Kampala

Kony-Suche verschleiert Ugandas Probleme

Wo ist Kony? Seit Jahrzehnten ist der Kriegsverbrecher auf der Flucht.
Wo ist Kony? Seit Jahrzehnten ist der Kriegsverbrecher auf der Flucht. Foto: DPA

Es ist fast ein Jahr her, da sah es so aus, als würde der Funken der arabischen Revolution auch auf Ostafrika überspringen. An jenem Morgen im April gingen Tausende Menschen in der Hauptstadt Kampala auf die Straße, Autoreifen brannten, Polizisten schossen in die Menge.

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Kampala – Es ist fast ein Jahr her, da sah es so aus, als würde der Funken der arabischen Revolution auch auf Ostafrika überspringen. An jenem Morgen im April gingen Tausende Menschen in der Hauptstadt Kampala auf die Straße, Autoreifen brannten, Polizisten schossen in die Menge.

Schon tags zuvor hatten Polizeibeamte den Oppositionsführer Kizza Besigye auf dem Weg zu einer Demonstration festgenommen. Es gibt Videos, die zeigen, wie Polizisten mit einer Pistole die Scheibe seines Wagens einschlagen, Tränengas in den Wagen sprühen und den Politiker schließlich wie einen Schwerverbrecher aus dem Wagen zerren.

In den folgenden Tagen zogen die Zeitungen Bilanz: Mehr als 100 Demonstranten wurden im ganzen Land verletzt, zumindest zwei starben. Als wenig später die Macht in Tunesien, Ägypten und Libyen neu verteilt wurde, war in Uganda längst wieder Ruhe eingekehrt. Präsident Yoveri Museveni hatte wieder einmal das gemacht, was er am besten kann: mit brutaler Gewalt jeden Widerstand gebrochen.

Es ist dieser Mann, mit dem die Organisation Invisible Children unausgesprochen auf die virtuelle Kony-Jagd geht. Seit 26 Jahren regiert Museveni mit harter Hand. Inzwischen ist der Mann mit dem Hut mit breiter Krempe in seiner sechsten Amtszeit. Wahlbeobachter haben nach fast allen Urnengängen von Unregelmäßigkeiten berichtet.

Trotzdem fällt im Video kein kritisches Wort über den Machthaber, der laut Amnesty International politische Gegner und Journalisten einschüchtern und verfolgen lässt, der mehrere Anti-Homosexuellen-Gesetze unterzeichnet hat und dessen Armee massive Kriegsverbrechen im Kongo vorgeworfen werden. Museveni bekämpfte Kony nicht immer mit Nachdruck. Zuletzt mit besonders geringem Einsatz. Die International Crisis Group spricht von „halbherzigen Aktionen“ der Regierung gegen Kony, Mitte 2010 zog Uganda die Hälfte seiner Soldaten aus dem Kampfgebiet zurück. Kritiker gehen ohnehin davon aus, dass ein lebender Kony Museveni mehr nützt als schadet. Die Jagd auf den Rebellen sicherte Uganda Waffenlieferungen und finanzielle Hilfe aus dem Ausland. Uganda gilt als einziger Staat in der Region mit einer zumindest in Teilen zuverlässigen und schlagkräftigen Truppe in einer ölreichen Region.

Kritiker werfen den Machern des Kony-Videos vor, dass sie von den wahren Problemen Ugandas ablenken und einen völlig unzulässigen Schwerpunkt auf einen längst geschwächten und entrückten Verbrecher setzen. Tatsächlich spielt Kony für viele Ugander keine allzu große Rolle mehr. Seit 2006 ist die Lord's Resistance Army (LRA), nicht mehr in Uganda aktiv. Konys Truppe hat nicht mehr die Stärke, die das Video suggeriert. Dort wird von insgesamt 30 000 Kindersoldaten gesprochen, aber inzwischen dürfte Kony auf wenige Hundert Anhänger kommen.

Und schon wird auch aus Uganda der Vorwurf laut, dass der Westen wieder einmal in kolonialer Überheblichkeit bestimmt, welche Probleme Afrika hat und wie sie zu lösen seien. Tatsächlich leben fast 40 Prozent der Bevölkerung weiterhin in extremer Armut. Vor gut fünf Jahren forderte das Ebola-Virus mehr als 30 Tote, vor eineinhalb Jahren tötete die Lungenpest in wenigen Tagen fast 40 Menschen, im Nordosten sorgen seit Jahren die Auseinandersetzungen mit den halbnomadischen Karmaojong aus Kenia für Konflikte.

Keines dieser Probleme aber lässt sich in einem 27-minütigen Video so emotional transportieren wie ein im Dschungel versteckter verwirrter Kriegsverbrecher, der mit einer Kinderarmee im Namen der Zehn Gebote kämpft. Dem Internationalen Strafgerichtshof (ISTGH) in Den Haag, der 2005 einen Haftbefehl gegen Kony ausgestellt hat und immer noch um Anerkennung ringt, kommt der Hype nicht ungelegen. „Dem Internationalen Strafgerichtshof kann es nur helfen, wenn durch solche Aktionen der Druck auf Staaten erhöht wird, Personen, die vom Gerichtshof angeklagt sind, festzunehmen“, sagt Reinhold Gallmetzer, Staatsanwalt am ISTGH. „Das Beispiel zeigt, dass solche Graswurzelaktivitäten in kürzester Zeit unheimlich viele Menschen mobilisieren können. Das ist eine große Chance.“

Gallmetzer sieht das Video vor allem als „soziales Experiment, politische Entscheidungen zu beeinflussen“. Dabei erkennt Gallmetzer in der Emotionalisierung der Thematik wenig Grund zur Kritik. „Die Bilder der verstümmelten Kinder sind brutal, aber sie decken sich mit den Ergebnissen unserer Ermittlungen.“ Die Frage, ob sich Kony derzeit in Uganda, Kongo oder Zentralafrika aufhalte, sei für die Opfer seiner früheren Verbrechen ohnehin von geringerer Bedeutung. Die Zahlen der International Crisis Group geben Gallmetzer recht. Auch in seiner offenbar geschwächten Phase hat Kony zwischen 2008 und 2011 mindestens 2400 Zivilisten getötet, 3400 Menschen entführt, 440 000 Menschen in die Flucht gezwungen. „Kony mordet weiter. Um das zu beenden, muss er festgenommen werden, unabhängig davon, wo er sich aufhält“, sagt Gallmetzer.

Von unserem Redakteur Dietmar Telser