Berlin

AfD: Triumph eines Rechtsauslegers

Von Gregor Mayntz 

Beatrix von Storch, stellvertretende Parteisprecherin der Partei Alternative für Deutschland (AfD), fotografiert am 24. September auf einer Wahlparty in Berlin im Beisein von Alexander Gauland, dem Spitzenkandidaten der Partei Alternative für Deutschland.
Beatrix von Storch, stellvertretende Parteisprecherin der Partei Alternative für Deutschland (AfD), fotografiert am 24. September auf einer Wahlparty in Berlin im Beisein von Alexander Gauland, dem Spitzenkandidaten der Partei Alternative für Deutschland. Foto: dpa

Es ist noch deutlicher, als die meisten Umfrageinstitute prognostiziert hatten: Die AfD zieht mit einem großen Knall in den Bundestag ein – als drittstärkste Kraft. Auf der Wahlparty greift Alexander Gauland zum Mikrofon: „Wir haben es geschafft“, ruft er, „wir werden das Land verändern!“ Die Regierung könne sich warm anziehen, heizt er die Stimmung an, „wir werden Frau Merkel jagen!“

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Wer ist dieser Gauland, der seine Partei als Spitzenkandidat in den Bundestag führte? Mit 29 Jahren arbeitete der Sohn eines Polizeioffiziers für das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung. Seither perfektionierte Gauland als Presseattaché, Zeitungsherausgeber, Buchautor und Kolumnist in fünf Jahrzehnten die Kunst, mit dem Jonglieren von Reizworten größtmögliche Stimmung zu erzeugen. Dabei schuf er mit Vorstößen, Dementis, zaghaften Bestätigungen und neuen Provokationen ein nebulöses Geflecht, in dem sich viele Randständige und heimatlos Gewordene, Nationalliberale, Konservative und Rechtsextreme ein neues Nest einrichten konnten. Das Einsammeln all dieser Gruppen, verknüpft mit Anti-Islam-, Anti-Flüchtlings- und Anti-Merkel-Stimmung, hat die AfD so stark werden lassen.

Es ist der späte Triumph des 76-jährigen Gauland, der nach 40 Jahren CDU-Mitgliedschaft den Wandel der Partei nicht mehr ertragen hatte. Dabei war er selbst 1973 in eine CDU eingetreten, die sich gerade modernisierte. Als Vertrauter des hessischen CDU-Politikers Walter Wallmann lernte er an den Schaltstellen der Unionsfraktion, der Frankfurter Stadtverwaltung, des Bundesumweltministeriums und der hessischen Staatskanzlei, bundesdeutsche Politik aus der Macherperspektive kennen.

Gleichwohl blieb bei ihm Enttäuschung über die Kohl-Ära zurück. Er vermisste die „geistig-moralische Wende“, mit der Helmut Kohl ein neues konservatives Wertefundament bauen wollte. In dieser Enttäuschung findet sich eine Parallele zum bei der AfD verbreiteten Schimpfen auf das „links-rot-grün-versiffte 68er-Deutschland“. Gauland ist das Gesicht des wohligen Damals-Deutschland-Gefühls. Somit ist er für die CDU das, was Oskar Lafontaine für die SPD war: Anführer derer, die mit den Positionswandlungen ihrer Partei nicht klarkommen.

Aber er steht auch für die Irritationen in der CDU, die nach jedem Fraktions- und Parteiausschluss entstanden waren, wenn sich mal wieder ein Nationalkonservativer bei Holocaust-Vergleichen ins Abseits gestellt hatte. Es war ein Austesten dessen, was mit zunehmendem Abstand zur Katastrophe der Naziherrschaft schon wieder sagbar geworden schien.

Gauland überschreitet Grenzen. Er wendet sich gegen Parteiausschlüsse, wenn Mitglieder von „Schuldkult“ oder „Denkmal der Schande“ sprechen. Und er liefert selbst neue Stichworte, mit dem „Entsorgen“ von politischen Gegnern oder dem „Stolz“ auf deutsche Soldaten in Weltkriegen. Wo die Union nach der Devise lebt, dass es rechts neben ihr keine demokratische Kraft geben dürfe, geht Gauland weiter: im Ergebnis dahin, (fast) alles rechts neben ihm demokratisch zu legitimieren. Damit leistet er seinen Beitrag zum absehbaren Auseinanderbrechen der AfD. Das dürfte schon in der Stunde des Triumphes beginnen.

Von Gregor Mayntz und Julia Rathke