Washington

NSA: Experten empfehlen radikale Reform

Demonstrationen gegen die Abhörmaßnahmen der NSA: Ex-Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden (auf dem Plakat links) ist inzwischen ein Symbol für die Aufklärung der US-Überwachungsstrategien.
Demonstrationen gegen die Abhörmaßnahmen der NSA: Ex-Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden (auf dem Plakat links) ist inzwischen ein Symbol für die Aufklärung der US-Überwachungsstrategien. Foto: picture alliance

„NSA, ihr seid zu weit gegangen“, bringt es Patrick Leahy auf den Punkt. Leahy ist ein altes Schlachtross aus dem liberalen Vermont, ein Parlamentsveteran, der seit Langem für den Schutz der Privatsphäre kämpft. Die Botschaft, frohlockt Leahy, komme nun sogar von der Regierung selbst.

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Von unserem USA-Korrespondenten Frank Herrmann

Es sind 308 eng bedruckte Seiten, auf denen eine fünfköpfige Expertenkommission empfiehlt, wie sie eingedämmt werden soll, die Sammelwut von Big Brother – so hat Edward Snowden die National Security Agency in allen Details porträtiert. Manches davon kann der Staatschef sofort umsetzen, anderes muss erst vom Kongress debattiert und beschlossen werden. Ob der Studie wirklich einschneidende Gesetze folgen – Rand Paul, der konservativ-libertäre Senator aus Kentucky sieht es skeptisch: „Ich bin lange genug in Washington, um zu wissen, dass es wohl mit Schaufensterdekoration endet, wenn ein Problem gelöst werden soll.“ Aus dem Weißen Haus heißt es, Barack Obama wolle das Papier im Weihnachtsurlaub auf Hawaii in aller Ruhe studieren, bevor er im Januar eine Grundsatzrede zum Thema NSA halte. Der Präsident sei offen für viele Korrekturen. Was im Umkehrschluss bedeutet: nicht für alle.

Obama selbst erteilte Auftrag

So ungewiss die praktischen Folgen noch sind: Was die Verfasser der Studie zu bedenken geben, haben viele in dieser Deutlichkeit nicht erwartet. Zum einen war es Obama selbst, der den Prüfauftrag erteilte. Zum anderen stehen die drei prominentesten Autoren dem Regierungsapparat so nahe, dass sich mancher dezidiert kritische Töne kaum vorstellen konnte. Richard A. Clarke diente Bill Clinton und George W. Bush als oberster Antiterrorberater. Michael Morell saß in den Führungsetagen der CIA, zuletzt als Vizedirektor. Und Cass Sunstein, Rechtsprofessor in Harvard, war im Kabinett Obama eine Weile für den Verbraucherschutz zuständig. Der demokratische Senator Ron Wyden, einer der schärfsten Kritiker der Lauschoffensive, äußert sich jedenfalls positiv überrascht: „Das wären substanzielle Reformen.“

Am schwersten wiegt der fünfte der 46 Vorschläge, der dringende Rat, das systematische Sammeln der Verbindungsdaten amerikanischer Telefonkunden neuen Regeln zu unterwerfen. Es handelt sich um das erste Geheimprogramm, das Edward Snowden im Juni aufdeckte. Unter allen Enthüllungen hat es in den USA für den kräftigsten Wirbel gesorgt, weit mehr als Prism, das Ausspähen von Ausländern im Internet. Momentan werden sogenannte Metadaten, aus denen hervorgeht, wer mit wem telefoniert und wie lange, fünf Jahre lang lückenlos in den Computerzentren des Abhörgeheimdiensts gespeichert. Keith Alexander, der Viersternegeneral an der Spitze der NSA, vergleicht das Archiv gern mit dem sprichwörtlichen Heuhaufen, der sich nach der Stecknadel durchsuchen lässt, eben auch nachträglich.

In Zukunft soll der Geheimdienst nicht mehr automatisch auf die Datenmasse zugreifen können. Einzig die Telefongesellschaften – oder aber ein noch zu gründendes privates Konsortium – sollen sie aufbewahren. Das heißt, die Administration müsste bei konkreten Verdachtsmomenten die Einsicht beantragen. Das Gericht, das darüber entscheidet, soll kompetenter besetzt werden mit Juristen, die sich besser auskennen in der Hightech-Sprache der Abhörspezialisten. Andernfalls habe der Staat zu viel Macht, er könnte sensible Privatinformationen als eine Art Fundgrube betrachten, warnen die Autoren. „Wir Amerikaner dürfen niemals den Fehler begehen, dass wir unseren Beamten in vollem Maße vertrauen.“

Zivilist statt Militär an der Spitze

Der Präsident, so eine weitere Empfehlung, möge möglichst einen Zivilisten zum NSA-Chef ernennen, nicht ausschließlich Militärs, wie es bislang der Fall war. Reichlich vage sind dagegen die Passagen, in denen es um die Überwachung von Ausländern geht. Werden Nichtamerikaner ins Visier genommen, steht unter Punkt 19, dürfe dies nur aus Gründen der nationalen Sicherheit geschehen und nicht, um Industriespionage zu betreiben. Bevor man die Telefonate und E-Mails ausländischer Politiker überwache, müssten Schaden und Nutzen genau abgewogen werden, rät der Report. „Gibt es einen Grund zu glauben, dass der ausländische Politiker versucht, Informationen zu verbergen, die die nationale Sicherheit der USA betreffen?“ „Was wären die negativen Effekte, wenn der Politiker oder die Bürger des betreffenden Landes von der US-Sammlung (sic!) erfahren?“