil die Soldaten im Irak keine Massenvernichtungswaffen fanden, weil im Namen der Freiheit gefoltert wurde und Unschuldige starben.

Doch auch bin Laden hat sein Ziel weit verfehlt – sogar in der muslimischen Welt. Dort wollte er die Verbündeten der USA auf seine Seite zwingen; das von ihm und seinen Taten aufgestachelte Volk sollte amerikafreundliche Regierungen stürzen. Dass Pakistan gemeinsam mit dem angeblichen Todfeind den finalen Schritt gegangen ist, wird als starkes Symbol des Scheiterns von bin Laden in die Geschichte eingehen.

Osama bin Laden ist tot, aber sein Terrorismus lebt weiter. Bis heute gelingt es nicht, dieses Hassgewächs an den Wurzeln zu packen. Diese Art von Terror entwickelt sich als dunkle Seite der Globalisierung. Er bewegt sich außerhalb aller Grenzen, auch wenn er sogenannte „Schurkenstaaten“ als Standorte für Ausbildung und Ausrüstung nutzt. Diplomatie und Friedensverhandlungen sind ihm fremd. Was sollte da auch verhandelt werden? El Kaida begründet den Kampf lediglich mit einer weltweiten Bedrohung des Islams.

Das Terrornetzwerk macht sich im Internet breit, findet seine Heimat in vielen Ländern – in muslimischen Gemeinden der westlichen Welt ebenso wie in islamischen Nationen, in denen der Fundamentalismus auf einer Mischung aus Elend, Unwissenheit und mittelalterlicher Rechtsauffassung gedeiht. Das wird noch befeuert von einer Politik des Westens, der militärische Einsätze auch mit dem unstillbaren Durst auf nahöstliches Öl begründet und den ungehinderten Zugriff auf diese Ressourcen verteidigen will. Weltweit, vernetzt, ohne greifbare Forderungen, brutal und opferbereit jenseits aller westlichen Vorstellungskraft – auf diese neue Art des Terrors gibt es keine komplett kriegerische Antwort – das erfährt die Bundeswehr jeden Tag in Afghanistan.

Deutschland betrachtet die terroristische Bedrohung eher als kriminalistisches, geheimdienstliches Thema – durchaus mit einigem Erfolg, wie die Verhaftungen kurz vor dem Schlag gegen bin Laden beweisen. Das ist aber eng verbunden mit Datensammelei und Lauschangriffen. Deshalb muss ständig neu darüber diskutiert werden, wie weit man die Bürgerrechte einschränken darf, um sie zu verteidigen.

Der eher polizeiliche Ansatz mag genügen, einem Land das Gefühl der Sicherheit zu geben. Aber er kann – wie der militärische Einsatz – den Terrorismus nicht ausrotten. Dazu braucht es zusätzlich Entwicklungshelfer, die das Elend in vielen arabischen Nationen bekämpfen; Sozialarbeiter und gute Lehrer, die Migranten in die Gesellschaft der westlichen Wohlstandsstaaten integrieren; offene Regierungen, die mit mehr Bildung auch Transparenz vermitteln; Muslime, die ihren Landsleuten den Mut geben, Freiheit, Menschenrechte und Demokratie zu erkämpfen, wie momentan in Nordafrika und Arabien. Und nur im Notfall sind zusätzlich auch Soldaten nötig, die im Auftrag der Vereinten Nationen da angreifen, wo der Terror sich ganze Regionen unter den Nagel gerissen und deren Bevölkerung in Geiselhaft genommen hat.

Der Einsatz gegen Osama bin Laden war eine kriegerische Aktion. Auch wenn der Mann schon längst nicht mehr all das überblickte, geschweige denn steuerte, was in seinem Namen passierte – er war immer noch die Leitfigur des globalen Terrorismus, er verfügte immer noch über Streit-Macht, und er hat tausendfachen Terror verursacht. Deshalb mussten Krieger nach Pakistan, keine Kriminalpolizisten.

Die globale Bedrohung endet ganz sicher nicht mit dem Tod dessen, der sie ausgelöst hat. Dieser Tag ist insbesondere für die Amerikaner ein Tag der Gerechtigkeit, auf den sie fast zehn Jahre gewartet haben – immer wieder die Bilder der brennenden Türme vor Augen. Hoffen wir, dass es der letzte kriegerische Akt war gegen den kriegerischen Akt des Angriffs auf New York vor zehn Jahren. Denn für eine bessere Welt sind dauerhaft andere Methoden erforderlich, als Gleiches mit Gleichem zu vergelten.

Y E-Mail: joachim.tuerk@rhein-zeitung.net