Brüssel

Reaktionen: Grundsatzrede stößt als „Erpressungsversuch“ nicht nur in Brüssel auf wenig Zustimmung

Londons Premier David Cameron spielt mit dem Feuer: Er strebt eine EU à la carte an. Das bedeutet: Großbritannien will weitgehende Mitspracherechte behalten, aber seine Pflichten auf ein Minimum reduzieren.

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Man könnte auch sagen: Ja zur profitablen Freihandelszone, nein zu den Pflichten einer Schicksalsgemeinschaft und politischen Union. Andersherum gesprochen bedeutet das: Wollen die Partner London keinen solchen Sonderstatus zubilligen und die Verträge entsprechend ändern, treiben sie die Briten in Richtung „bye-bye Europe“.

Das ist nichts anderes als Erpressung. Entsprechend kühl fielen die Reaktionen auf die Rede aus – die vor allem der innenpolitischen Befriedung diente. Eine klare Abfuhr kam vom Präsidenten des Europaparlaments, Martin Schulz (SPD): „Camerons Europa à la carte ist keine Option.“ Cameron sei „ein Zauberlehrling, der die Geister, die er rief, nicht mehr beherrscht“.

Der Wunsch, aus den EU-Verträgen nur die den Briten genehmen Teile herauszupicken, schaffe „einen gefährlichen Präzedenzfall“ und könnte „zu Desintegration und zum Zerfall der Gemeinschaft führen“. Auch Bundesaußenminister Guido Westerwelle mahnte: „Eine Politik der Rosinenpickerei wird nicht funktionieren.“ Europa sei eine Schicksalsgemeinschaft, die mehr und nicht weniger Integration brauche. Kanzlerin Angela Merkel zeigte immerhin Bereitschaft, „über britische Wünsche zu sprechen“.

Frankreichs Außenminister Laurent Fabius kritisierte die Pläne als „gefährlich“. Europa sei wie ein Fußballverein. „Man tritt diesem Klub bei, aber wenn man einmal drinnen ist, kann man nicht sagen: ,Ich spiele jetzt Rugby.'“ Luxemburgs Premier Jean-Claude Juncker erteilte Camerons Vorhaben ebenfalls eine Absage.

„Es kann und darf keine Mitgliedschaft verschiedener Klassen, unterschiedlicher Intensität und Qualität geben.“ Grünen-Ikone Daniel Cohn-Bendit mahnte: „Die EU darf nicht zulassen, dass Cameron das Referendum als Erpressungsmaschine verwendet, um immer mehr Sonderregelungen zu erzwingen. Das europäische Projekt darf nicht zum Schweizer Käse verkommen.“

Die Regierung der Niederlande mahnte: „Die EU reformiert man von innen heraus und nicht durch Weglaufen.“ Kommissionspräsident José Manuel Barroso schwieg demonstrativ. Lediglich Tschechiens Regierungschef Petr Necas fand versöhnliche Worte: „Wir teilen die Sicht des Vereinigten Königreichs, dass Europa flexibler sein sollte und offener.“ Begeisterung klingt anders. Die Insel steht längst mit einem Fuß außerhalb der Gemeinschaft, hat jede Menge Extrawürste. Auf seine Zahlungen ins Brüsseler Budget bekommt London einen Rabatt, den Maggie Thatcher einst durchsetzte („Ich will mein Geld zurück“).

Bei der Reisefreiheit im Schengen-Raum ist Großbritannien außen vor. London kontrolliert weiter Ausweise an den Grenzen. Merkels Fiskalpakt für mehr Haushaltsdisziplin setzen die Briten nicht um, bei der Finanztransaktionsteuer sind sie nicht dabei, viele Regulierungen für die Finanzbranche blockierten oder verwässerten sie. Bei der EU-Grundrechtecharta sicherten sie sich ein opt-out („Ausstiegsklausel“), beim Euro dürfen sie draußen bleiben, bei der Justizund Innenpolitik hat London Sonderkonditionen ausgehandelt und will sich aus rund 130 Gesetzen verabschieden.

Von unserer Brüsseler Korrespondentin Anja Ingenrieth