Bremen

Ob Silbereisen oder Tote Hosen: Weihnachts-CDs gibt's von besinnlich bis abgefahren

Weihnachtsbaum
Foto: DPA

„Süßer die Glocken nie klingen“, „Last Christmas“ oder „O Tannenbaum“: Zu Weihnachten dudeln wieder die altbekannten Festtagssongs aus allen Boxen. Dabei gibt es viele neue und interessante Platten passend zum Advent. Eine Auswahl.

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Bremen – Die „Florian Silbereisen Weihnachts-Gala“ steht 2011 im Verkaufsregal ganz weit vorne, als wäre nichts geschehen. Dabei präsentierten Die Toten Hosen als „Die roten Rosen“ bereits 1998 unter dem Titel „Wir warten auf's Christkind“ ein „Album für alle, die nach der Bescherung noch durchdrehen wollen“.

Falls jemand schon vorher durchdrehen möchte, kann er das in diesem Jahr mit „Heaven sings X-Mas Volume 2 – Süßer die Glocken nie klingen“ erledigen. Hinter dem unschuldigen CD-Titel verbirgt sich die Osnabrücker Comedy-Showkapelle Die angefahrenen Schulkinder. Wer glaubt, diese total abgefahrenen Komiker wollten mit ihren herzlos rausgeschnauzten Christmas-Songs eine ungetrübte Weihnachtsfreude verbreiten, möge sich das Veröffentlichungsdatum der CD anschauen: 11.11.2011, 11:11 Uhr – also genau der Zeitpunkt, an dem die Kölner Narren ihre Jahrtausend-Session eröffneten.

Erst bei mehrfachem Hinhören als bodenlose, aber großartige Frechheit erkennbar wird „Es begab sich“ (MV-Klassik/NRW-Vertrieb). Der Saxophonist Gabriel Coburger begab sich dafür mit dem Organisten Claus Bantzer auf eine – wie sie es nennen – „improvisatorische Fahrt, ohne den Weg und das Ziel zu kennen“. „Maria durch ein Dornwald ging“ und andere fromme Weisen wurden von dem Duo mit Schalk im Nacken und mit wohldosiertem Avantgarde-Feeling interpretiert. Diese Weihnachtsplatte empfinden manche Hörer sicher als lasterhaft. Doch bei den Jazz-Fans lösen Coburger und Bantzer jenes Versprechen ein, das der Klarinettist Tony Scott 1964 mit seiner „Music for Zen Meditation“ gab.

Genau den umgekehrten Weg wählte Ralph Rousseau für „On Christmas Night“ (Challenge/Sunny Moon). Auf seiner Viola da Gamba spielt er mit der Attitüde eines spätmittelalterlichen Jahrmarktsmusikanten solche X-Mas-Immergrüns wie „Jingle Bells“ oder „White Christmas“. Diese CD ist ein ideales Geschenk für Klassik-Fans, die immer noch glauben, Alte Musik – und dann auch noch gespielt auf historischen Instrumenten – dürfe keinen Spaß machen.

Hille Perl ist bereits ein Weltstar der Alte-Musik-Szene. Die Gambistin weiß, was sie ihren Fans schuldig ist, wenn sie eine Weihnachts-CD einspielt. Für „Verleih uns Frieden gnädiglich“ (Sony) interpretierte sie zusammen mit dem Lauten-Spieler Lee Santana mehrere bislang unverbrauchte Repertoire-Schätze des 16. und 17. Jahrhunderts ganz ohne einen Hauch von falscher Sentimentalität.

„Putumayo presents Celtic Christmas“ (Exil/Indigo) drückt da schon eher auf die Tränendrüse. Das New Yorker Weltmusik-Label Putumayo präsentiert auf diesem Sampler weihnachtliche Heimwehklänge für die über alle Kontinente verstreuten Nachfahren irischer Auswanderer. Doch spätestens bei „Nollaig Bhan“, einem gälisch gesungenen „White Christmas“, fühlen sich die Nicht-Iren ebenfalls wohl in diesem Irish-Folk-Musikantenstadl.

Weihnachtszeit ist auch Gospel- und Spiritual-Time. Der aktuelle Geschenktipp für dieses Genre heißt „Sing Freedom“ (harmonia mundi). Pop- und Jazz-Fans, die hier ein frommes Gegröle erwarten, werden enttäuscht – und zwar angenehm. Conspirare, ein Kammerchor aus Austin (US-Bundesstaat Texas), interpretiert hier „Swing Low, Sweet Chariot“ und andere afro-amerikanische Spirituals ohne hörbare Verzückung, aber mit hauchfeinem Zartgefühl und mit virtuos zurückgenommener Inbrunst.

Doch der Mensch lebt nicht von Musik allein. Also bat Klaus Lage, die Reibeisen-Stimme mit Sozialarbeiter-Image, den Wolfgang Niedecken, Hannes Wader und andere Kumpel um scharfkantige Wortbeiträge zum Thema „Weihnachtsblues“ (Random House Audio). Das Ergebnis dieser besinnlichen bis besinnungslosen Session war ein Hörbuch für Mitmenschen, die den 24. Dezember am liebsten aus ihrem Kalender streichen möchten.

Macht nix. Denn für alle übrigen Weihnachts-CD-Fans steht ja noch die „Florian Silbereisen Weihnachts-Gala“ im Verkaufsregal. Und zwar ganz weit vorne. Winfried Dulisch