Becherbach

„Pulver-Kurt“ hätte ganz Becherbach sprengen können

Dieses Wochenende werden die rund 550 Becherbacher so schnell nicht vergessen. Bis Freitag war der Ort bei Meisenheim im Kreis Bad Kreuznach allenfalls für seine riesigen Windräder auf dem Roßberg bekannt – oder auch nicht.

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Becherbach. Dieses Wochenende werden die rund 550 Becherbacher so schnell nicht vergessen. Bis Freitag war der Ort bei Meisenheim im Kreis Bad Kreuznach allenfalls für seine riesigen Windräder auf dem Roßberg bekannt – oder auch nicht. Inzwischen ist er bundesweit in den Schlagzeilen. Seine Bewohner saßen buchstäblich auf einem Pulverfass.

Ein Hundsbacher Rentner hatte seit Jahren mitten im Dorf in einer angemieteten Scheune ein ganzes Waffenarsenal gebunkert. In Becherbach war dies wohl ein offenes Geheimnis: Der Rentner (62) war als „Pulver-Kurt“ bekannt. Was niemand ahnte: In der Scheune lagerten auch 40 Kilogramm extrem gefährlicher Sprengstoff in zwei unscheinbaren Kisten mit der Aufschrift „Nobel, Actiengesellschaft.“ Den Experten war schnell klar: Ein Transport ist viel zu riskant.

Roboter bergen die Kisten

Danach herrscht am Freitagabend zunächst Ratlosigkeit. Soll das ganze Dorf sofort evakuiert werden. Oder nur jene, die in unmittelbarer Nähe der Scheune leben? Viele Betroffene sitzen bereits auf gepackten Koffern. Mal werden sie beruhigt, dann folgt wieder die Aufforderung, rasch zu packen. Ein Hin und Her. Bis schließlich die klare Ansage folgt: Die ersten Familien müssen das Dorf verlassen. Ferngelenkte Roboter bergen die beiden Kisten am Samstag. Bis dahin muss auch der Rest der Einwohner die Koffer packen. Längst sind erste Schaulustige eingetroffen. Sie brauchen Geduld.

Schon die Schriftweise „Nobel, Actiengesellschaft“ mit „c“ deutet darauf hin, dass der Sprengstoff in den beiden Kisten alt ist. Er wird nach bangem Warten am Samstag um 18.19 Uhr in der Dämmerung auf freiem Feld von Experten des LKA in die Luft gejagt. Die Explosion hören Spaziergänger noch in 20 Kilometern Entfernung.

Ob es Nitroglyzerin war? „Pulver-Kurt“ schweigt. Die beiden Sprengmeister – ein Mann und eine Frau – sind nach dem Einsatz körperlich und seelisch am Ende. Doch die Einsatzleitung applaudiert ihnen erleichtert. Nur zwei Glastüren an der 300 Meter entfernten Friedhofshalle gingen zu Bruch. Weder Mensch noch Tier kamen zu Schaden.

„Meinen rund 500 Schweinen geht es gut“, kann Züchter Kai Paul (30) berichten. Obwohl auch sein Eigentum bedroht war, hat er seinen Dienst in der freiwilligen Feuerwehr verrichtet. In der Nacht zum Samstag kam beim Nachbarn gegen 4 Uhr ein Kalb zur Welt. Der 74-jährige Bauer freut sich darüber und ärgert sich zugleich. Der Evakuierungsbesuch der Feuerwehr traf ihn ausgerechnet beim „Wurstmachen“: „Als die Brühe kochte, mussten wir weg und alles ins Kühlhaus bringen.“ Es hätte schlimmer kommen können.

Die Einsatzkräfte ernten viel Lob: „Eine rundum gelungene, ungewöhnliche Aktion“, meint Verbandsbürgermeister Alfons Schnei-der. Einen Ort in gut drei Stunden komplett zu räumen, sei eine Herausforderung, die man hervorragend gemeistert habe, sind Feuerwehr und DRK zufrieden.

Weiteres Anwesen durchsucht

Zufrieden sind am Sonntagmorgen auch die Heimkehrer, die während ihres Exils von Verwandten, Freunden und zum Teil auch im Krankenhaus Meisenheim umsorgt wurden. Der Ort füllt sich rasch mit Leben, es gibt viel zu bereden.

Noch während am Samstag der Großeinsatz in Becherbach läuft, durchsucht die Polizei ein weiteres Anwesen in Hundsbach, das „Pulver-Kurt“ gehört. Wie die Polizei bei der Abschlusspressekonferenz mitteilt, hätten die Beamten das Gebäude mit äußerst mulmigem Gefühl betreten. Sie waren darauf gefasst, noch mehr Waffen zu finden. Doch da war nichts. Eine Dorfevakuierung ist an diesem Wochenende auch genug.

Von unserem Mitarbeiter Martin Köhler