Berlin

Integration: Wir schaffen’s doch – Mehrheit würde weiterhin Flüchtlinge aufnehmen

„In allen Herkunftsgruppen geht die Mehrheit davon aus, dass Flüchtlinge Deutschland kulturell wie wirtschaftlich bereichern“, sagt Thomas Bauer vom Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration.
„In allen Herkunftsgruppen geht die Mehrheit davon aus, dass Flüchtlinge Deutschland kulturell wie wirtschaftlich bereichern“, sagt Thomas Bauer vom Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration. Foto: picture alliance

Wissenschaftler haben in einer groß angelegten Studie untersucht, wie Menschen in Deutschland zu Migration und Integration stehen. Das Ergebnis ist überraschend: Eine klare Mehrheit der Befragten bewertet das Zusammenleben mit Migranten insgesamt positiv. Doch es gibt Unterschiede: Spätaussiedler, Männer und Ostdeutsche sind eher skeptisch. Frauen, Westdeutsche, Türkeistämmige und Zuwanderer aus anderen Nicht-EU-Staaten nehmen das Zusammenleben von Menschen aus verschiedenen Kulturen heute weniger als konfliktträchtig wahr als 2015 auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise. Die wichtigsten Ergebnisse des Integrationsbarometers 2018, das der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) auf Basis einer repräsentativen Umfrage erstellt hat:

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Integration allgemein: Die Befragten sollten das „Integrationsklima“ auf einer Skala von 0 (sehr negativ) bis 100 (sehr positiv) einschätzen. Deutsche ohne Migrationshintergrund beurteilten das Klima eher positiv (63,8). Seit 2015 hat sich die Stimmung aber etwas eingetrübt. Damals erreichte diese Gruppe einen Wert von 65,4. Ähnlich sieht es bei den hierzulande lebenden EU-Ausländern aus. Ihr Wert sank von 71,4 auf 68,9. Aussiedler und Menschen mit türkischen Wurzeln haben dagegen eine leichte Verbesserung wahrgenommen. Dass der Anteil der Integrationsskeptiker im Osten deutlich höher ist als im Westen, lässt sich laut Untersuchung teilweise, aber nicht vollständig dadurch erklären, dass die Menschen auf dem Gebiet der Ex-DDR im Schnitt weniger direkten Kontakt zu Migranten haben.

Gefühlte Kriminalität: Etwa sieben von zehn Menschen in Deutschland glauben nicht, dass die Kriminalität durch die Zuwanderung der vergangenen Jahrzehnte gestiegen ist. Anders sieht es aus, wenn ausschließlich nach Flüchtlingen gefragt wird. 17 Prozent der Deutschen ohne Migrationshintergrund stimmen dem Satz „Die aufgenommenen Flüchtlinge erhöhen die Kriminalität in Deutschland“ voll und ganz zu. 30,8 Prozent stimmen eher zu. Rund 36 Prozent halten die Aussage für eher falsch. Rund 16 Prozent stimmen gar nicht zu. Die größtenteils schon lange in Deutschland lebenden türkischen Migranten sehen dies übrigens ganz ähnlich.

Konkurrenz auf dem Wohnungsmarkt: Die meisten Menschen haben das Gefühl, dass die Kommunen die Unterbringung der Asylbewerber und Flüchtlinge recht gut bewältigt haben. In Ballungsgebieten, in denen bezahlbarer Wohnraum schon vorher Mangelware war, hört man aber auch kritische Töne. Und zwar vor allem von Menschen ohne Migrationshintergrund, die in Berlin, Hamburg oder Bremen leben.

Gute Bildung für alle: Jeder Zweite ist der Meinung, dass Kinder in Schulen mit einem hohen Migrantenanteil schlechter lernen. Das Thema treibt Deutsche und Zugewanderte gleichermaßen um. Aber: 56 Prozent der Frauen glauben nicht, dass eine ethnisch gemischte Schülerschaft die Leistungsfähigkeit von Schulen beeinträchtigt. Die gleiche Prozentzahl Männer geht exakt vom Gegenteil aus. Einig ist sich eine Mehrheit der Befragten hingegen, dass nicht nur die eigene Leistung und die Begabung eine wichtige Rolle für den Schulerfolg spielen, sondern dass auch die soziale Herkunft ein entscheidender Faktor ist. Claudia Diehl vom Sachverständigenrat sagt: „Die Bildungsforschung belegt regelmäßig, dass in Deutschland der Bildungserfolg eng an das Elternhaus gekoppelt ist. Das sehen auch die Zugewanderten so, unabhängig davon, welcher Herkunftsgruppe sie angehören. Und ihnen ist auch klar, dass Bildung ein zentrales Aufstiegsvehikel ist.“

Kulturelle Bereicherung: Im Gegensatz zu den Neuen Rechten, die Zuwanderung als Bedrohung für die deutsche Identität empfinden, hat die Mehrheit der Menschen in der Bundesrepublik keine entsprechenden Befürchtungen. „In allen Herkunftsgruppen geht die Mehrheit davon aus, dass Flüchtlinge Deutschland kulturell wie wirtschaftlich bereichern“, sagt Thomas Bauer. Deutsche ohne Migrationshintergrund vertreten diese Meinung sogar noch etwas häufiger (71,5 Prozent) als Zuwanderer. Und dort, wo weniger Migranten leben, gibt es größere Vorbehalte gegenüber Zuwanderung. Darin sehen die Forscher einen wesentlichen Grund für die große Skepsis in Ostdeutschland.

Das ewige Kopftuch: Das islamische Kopftuch wird von Menschen, die strengere Regeln für Migration wollen, gern als Gradmesser für Integration herangezogen. Vielleicht, weil es sichtbar und daher leichter zu quantifizieren ist als etwa die Wertvorstellungen der Zuwanderer. Knapp 58 Prozent der Menschen ohne Migrationshintergrund sind dagegen, dass Lehrerinnen im Unterricht ein Kopftuch tragen dürfen. Unter den Türkeistämmigen ist nur jeder Vierte für ein Verbot. In Behörden hingegen würde eine Mehrheit fast aller Befragten Kopftücher erlauben.

Zuzug von Flüchtlingen: Von den Befragten ohne Migrationshintergrund sind 60 Prozent dafür, weiterhin Flüchtlinge aufzunehmen, selbst wenn Deutschland das einzige EU-Land sein sollte, das dazu bereit ist. „Angesichts der medialen Debatten mag es überraschen, dass es keinen Trend gibt, Flüchtlinge als Gefahr für den Wohlstand zu sehen“, sagte Thomas Bauer vom Sachverständigenrat. Allerdings wünscht sich etwas mehr als die Hälfte eine Obergrenze für die Zuwanderung. Wo diese Grenze liegen sollte, wurde allerdings nicht gefragt.