RZ-KOMMENTAR: Die CDU modernisiert sich beinahe bis zur Unkenntlichkeit

Abschaffung der Atomkraft, Aussetzung der Wehrpflicht, Abschied vom dreigliedrigen Schulsystem, Öffnung hin zum Mindestlohn und jetzt auch noch Akzeptanz der Homo-Ehe: Wer so richtig konservativ ist, kann sich in der CDU eigentlich nicht mehr wohl fühlen.

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Zu viele Positionen, die lange Jahre zum christdemokratischen Selbstverständnis gehörten, wurden in jüngster Zeit sang- und klanglos geräumt. CDU-Bundesparteichefin und Kanzlerin Angela Merkel hat ihre Partei einem beispiellosen programmatischen Wandel unterworfen. Unter ihrer Führung ist die CDU zu einer pragmatischen Volkspartei der gesellschaftlichen Mitte geworden, die wenig ideologischen Ballast mit sich herumschleppt. Merkels Gegner indes würden diesen Umstand anders formulieren: Für sie hat die ostdeutsche Physikerin den Identitätskern der CDU geschwächt.

Die Aufwertung der Homo-Ehe wäre nur ein weiterer Baustein im Gebäude christdemokratischer Politik, dessen Fundamente zunehmend dem gesellschaftlichen Wandel Rechnung tragen. Werden homosexuelle Lebenspartner mit der Ehe gleigestellt, verabschiedet sich die CDU von der besonderen Privilegierung von Ehe und Familie. Diese hat aber seit ewigen Zeiten zum Grundbestand konservativer Programmatik gehört. Sich davon zu trennen, wäre eine Zäsur, die selbst in der Kanzler-(Wahl-)Partei CDU ein lautes Grummeln auslösen würde.

Fakt ist aber auch: Beharrt die CDU auf der einseitigen Privilegierung der Ehe (etwa im Steuerecht), verliert sie nicht nur den Anschluss an die gesellschaftliche Realität, sondern läuft auch Gefahr, in Konflikt mit dem Bundesverfassungsgericht zu geraten. Dort fährt der Zug in Richtung Gleichberechtigung, wie das Urteil zum Adoptionsrecht homosexueller Paare vor wenigen Tagen bewiesen hat.

Die gegenteilige Position ist auch schwer zu begründen. Wer in einer eingetragenen Partnerschaft (Homo-Ehe) lebt, kommt für seiner Partner in allen Lebenslagen auf, also muss er auch alle Rechte haben. Alle anderen Regelungen wirken reichlich konstruiert. Der Staat sollte Menschen entgegenkommen, die im liebenden Miteinander füreinander Verantwortung tragen. In Deutschland im Jahr 2013 ist längst nicht mehr allein die klassische Familie die Keimzelle der Gesellschaft. Das muss nicht jeder gut finden, man kann es aber auch nicht leugnen.

Die CDU will mit ihrem Vorstoß zur Homo-Ehe natürlich auch ein potenzielles Wahlkampfthema abräumen. Entscheidet das Bundesverfassungsgericht noch im Sommer – wie erwartet – über das Ehegattensplitting für homosexuelle Partnerschaften, wäre die heikle Debatte kurz vor der Bundestagswahl losgebrochen. Das wollen die Strategen im Konrad-Adenauer-Haus natürlich vermeiden. Ihr Glück ist das hohe Ansehen von Kanzlerin Merkel – innerhalb und außerhalb der CDU. Sie kann ihrer Partei eine solche Modernisierung verordnen, ohne dass es die Christdemokratie letztlich innerlich zerreißt. Das ist auch deswegen so, weil der konservative Flügel so schwach wie selten zuvor dasteht. Und natürlich, weil die Christdemokraten im Moment vor allem an Angela Merkel glauben. Die Frage ist nur, was von der christdemokratischen Partei bleibt, wenn die Ära der großen Vorsitzenden vorüber ist. Eine CDU auf der Höhe der Zeit? Oder eine CDU ohne tragfähige Überzeugungen?

E-Mail: dietmar.brueck@rhein-zeitung.net