Kommentar: Friedrich Merz ist eine Projektionsfläche für Sehnsüchte der CDU-Basis

Friedrich Merz
Der frühe Unionsfraktionschef Friedrich Merz will im Dezember auf dem Parteitag der CDU in Hamburg für den CDU-Vorsitz kandidieren. Foto: Karlheinz Schindler

Friedrich Merz möchte wieder Politiker sein. Neun Jahre nachdem er freiwillig aus dem Bundestag ausschied, kandidiert der ehemalige Fraktionsvorsitzende der Union für den CDU-Parteivorsitz. Für seinen ersten Auftritt vor der Bundespressekonferenz erhielt er viel Lob in den Medien und bei der CDU-Basis. Warum eigentlich? Es war ein nichtssagender, erwartbarer Vortrag des 62-Jährigen. Was er sagt, ist aber nicht wichtig, die CDU giert danach, wofür er steht.

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Carsten Zillmann
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Foto: Jens Weber
Um Merz' Redebeitrag zusammenzufassen genügen seine eigenen Zitate: „Wir müssen genau zuhören, verstehen und die Menschen nicht mit Floskeln abspeisen.“ Es folgen genau solche Allgemeinplätze: „Die CDU muss allen Wählern der politischen Mitte eine verlässliche Heimat bieten. Die CDU braucht Aufbruch und Erneuerung.“ Jaja, und natürlich der Markenkern. Der ist ganz wichtig. Wie er für Merz aussieht? Von allem etwas: liberal, wertkonservativ und natürlich sozial engagiert. Die großen Probleme heißen für ihn Migration, Globalisierung, Klimawandel und Digitalisierung. Implizit macht er also Angebote an AfD-Wähler, die beiden zerstrittenen CDU-Flügel und auch die alten Stammwähler, die nun nicht nur hippe grüne Smoothies schlürfen, sondern auch die entsprechende Partei wählen.

Der Hype – und nichts anderes erleben wir gerade – beruht auf einem gänzlich anderen Effekt: Für die von Angela Merkel enttäuschte CDU-Basis ist Merz Projektionsfläche alter Sehnsüchte. Er ist der Erfinder der Leitkultur und propagierte die Steuererklärung auf dem Bierdeckel. Merz ist (manchen zu) wirtschaftsnah und Transatlantiker alter Schule. Aber kann er die CDU wieder zur Volkspartei machen?

Zweifel daran sind berechtigt: Im 2005er-Wahlprogramm steckte viel Merz, wenn auch getarnt als Kirchhoff-Steuerkonzept. Die Union holte 35,2 Prozent. Das sind 2,3 Prozent mehr als die „gescheiterte“ Kanzlerin Merkel 2017. Merz bietet, so er tatsächlich sein 2000er-Ich verkörpern möchte, auch jede Menge Angriffsfläche. Gerhard Schröder machte aus dem renommierten Paul Kirchhoff despektierlich den „Professor aus Heidelberg“. Die Zuspitzungen der AfD, die Merz treffen werden, dürften krasser daherkommen. Wie gut seine Chancen parteiintern stehen, ist auch nicht klar. Gewählt werden muss er von Delegierten aus dem Parteimittelbau. Merkelianern.

E-Mail: carsten.zillmann@rhein-zeitung.net