Wiesbaden

Handel mit verbotenen Substanzen wächst: Drogen werden frei Haus geliefert

Von Gisela Kirschstein
Drogen werden frei Haus geliefert Foto: dpa

Konsumieren die Deutschen mehr harte Drogen als früher? In Untersuchungen gibt es dafür laut der Drogenbeauftragten der Bundesregierung keine Hinweise. Ein „dramatischer Anstieg“ des Konsums von Cannabis und Kokain sei nicht auszumachen, erklärte Marlene Mortler in Wiesbaden. Tatsache ist jedoch: Die Rauschgiftkriminalität ist im siebten Jahr in Folge gestiegen. 330.580 Rauschgiftdelikte wurden 2017 bei Polizei und Bundeskriminalamt (BKA) registriert, das waren 11,8 Prozent mehr als im Vorjahr. Die große Mehrzahl der Fälle, fast 200.000, entfielen dabei auf den Bereich Cannabis.

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„Das Angebot ist groß, und es wird größer“, sagte denn auch BKA-Chef Holger Münch bei der Vorstellung der Rauschgiftkriminalitätsstatistik 2017: „Der Zugang zu Drogen ist leicht und an einigen Stellen leichter geworden.“ So stiegen die konsumnahen Delikte um 10 Prozent auf rund 255.000, die Handelsdelikte um 5,2 Prozent auf rund 54.600. Allein die Delikte rund um den Stoff Kokain stiegen um rund 18 Prozent, die Ermittler stellten das Vierfache früherer Mengen sicher.

Das liegt auch an den Transportrouten: Kokain kommt noch immer zum Großteil aus Kolumbien, angeliefert häufig über den Hamburger Hafen. Heroin hingegen stammt zu 90 Prozent aus Afghanistan und gelangt über die Balkanroute nach Europa. Marihuana wiederum kommt überwiegend aus den Niederlanden. Doch es ist vor allem das Internet, das die Besorgung von Drogen so leicht macht. „Man muss heute nicht mehr dunkle Ecken am Bahnhof aufsuchen, um Drogen zu kaufen“, betont Münch. Die Substanzen lassen sich bequem per Internet bestellen und werden dann frei Haus geliefert.

Die gestiegenen Fallzahlen wertete der BKA-Chef durchaus als Erfolg gestiegener Kontrollintensität. So wurden 2017 auf einem Schiff aus Kolumbien im Hamburger Hafen 1,6 Tonnen Kokain sichergestellt, im November 2017 nach der Durchsuchung von zehn Wohnungen vier Drogendealer verhaftet, die im Darknet mit illegalen Substanzen Umsätze in Millionenhöhe gemacht hatten. „Das Darknet ist gar nicht so dark“, beschreibt eine BKA-Spezialistin gegenüber unserer Zeitung.

Die Cyberspezialisten des BKA hätten „hervorragenden Zugang ins Darknet gefunden“, betonte auch Wolfgang Seiler, Referatsleiter im Bereich Darknet beim BKA. 2017 waren zwei große Darkräume in den USA und in den Niederlanden aufgeflogen, „dadurch haben wir viele Ermittlungsansätze vor die Füße geworfen bekommen“, erzählt er. Seit vergangenem Juli beschäftigt sich eine eigene Ermittlungsgruppe damit, an die Topverkäufer im Darknet heranzukommen. Das BKA will denn auch den Bereich der Cyberkriminalitätsbekämpfung deutlich ausbauen: Zum Herbst sollen Informatiker eingestellt und zu Kriminalisten ausgebildet werden.

Sorgen machen den Ermittlern aber sogenannte NPS, neue psychoaktive Stoffe. „Diese Drogen sind für den Konsumenten unkalkulierbar und deshalb hoch gefährlich“, betont Münch, 2017 hat es allein in diesem Bereich 75 Tote gegeben. Die als „Legal High“ bekannt gewordenen Produkte bestehen aus synthetisch hergestellten Wirkstoffen, die auf getrocknete Blätter gesprüht werden. Die Wirkung ähnelt der von Cannabis, ist „aber typischerweise stärker und vor allem unkalkulierbar“, warnt BKA-Chemiker Michael Pütz.

Seit 2016 können Ermittler nicht mehr nur einzelne Stoffe, sondern ganze Stoffgruppen unter Strafe stellen. Das erschwert den Drogendesignern die Entwicklung neuer Substanzen. „Das Auftauchen neuer Stoffe hat sich dadurch deutlich verringert, legal ist hier gar nichts mehr“, betont Pütz. Eine Legalisierung etwa von Marihuana, immer wieder gefordert, lehnen BKA und Drogenbeauftragte einhellig ab. Schon jetzt sei gerade der Konsum von Cannabis und Kokain in bestimmten gesellschaftlichen Kreisen gesellschaftsfähig geworden, sagt Mortler, das zeigten Abwasseruntersuchungen bestimmter Städte. „Wir müssen verhindern, dass Drogen unsere Gesellschaft unterwandern, und deutlich machen, dass Drogenhandel kein Kavaliersdelikt ist“, betonte sie und forderte mehr Geld für Drogenprävention. Durch die Freigabe von Drogen entstehen falsche Signalwirkungen und Nachahmerverhalten gerade bei jungen Menschen, glaubt sie. „Ich kann nicht sehen, dass wir in Deutschland zu wenig legale Drogen haben.“

Von unserer Mitarbeiterin Gisela Kirschstein