Das letzte Schweigen

Schatten der Vergangenenheit: Ihre schreckliche Tat an einem kleinen Mädchen holt Peer Sommer (Ulrich Thomsen) und Timo Friedrich (Wotan Wilke Möhring) 23 Jahre später wieder ein.
Schatten der Vergangenenheit: Ihre schreckliche Tat an einem kleinen Mädchen holt Peer Sommer (Ulrich Thomsen) und Timo Friedrich (Wotan Wilke Möhring) 23 Jahre später wieder ein. Foto: Verleih

Ein Mädchen verschwindet, nur sein Fahrrad wird gefunden. 23 Jahre zuvor hat es einen ähnlichen Fall gegeben. Doch in einer kaputten Welt ist auch auf die Polizei kein Verlass mehr. Mit einem hochrangigen Ensemble schuf Baran bo Odar einen packenden Film noir.

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Forschend zieht die Kamera immer wieder über endlose, in der Sommerhitze flirrende Getreidefelder und einsame, dunkle Tümpel. Die Erde aber bleibt still und gibt ihre düsteren Geheimnisse nicht preis. Tief in der Vergangenheit gründen die Verbrechen, von denen Baran bo Odar im melodramatischen Thriller „Das letzte Schweigen“ erzählt. Kindesmissbrauch und Mord – bis in die Gegenwart zersetzen die Untaten Seele und Leben Betroffener. Mit einem hochrangigen Darsteller-Ensemble schuf der Kinoregie-Debütant nach einem Roman einen modernen Film noir. Der packt den Zuschauer schleichend und hinterlässt ein Gefühl der Verunsicherung.

Es beginnt am 8. Juli 1986. Ein roter Audi fährt langsam über einen Feldweg. Ein Mann (Ulrich Thomsen) steigt aus, vergewaltigt und tötet ein Mädchen. Sein jugendlicher Begleiter (Wotan Wilke Möhring) sieht entsetzt zu. Das Fahrrad der Kleinen landet im Korn, ihre Leiche verschwindet. Exakt 23 Jahre später schockiert ein sehr ähnlicher Fall die Öffentlichkeit. Doch der selbstherrliche Kommissar (Oliver Stokowski) will die Parallelen nicht sehen. Die fahrigen Ermittlungen zweier Außenseiter, des Ex-Polizisten Krischan (Burghart Klaußner, „Das weiße Band“) und seines labilen jungen Kollegen David (Sebastian Blomberg), werfen Schlaglichter auf Abgründe, Lebenslügen, Egoismen und Neurosen der Bewohner einer Kleinstadt.

Der russischstämmige Odar, 1978 in der Schweiz geboren, drehte den Psychofilm unter anderem an Orten seiner Kindheit – im fränkischen Erlangen. „Meistens sind Thriller ja in der Großstadt angesiedelt. Doch ich finde, das Monströse herrscht auch in Kleinstädten – hinter den Türen der Einfamilienhäuser“, sagt der Regisseur.

Dabei mag der Kinobesucher anfangs noch Unwillen verspüren: Verwirrend wirkt die Vielzahl der Figuren, konventionell oder dick aufgetragen manche künstlerischen Mittel. So sind eine surrend hohe Tonkulisse zwecks Spannungssteigerung oder ein Rummelplatz als Symbol einer fratzenhaften, entfremdeten Welt allzu bekannt. Trotzdem kriecht „Das letzte Schweigen“ mehr und mehr unter die Haut, lässt mitfiebern und mitfürchten. Dafür sorgen auch hektisch geschnittene Szenen, verschachtelte Zeit- und Raumebenen sowie verschwommene Ansichten einer idyllischen Umgebung, in der muffig-sterile Wohnungen seit 1986 unverändert geblieben sind.

Hier schlägt die Stunde der Schauspieler, darunter auch Katrin Sass und Karoline Eichhorn. Mit oft verhaltener Mimik und Gestik erlauben sie immer wieder Blicke hinter die Alltagsmasken. Das ist Odars Hauptstrategie, um mit diesem Thriller jenseits von Action- Spektakel zu wirken. Sehr zurückgenommen zeichnet etwa Sass („Good Bye, Lenin!“) die innerlich in lebenslanger Trauer erstarrte Mutter, die tapfer und wie im Ritual joggt und Partys besucht. Um die Hoffnungslosigkeit ihrer Affäre mit dem derben Krischan auf den Punkt zu bringen, genügt dem Regisseur die kalte Schulter, die er ihr nach dem ersten Sex zeigt. Gottverlassen und verloren erscheinen die Menschen – wären da nicht doch, dann und wann, kleine Zeichen der Liebe und Barmherzigkeit.