Rheinland-Pfalz

Liste des Neonazi-Trios: Auch Kurt Becks Privatadresse ausgespäht

Landtag Rheinland-Pfalz
Ministerpräsident Kurt Beck will mehr Datenschutz im Gesetz. Denn dass Meldeämter Namen ohne ausdrückliche Einwilligung der Bürger an Firmen geben könnten, stößt auf scharfe Kritik. Foto: DPA

Versteinerte Mienen im Innenministerium: Ressortchef Roger Lewentz und sein Sprecher David Freichel saßen einen dichten Pulk von Journalisten und Kameras gegenüber. Der Raum 2.002 im zweiten Stock des Ministeriums am Schillerplatz war vollkommen überfüllt.

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Am Morgen hatte unsere Zeitung gemeldet, dass die Sicherheitsbehörden einen USB-Stick des Zwickauer Neonazi-Trios gefunden haben. Darauf waren auch 500 Namen aus Rheinland-Pfalz gespeichert. Die Rechtsterroristen interessierten sich unter anderem für Ministerpräsident Kurt Beck (SPD), die heutige rheinland-pfälzische Umweltministerin Ulrike Höfken (Grüne) sowie für Rainer Brüderle (FDP), den derzeitigen FDP-Fraktionschef im Bundestag. Beim Mainzer Regierungschef, der in Steinfeld in der Pfalz lebt, hatten die Extremisten der rechtsextremen Terrorzelle „Nationalsozialistischer Untergrund“ sogar die Privatadresse ausgespäht.

Handelt es sich nun um eine Liste mit potenziellen Opfern?. Oder gar um eine Todesliste? bei diesem Wort atmete Innenminister Lewentz (SPD) tief aus. „Dass es sich um eine Todesliste handelt, sehe ich nicht“, sagte der Minister schließlich. „Uns liegen in dieser Hinsicht keine Erkenntnisse vor“. Lewentz sprach eher von einer Datensammlung, die auch die Namen und Adressen von kirchlichen Institutionen, SPD-Ortsvereinen und Initiativen enthält. Zudem sind die Namen zahlreicher ehemaliger und aktiver Landtagsabgeordneter verzeichnet. Offenbar haben die Rechtsextremen ein Verzeichnis von Einzelpersonen und Institutionen geschaffen, die sie als Gegner betrachten. Darunter sind nach Informationen unserer Zeitung in Rheinland-Pfalz auch türkische und jüdische Einrichtungen sowie Dienststellen der Bundeswehr. Insgesamt horteten sie rund 10 000 Namen. Welchem Ziel die Sammlung diente, konnte auch der Innenminister nicht sagen.

Die Sicherheitsbehörden im Land sind gewarnt. Alle Betroffenen wurden angerufen oder schriftlich über ihren Eintrag informiert. Zugleich erhalten gelistete Personen eine Einschätzung, was ihre Gefährdung angeht. Das Landeskriminalamt geht derzeit nicht von einer akuten Gefahr aus. Dafür ist die Liste zu groß, zu unspezifisch und auch zu alt. Die beunruhigende Datensammlung stammt entweder aus dem Jahr 2005 oder aus dem Jahr 2007. Bislang wurden der Personen- und Objektschutz nicht verstärkt. Aber im Innenministerium arbeitet man eng mit den Bundesbehörden zusammen, um schnell reagieren zu können.

Innenminister Lewentz konnte nicht ausschließen, dass es „Verdichtungen“ der Namensdateien gibt. Möglicherweise existieren kleinere Listen, die Namen potenzieller Anschlagsopfer enthalten. In der abgebrannten Wohnung der Zwickauer Zelle hatte die Fahnder bereits eine weitere Liste gefunden – mit 88 Posten, darunter Bundestagsabgeordnete. Die Fahnder arbeiten auf Hochtouren. Zumal niemand genau weiß, wie viele Komplizen das Zwickauer Mördertrio tatsächlich hatte – und welche Gefahr von ihnen ausgehen könnte.

Das Innenministerium wurde am Donnerstag, um 18 Uhr, über die 500 rheinland-pfälzischen Einträge informiert. Sofort wurden Ministerpräsident und Landtag ins Bild gesetzt, am Freitagmorgen dann noch mal persönlich die Fraktionsvorsitzenden.

Den Freitag über jagte im Ministerium eine Konferenz die nächste. Rheinland-pfälzische Sicherheitsbehörden analysieren das Datenmaterial. Die Polizei hätte ihre Kräfte auch ohne die jüngste Entwicklung auf den Rechtsextremismus konzentriert. Allein für die Kindgebungen am Wochenende unter anderem in Remagen sind 1000 Polizisten im Einsatz.

Von unserem Redakteur Dietmar Brück