Vor allem eine Augenweide: Kostümfilm „Young Victoria“

Sie können es nicht lassen, die Briten: Neben Teetrinken und Schlangestehen gehören auch Kostümfilme zu den Traditionen, von denen das Inselvolk noch lange nicht genug zu bekommen scheint. Und nur allzu gern mag der Rest der westlichen Welt davon profitieren.

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Sie können es nicht lassen, die Briten: Neben Teetrinken und Schlangestehen gehören auch Kostümfilme zu den Traditionen, von denen das Inselvolk noch lange nicht genug zu bekommen scheint. Und nur allzu gern mag der Rest der westlichen Welt davon profitieren.

Seien es Roman-Adaptionen nach Jane Austens „Sinn und Sinnlichkeit“ (1995) und Evelyn Waughs „Wiedersehen in Brideshead“ (2008) oder authentisch angelegte Königinnen-Dramen wie „Elizabeth“ (1998) und „The Queen“ (2006): In demokratisch- schlamperten Zeiten weidet sich durchaus nicht nur weibliches Publikum am Flair der höheren Stände vergangener Tage und an prachtvoller Ausstattung, die Menschheits-Themen wie Liebe und Macht, Romantik und Intrige ästhetisch erhebend darzubieten wissen.

Eindeutig in diese Kategorie gehört die britisch-amerikanische Produktion „Young Victoria“ des in Kanada geborenen Regisseurs Jean- Marc Vallée (C.R.A.Z.Y., 2005). Seine optisch prunkvolle historische Romanze mit der aufstrebenden Emily Blunt („Der Teufel trägt Prada“, „Sunshine Cleaning“) in der Titelrolle erzählt von den Werdejahren einer Königin, die später einem Zeitalter ihren Namen gab und als Großmutter Europas, die über ein Drittel der Weltbevölkerung herrschte, in Erinnerung bleiben sollte.

Doch auch eine hochadelige Granny war mal jung und so bilden die ersten politischen Durchsetzungsversuche der 18 Jahre alten Queen Victoria (1819-1901) und ihre Liebe zum patenten, sozial eingestellten Coburger Cousin und Gemahl Albert (Rupert Friend) die Themen des trotz alledem eher undramatisch und gepflegt-langweilig geratenen Films.

Dafür, dass geschichtlich alles mit rechten Dingen zugeht, bürgen zwei Semi-Aristokraten. So stammt das Drehbuch von Society-Mitglied Julian Fellowes („Gosford Park“, 2001). Und zu den Produzenten zählt neben den Mogulen Graham King und Martin Scorsese gar Sarah Ferguson, Herzogin von York und Ex-Ehefrau des Prinzen Andrew. Deren Tochter Beatrice (21) hat denn auch gleich zu Beginn einen Cameo-Auftritt in Westminster Abbey. Gedreht wurde mit dem deutschen Kameramann Hagen Bogdanski in zahlreichen Schlössern und Gärten des Königreichs.

Jedoch: Auch ein Palast kann ein Gefängnis sein, erklingt eingangs die Stimme der Protagonistin aus dem Off und was folgt, lassen die aparte, stilvoll agierende Blunt und ihre stattlichen Kollegen zur Lektion in Sachen Härten des Hoflebens, und wie man sich dagegen wehrt, geraten. Umgeben von aufrichtigen und falschen Beratern wie Premierminister Lord Melbourne (Paul Bettany), dem düsteren Sir John Conroy (Mark Strong) sowie ihrer eigenen Mutter (Miranda Richardson) ist es zum Beispiel Victorias erste Amtshandlung als Königin, mit dem Kensington-System zu brechen, nach dem sie erzogen wurde: Von nun an gestattet sie sich, allein eine Treppe hinauf- und hinab zu steigen.

Hilfe bei solchen persönlichen Befreiungsakten sowie bei politischen Entscheidungen, etwa in Bezug auf die immer größer werdende Arbeiterklasse, erhält sie ausgerechnet von dem Mann, mit dem sie Belgiens König Leopold (Thomas Kretschmann) eigentlich nur verkuppeln will – von Prinz Albert, dem Bruder Leopolds. Der hofft, durch eine Heirat selbst Einfluss auf das britische Königshaus zu bekommen. Prinz Albert war, das ist belegt, der Klügere neben der impulsiven Victoria, die das Volk oft gegen sich aufbrachte.

All dem zuzuschauen, macht nicht dümmer, wenngleich die Geschehnisse manchmal wie abgehakt wirken und auch nicht jede einzelne Figur und Konstellation aus dem England des frühen 19. Jahrhunderts dem deutschen Zuschauer vertraut sein dürfte. Störend wirkt dabei einzig die pompöse Dauer-Musikkulisse, zu der auch Sinead O'Connors Titelsong „Only You“ gehört.

Letztendlich bleiben das größte Plus von Vallées Leinwandwerk die wahrhaft wunderschönen Schlösser, Kleider und Frisuren. So bekam Sandy Powell im vergangenen März auch sehr verdient den Oscar für das „beste Kostümdesign“. (Achtung: Dazu sendet dpa ein Interview mit Kameramann Hagen Bogdanski) (Internet: www.youngvictoria-film.de)

Ulrike Cordes