Grenzen: Festung Europa schottet sich immer mehr ab

Wenn sich am Donnerstag Europas Regierungschefs beim EUGipfel mit der Flüchtlingspolitik beschäftigen, dann könnte es diesmal tatsächlich nicht nur um die Sicherung der Außengrenzen gehen.

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Von unserem Redakteur Dietmar Telser

Gerettet: Flüchtlinge auf dem Weg nach Europa.
Gerettet: Flüchtlinge auf dem Weg nach Europa.
Foto: dpa

Zu sehr wirken noch die dramatischen Bilder von Lampedusa nach, als Hunderte Menschen auf ihrem Weg nach Europa im Meer ertranken. Europa, so forderte vergangene Woche der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz (SPD), braucht eine Reform der Einwanderungsgesetze. Dabei ist eigentlich bereits das Wort eine Täuschung. Europa hat in den vergangenen Jahrzehnten seine Anstrengungen vor allem auf die Verhinderung von Einwanderung konzentriert.

Mit der Gründung der Agentur Frontex im Jahr 2005 wurde die Überwachung der Grenzen perfektioniert. Die Eingreiftruppe kontrolliert gemeinsam mit nationalen Grenzpolizisten jene Übergänge, die besonders stark von Flüchtlingen genutzt werden. Dazu kommt, dass Nationalstaaten mit EU-Geldern ihre Grenzübergänge so stark aufgerüstet haben, wie seit dem Kalten Krieg nicht mehr.

Vor den spanischen Exklaven Ceuta und Melilla sind Hochsicherheitszäune entstanden, als gelte es, einen Krieg zu führen gegen die, die in den meisten Fällen nur Schutz vor Vertreibung suchen. Die Folgen der Abschreckung sind fatal. Wer nichts zu verlieren hat, scheut auch die riskantesten Wege nicht mehr. Seit der Errichtung eines Grenzzaunes am türkischen Fluss Evros nehmen die Menschen die viel gefährlichere Route über die Ägäischen Inseln. Afrikaner, die sich im postrevolutionären Libyen nicht mehr sicher fühlen können, versuchen ihr Glück über den nördlichen Sinai.

Wer dort den Menschen- und Organhändlern entkommt, wird spätestens von israelischen Soldaten aufgegriffen. Auf dem Sinai entsteht derzeit in der Wüste das größte Abschiebegefängnis der Welt. Wenn sie es dennoch schaffen, die Grenze zu überqueren, greift ein zweiter Schutzwall vor Deutschland. Die Drittstaatenregelung Dublin II, Ausgeburt der deutschen Asylgesetze der 90er- Jahre, als Asylbewerberheime brannten, legt fest, dass jener Staat sich um den Flüchtling kümmern muss, den dieser als Erstes betritt.

Die EU-Binnenländer halten so die größten Flüchtlingsströme von sich fern. So zwingt die EU Menschen, die etwa Schutz und Hilfe bei Verwandten in Deutschland bekommen könnten, zu einem Aufenthalt in Italien, wo sie kaum staatliche Hilfe zu erwarten haben. Deutschland schiebt so die Verantwortung auf die südlichen Staaten der EU ab, die mit den Flüchtlingsströmen heillos überfordert sind. Nicht ganz zu Unrecht fordern sie vom wirtschaftlichen Musterknaben Deutschland mehr Solidarität.

Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) argumentiert gern, dass Deutschland mit mehr als 65 000 Erstanträgen auf Asyl im Jahr 2012 die größte Zahl an Anfragen in Europa verzeichnet. Tatsächlich ignoriert er dabei, dass in den 90er-Jahren noch doppelt so viele Anträge gestellt wurden und dass Deutschland, gemessen an der Einwohnerzahl, weit hinter Ländern wie Schweden, Belgien und Malta liegt.

Auch das Wirtschaftssorgenkind Griechenland muss mit gleich viel Asylanträgen pro Kopf umgehen, obwohl viele Anträge dort gar nicht erst bearbeitet werden. Was Friedrich ebenso verschweigt: Nicht europäische Länder nehmen deutlich mehr Menschen auf. Das wasserarme Jordanien, das weniger als ein Zehntel so viel Einwohner wie Deutschland hat, beherbergt 300 000 Flüchtlinge allein aus Syrien.

Was tun? EU-Parlamentspräsident Schulz hat die Einführung eines Verteilungsschlüssels gefordert, der Flüchtlinge besser auf Europa verteilt. Dies könnte ein erster Schritt für mehr Gerechtigkeit sein. Die Organisation Pro Asyl freilich geht weiter. Sie will eine Änderung der Drittstaatenregelung. Jeder Flüchtling soll dort Asyl beantragen können, wo er auch bleiben möchte. Doch auch dafür müssten sie erst mal Europas Zäune überwinden.