Justizminister Heiko Maas: Es gibt mehr Helfer als Hetzer

Wir treffen Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) in seinem Amtssitz in Berlin. Er absolviert derzeit ein strammes Programm von Flüchtlingskrise und Vorratsdatenspeicherung bis zu neuen BND-Vorwürfen.

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Im Gespräch (das vor dem offenbar fremdenfeindlichen Attentat in Köln auf die Oberbürgermeisterin stattfand) wirkt Maas ruhig und gelassen und setzt sich – anders als manche Ministerkollegen – ohne dicke Aktenmappe an den Tisch. Doch das Thema des Interviews erregt derzeit die Gemüter: Wie geht’s weiter in der Flüchtlingskrise?

Herr Maas, funktioniert der Rechtsstaat nicht mehr?

Wie kommen Sie darauf?

Weil Deutschland nicht weiß, wie viele Flüchtlinge kommen, weil es die Rückführung abgelehnter Asylbewerber nicht hinbekommt, weil Kommunen Überforderung und Chaos melden.

Wir sind in einer außergewöhnlichen Situation, aber unser Rechtsstaat funktioniert. Probleme gibt es bei den Asylverfahren und der Unterbringung, weil es schlicht so viele Menschen sind, die zu uns kommen. Deswegen sorgen wir ja auch für deutlich mehr Personal beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Wir wollen den Asylbewerbern schneller sagen, ob sie bleiben können. Wer nicht bleiben darf, der muss das Land dann auch schnell wieder verlassen. Denn der Zustrom ist ungebrochen, und wir benötigen wirklich jeden Platz für diejenigen, die unsere Hilfe am dringendsten brauchen.

Die Union will mit Transitzonen den Zustrom bremsen. Die SPD will das nicht. Wie soll der Zustrom geregelt werden?

Wir wollen die Flüchtlinge schneller registrieren und schnellere Asylverfahren. Alles, was dazu beiträgt und mit den geltenden Gesetzen vereinbar ist, werden wir tun. Aber Transitzonen in der Form, wie die Union sie vorgeschlagen hat, sind in Wirklichkeit Haftzonen. Wir brauchen keine Massengefängnisse für Zehntausende Flüchtlinge an unseren Grenzen. Sie sind rechtlich bedenklich und lösen kein einziges Problem.

Eine geltende EU-Richtlinie ermöglicht solche Zonen.

Aber die Asylverfahrensrichtlinie ist insoweit primär für die Außengrenzen der EU gedacht, nicht für die Binnengrenzen.

Der Wortlaut würde auch das hergeben, sagen Experten.

Wenn überhaupt, dann nur als eine außerordentliche Maßnahme für einen begrenzten Zeitraum. Entscheidend bleibt aber: Sie würden praktisch nicht funktionieren. Flüchtlinge lassen sich doch nicht freiwillig dort einsperren. Sie würden dann einfach über die grüne Grenze kommen.

Wie sollen Menschen denn sonst schneller zurückgeschickt werden?

Erst mal müssen die ausreisepflichtigen, nicht anerkannten Asylbewerber, die schon in Deutschland sind, zurückgeführt werden.

Aber genau das passiert nicht. Viele Ausreisepflichtige bleiben im Land.

Und deswegen haben wir ja gesetzlich beschlossen, dass künftig diejenigen, die ihre Ausreisefrist verstreichen lassen, nur noch reduzierte Leistungen erhalten. Sie bekommen Unterkunft in großen Einrichtungen, Nahrung und Hygieneartikel bis zu ihrem nächsten Ausreisetermin. Und damit die betreffenden Personen nicht einfach abtauchen, um der Abschiebung zu entgehen, werden Termine für die Abschiebungen grundsätzlich nicht mehr vorher angekündigt. Mit Blick auf die riesige Zahl der Flüchtlinge ist doch völlig klar: Wenn wir das schaffen wollen, müssen wir unsere Hilfe auf diejenigen konzentrieren, die sie am nötigsten haben.

Und das sollen die Länder auch bei Familien mit Kindern durchziehen?

Das ist schmerzhaft und nicht schön. Aber die Rechtslage ist jetzt eindeutig: Wer ausreisepflichtig ist und Deutschland nicht freiwillig verlässt, wird abgeschoben. Die besondere Situation von Minderjährigen wird allerdings bei der Prüfung der Ausreisepflicht berücksichtigt.

Glauben Sie, dass durch das neue Gesetzpaket die Zahl der Flüchtlinge sinken wird?

Es ist eine von vielen Maßnahmen. Wirklich sinken wird die Zahl der Flüchtlinge erst, wenn es uns gelingt, die Fluchtursachen besser zu bekämpfen. Daneben müssen wir auf europäischer Ebene schnell Klarheit bekommen, damit es endlich eine faire Verteilung der Flüchtlinge in Europa gibt. Auch die Osteuropäer müssen ihren Widerstand aufgeben. Die Beschlüsse vom Europäischen Rat können nur ein erster Schritt sein.

Die Türkei dient der EU als Bollwerk gegen einen noch größeren Flüchtlingszuzug. Übertreibt Erdogan mit seiner Forderung nach 3 Milliarden Euro Hilfe?

Die Türkei spielt sicher bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise eine Schlüsselrolle. Europäische Lösungen werden nur dann greifen, wenn wir zu Vereinbarungen auch mit der Türkei kommen. Die Türkei trägt große Lasten, insofern wird über eine finanzielle Unterstützung geredet.

Muss die Türkei zu einem sicheren Herkunftsstaat ernannt werden?

Das bedarf insbesondere mit Blick auf den Kurdenkonflikt einer sorgfältigen Abwägung. Dabei spielt auch die Lage der Menschenrechte eine Rolle. Jetzt wird zunächst der Ausgang der Wahlen in der Türkei abzuwarten sein.

Im Inland scheut sich Merkel, Obergrenzen zu ziehen. Fürchten Sie, dass die Stimmung bald kippt?

Nein. Dafür ist die Sensibilität und Verantwortlichkeit in der deutschen Bevölkerung viel zu hoch. Die Zahl der Helfer ist noch immer weit größer als die der Hetzer. Und ohne die vielen Menschen, die vor Ort mit anpacken, könnten wir das alles gar nicht schaffen. Dennoch: Es gibt auch Sorgen, und die müssen wir ernst nehmen.

Das sagen Politiker immer. Aber was heißt das konkret?

Dass wir machen, was die Leute jetzt zu Recht von uns erwarten: unseren Teil dazu beitragen, dass wir die Probleme lösen. Wir haben ein erstes umfangreiches Asylpaket beschlossen. Jetzt arbeiten wir mit Hochdruck an weiteren nationalen und internationalen Maßnahmen.

Ist die Kanzlerin mit ihrer Flüchtlingspolitik näher bei der SPD als bei der Union?

Es wird ja gelegentlich über die Sozialdemokratisierung der CDU unter Frau Merkel gesprochen. Das ist doch ein Kompliment für Frau Merkel. Insofern unterstütze ich die Position der Bundeskanzlerin jedenfalls nachhaltig.

Wie gefährlich sind die Menschen für unseren Staat, die montags in Dresden auf die Straße gehen?

Gefährlich für die Rechtsordnung sind sie nicht, gefährlich für die Menschen, die sie bedrohen, schon. Wer Hitlerfratzen bastelt, der ist längst kein besorgter Bürger mehr. Jeder, der da hinterherläuft, muss sich vorhalten lassen, radikale Hetze in Kauf zu nehmen.

Sie haben die Gruppen eine „Schande für Deutschland“ genannt. Ist das nicht etwas heftig?

Nein. Ich finde, wir müssen an dieser Stelle klar Farbe bekennen. Deutschland ist ein tolerantes und weltoffenes Land. Bei Pegida versammelt sich eine extrem radikale Minderheit. Wer Galgen baut und Menschen daran baumeln sehen will, setzt Hemmschwellen herab. Niemand, der da mitläuft, kann sich von der Verantwortung frei machen für die Taten, die diese Hetze inspiriert. Für brennende Heime oder verletzte Flüchtlingshelfer. Da gibt es keine Ausrede.

Das Gespräch führten Michael Bröcker und Jan Drebes