Murambi/Ruanda

Das Grauen von Murambi lässt alle verstummen

Eine Ruanderin geht betroffen und berührt an den Häusern vorüber, in denen mumifizierte Tote an das Massaker erinnern.
Eine Ruanderin geht betroffen und berührt an den Häusern vorüber, in denen mumifizierte Tote an das Massaker erinnern. Foto: Dietmar Brück

Es gibt viele grausame Orte, die an fürchterliche Verbrechen erinnern – und es gibt die Völkermord-Gedenkstätte in Murambi in Ruanda. Wer sie verlässt, dem ist das Herz schwer, und er hat einen süßlichen Leichengeruch in der Nase.

Lesezeit: 2 Minuten
Anzeige

Murambi/Ruanda – Es gibt viele grausame Orte, die an fürchterliche Verbrechen erinnern – und es gibt die Völkermord-Gedenkstätte in Murambi in Ruanda. Wer sie verlässt, dem ist das Herz schwer, und er hat einen süßlichen Leichengeruch in der Nase.

Was die Besucher in den Klassen- und Studierräumen der ehemaligen technischen Hochschule sehen, übersteigt das Vorstellbare, berührt und schockiert. Bereits das bloße Beschreiben fällt schwer.

Auf einfachen Holztischen liegen Hunderte mumifizierter Leichen. Die Münder zu einem letzten Schrei aufgerissen, die Schädel eingeschlagen, Arme und Beine verdreht. Manche halten die Hände schützend vor ihren Kopf. Anderen fehlen Gliedmaßen. Raum für Raum umgibt die Besucher ein schier unendliches Grauen. Es lässt ihnen den Atem stocken.

Zwei Opfer dieses Menschheitsverbrechens scheinen sich zum letzten Mal zu umarmen, bevor Schüsse sie niederstrecken und die Splitter einer Granate ihr Leben beenden. Viele Opfer tragen noch T-Shirts oder Hosen, braun von getrocknetem Blut. Darunter sind – und das ist besonders erschütternd – auch viele Kinder. Selbst vor Säuglingen machten die Milizionäre nicht halt.

Die wenigen Einheimischen, die gemeinsam mit der rheinland-pfälzischen Delegation von Gebäude zu Gebäude gehen, scheinen in Gedanken versunken. Manche wischen sich verstohlen Tränen aus den Augen. Wer nach Murambi kommt, hat meistens Verwandte oder Freunde verloren. Niemand wird das Jahr 1994 vergessen, als die ruandische Welt zerbrach. Damals hatten sich rund 55 000 Menschen in den Gebäudekomplex auf den Hügeln geflüchtet – zumeist Tutsi-Familien. Die örtlichen Verantwortlichen hatten ihnen eingeredet, dort seien sie sicher. Doch ihr perfider Plan war ein ganz anderer. Man wollte möglichst viele Opfer an einem Ort haben, um sie besser töten zu können.

Zuerst versuchten Milizionäre und örtliche Führung, die Menschen auszuhungern. Dann begann das große Blutbad. In nicht einmal 24 Stunden wurden rund 55 000 Menschen ermordet. Die zum Tode Verurteilten wehrten sich mit Steinen oder fügten sich verzweifelt in das Unvermeidbare. Den Angreifern ging sogar die Munition aus. Am Ende hatten nur 14 überlebt.

Die Gedenkstätte ist ein Bollwerk gegen das Vergessen. Sie spiegelt aber auch den Hass auf die Franzosen wider, denen man in Ruanda eine Mitschuld an dem Völkermord gibt. „Hier haben die Franzosen Volleyball gespielt“, heißt es in einer Gedenktafel. Nicht weit davon waren die Massengräber. Dabei wird verschwiegen, dass die französischen Soldaten zur Zeit des Mordens gar nicht auf dem Gelände stationiert waren. Und auch die Angehörigen sehen die Gedenkstätte zwiespältig. Viele Familien möchte ihre Lieben begraben – und nicht ausgestellt wissen.

Innenminister Roger Lewentz und Sozialministerin Malu Dreyer haben in Murambi einem Kranz niedergelegt. Schweigend. Für diesen Ort gibt es keine Worte.

Von unserem Redakteur Dietmar Brück