München

INTERVIEW mit Wolfgang Ischinger: „Umbruch ohne Blutvergießen“

Wolfgang Ischinger. Foto: dpa
Wolfgang Ischinger. Foto: dpa

Wolfgang Ischinger ist Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz und spricht im Interview unter anderem über den schweren Weg Ägyptens hin zu einer funktionierenden Demokratie.

Lesezeit: 6 Minuten
Anzeige

München – Wolfgang Ischinger ist Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz und spricht im Interview unter anderem über den schweren Weg Ägyptens hin zu einer funktionierenden Demokratie.

Millionen Araber sind in Aufruhr. Wie muss der Westen darauf reagieren?

Ischinger: Das ist ein schwierige Gratwanderung. Es gibt keine Patentlösung für das Dilemma, in das die Außenpolitik immer dann gerät, wenn sie sich zwischen dem Interesse an Stabilität und dem Interesse an Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten entscheiden soll. Wir Europäer bilden uns ein, das menschenrechtspolitische Erbe der Antike und der Aufklärung im Blut zu haben. Was wir tatsächlich haben, das ist unsere Erfahrung mit Umbrüchen.

Sie sehen 2011 in einer Verbindung mit 1989?

Viele europäische Länder wissen sehr genau, wie sie damals aus einer Diktatur heraus und in die Demokratie gekommen sind. Deshalb tun die Europäer gut daran, die Entwicklung im Nahen Osten nicht anderen zu überlassen. Wir müssen sie als eine zutiefst europäische Gestaltungsaufgabe annehmen. Niemand außerhalb Europas weiß so gut wie die Polen, die Ostdeutschen, die Ungarn oder die Rumänen, was passiert im Umgang mit Diktatoren, was in den Köpfen der Menschen vorgeht, wenn Aufruhr und Aufstand herrschen, und welche guten und schlechten Folgen das haben kann. Bei allem Verständnis für realpolitische Notwendigkeit, so ist Europa doch der Kontinent des Umbruchs und des Aufbruchs in den letzten Jahrzehnten gewesen. Und deshalb müssen wir anderen, die diesen Weg gehen wollen, dabei helfen, dass sie möglichst friedlich und ohne Blutvergießen schaffen.

Sollte Deutschland also sein Konzept für eine friedliche Revolution exportieren?

Es wäre ganz falsch, sich von außen anmaßen zu wollen, welches die passendere Regierung für ein anderes Land wäre. Deshalb dürfen wir den Ägyptern ihre Regierung nicht aussuchen wollen. Aber die ganz normalen Menschen, die jetzt in Ägypten auf die Straße gehen, die müssen spüren, dass Europa ihnen auf dem Weg zu mehr Demokratie, zu mehr Rechtsstaat, zu mehr Menschenrechten zur Seite steht. Wir haben es in Europa selbst bewiesen, wie das funktioniert. Denken Sie an die Militärdiktaturen in Spanien und Portugal. Da saßen die Regierungsvertreter als Mitglieder der Nato auch an einem Tisch. Gleichzeitig haben wir über unsere politischen Stiftungen den politischen Kräften in diesen Ländern das Gefühl gegeben, dass sie von uns gehört werden, dass wir auf sie aufpassen, dass wir ihnen Kurse anbieten, dass wir ihnen beistehen bei der Entwicklung einer politischen Kultur, die dann schließlich auch zum Durchbruch der Demokratie geführt hat. So geht's!

Die Stiftungen sollten den Arabern also politische Schnittmuster an die Hand geben?

Es darf nicht sein, dass Ägypter uns Europäern vorwerfen, wir hätten zu sehr im Bett mit der korrupten Führung gelegen. Wir brauchen eine Doppelstrategie: Das realpolitisch Notwendige machen aber nicht zu vergessen, dass wir eine Demokratie-Mission haben, einen Auftrag, die Demokratie zu fördern.

Werden Sie den Umbrüchen in München bei der Konferenz ein Fenster öffnen?

Ich würde mich sehr wundern, wenn das meine Hauptredner, Angela Merkel, David Cameron, Hillary Clinton und viele andere, in ihren Beiträgen ausklammern. Es wird also Thema in München sein. Außerdem sind wir dabei, das Programm so umzukrempeln, dass wir eine zusätzliche Debatte unterbringen können, wo wir mit hochrangigen Experten aus der Region einen Mehrwert für alle schaffen können.

Am Rande der Konferenz wird sich auch das Nahost-Quartett treffen. Sehen Sie überhaupt Chancen, so lange das Schicksal Ägyptens so ungewiss ist?

Das Nahost-Quartett hat sich spontan entschieden, sich in München zu treffen – vor dem Ausbruch der Ereignisse in Ägypten. Aber jetzt dürfen wir nicht abwarten, bis sich die Dinge beruhigt haben. Die gegenteilige Schlussfolgerung gehört auf den Tisch des Nahost-Quartetts: Weiteres Zuwarten macht die Dinge nicht besser. Das Zusammentreffen kommt angesichts der Ereignisse in Ägypten zum günstigsten Zeitpunkt. Ich hoffe, dass die Teilnehmer sich in München in die Hand versprechen, jetzt Nägel mit Köpfen zu machen. Das Geschäft zwischen Israelis und Palästinensern muss wieder in Gang kommen, vielleicht auch in einer Beziehung zu Syrien.

Die Nahost-Region betrifft auch der Angriff über das Internet. Sind „cyber attacks“ der dritte Weg zwischen heißem Krieg und Sanktionen?

Das habe ich in München auf die Tagesordnung genommen, weil es zu einem der brisantesten Probleme der Sicherheitspolitik im 21. Jahrhundert geworden ist. Denn es geht darum, einem Gegner erheblichen Schaden zufügen zu können, ohne dass ein Flugzeug auch nur eine einzelne Bombe abwirft. Und zwar so, dass der Betroffene nicht mit Sicherheit feststellen kann, woher es kam. Wir müssen in München danach fragen, ob wir dafür neue Regeln brauchen. In der Antike gab es Regeln für den Landkrieg, aber auf der See war alles erlaubt. Erst im Laufe von Jahrhunderten hat sich das Seevölkerrecht herausgebildet. Vor 60 Jahren kam der Weltraum dazu, ein rechtlich leeres Feld, das zum Schlachtfeld zu werden drohte. Wir haben jetzt Konventionen über Waffen, die nicht in den Weltraum gebracht werden dürfen. Jetzt kommt der cyber space, der zu einem neuen Wilden Westen der Weltpolitik wird. Wollen wir das wirklich? Wissen wir, wie groß die Verwundbarkeit unserer Industrie, ja unserer gesamten Gesellschaft ist? Lässt sich wirklich verhindern, dass es anderen Staaten oder Terroristen gelingt, großflächig die Stromversorgung in Deutschland lahm zu legen? Panik, Massenflucht, Zerstörung – das alles könnte die Folge sein...

... oder auch, dass der Iran in seinem Atomprogramm zurückgeworfen wird, weil ein „Stuxnet“-Wurm die Zentrifugen zerstört...

Richtig. Solche Mittel können dazu führen, dass man enorm viel Zeit gewinnt. In diesem Fall scheint sich der Wurm wirklich nur auf einen massiven Schaden für die Zentrifugen beschränkt zu haben. Aber können wir ausschließen, dass der nächste Angriff größere Infrastruktur auch in anderen Ländern mit enormen Verlusten an Menschenleben in Mitleidenschaft zieht? Natürlich würden wir einen Fehler machen, über die offensive Nutzung solcher Mittel nicht intensiv nachzudenken.Denn nur dann lässt sich auch eine wirksame Abwehr entwickeln. Das ist kein Spaß, das ist kein Science Fiction, das ist Wirklichkeit. Und deshalb brauchen wir Antworten auf viele neue Fragen.

Afghanistan ist Dauerbrenner in München. Der Bundestag hat seiner Mandatsverlängerung erstmals die „Zuversicht“ hinzugefügt, schon in diesem Jahr mit dem Abzug beginnen zu können. Wird das auch das Klima bei der Konferenz verändern?

Als Sicherheitspolitiker halte ich es prinzipiell für verkehrt, auf Abzugsdaten zu spekulieren, von denen wir beim besten Willen nicht wissen, ob wir sie einhalten können. Mir wäre es viel lieber, wir kämen aus dem innenpolitischen Wettrennen um den schnellsten Rückzug unserer Soldaten wieder heraus. Ich weiß, dass die Bevölkerung dem Einsatz immer skeptischer gegenüber steht. Aber es wäre besser, sich auf die Grundlagen zu besinnen. Wir sind zusammen reingegangen, also müssen wir jetzt zusammen festlegen, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit wir auch zusammen wieder herausgehen können. Es darf nicht sein, dass ein deutscher Soldat als Letzter das Licht ausmacht. Aber es ist auch nicht mehr so, dass die Amerikaner schon dafür sorgen werden, dass ihre Verbündeten sicher rein und rauskommen. Die Zeit des Trittbrettfahrens ist vorbei. Die Bäume wachsen auch in den USA beim Militär und den verfügbaren Mitteln nicht mehr in den Himmel.

Führt das zu einer neuen Stimmung zwischen der Nato und Russland?

Ich freue mich darüber, dass wir in München ein ganz herausragendes Ereignis erleben werden: Während der Konferenz wollen die Außenminister aus Washington und Moskau bei einem kleinen Zeremoniell die ratifizierten Urkunden über den neuen START-Abrüstungsvertrag austauschen. Das ist ein prima Symbol für die Konferenz, denn von dieser Stelle aus war vor genau zwei Jahren der Impuls zur Wiederbelebung der Abrüstungsgespräche ausgegangen. Damit schließt sich ein Kreis, der Hoffnung auf noch mehr Verständigung macht. Und der im übrigen alle Lügen straft, die „München“ für eine Kriegstreiberkonferenz halten. Das Gegenteil ist richtig.