Vilnius (dpa) - Bei der Suche nach der Ursache für den Absturz eines Frachtflugzeugs aus Deutschland in Litauen erhoffen sich die Ermittler wichtige Erkenntnisse vom Auswerten der Flugschreiber. Der Flugdatenschreiber und der Stimmenrekorder der Swift-Air-Maschine, die im Auftrag von DHL von Leipzig nach Vilnius unterwegs war, sollen dabei in Deutschland untersucht werden, wie die litauischen Behörden mitteilten. Die beiden Geräte, auch als «Black Box» bekannt, könnten Aufschluss über den Grund für den Absturz geben, der trotz Fortschritten bei den Ermittlungen weiter unklar ist. Bislang deute aber nichts auf einen Sabotageakt hin.
Das Flugzeug war am frühen Montagmorgen kurz vor der geplanten Landung in der Nähe des Flughafens Vilnius in ein Wohngebiet gestürzt und am Boden zerschellt. Eines der vier Besatzungsmitglieder kam ums Leben, drei weitere - darunter ein Deutscher - werden im Krankenhaus behandelt. Anwohner wurden nicht verletzt.
Ermittler bauen auf die Auswertung der Black Box
Die litauischen Behörden haben nach dem Absturz umfassende Ermittlungen eingeleitet. Im Zuge der Untersuchung der abgesperrten Absturzstelle begannen die Ermittler mit der Bergung der Trümmerteile der völlig zerstörten Maschine - sie sollten zur Untersuchung durch Experten in einen Hangar gebracht werden. Die Flugschreiber waren zuvor gefunden und geborgen worden.
«Wir planen, sie nach Deutschland zu schicken», sagte der Leiter der beim litauischen Justizministerium angesiedelten Stelle für Untersuchungen von Verkehrsunfällen, Laurynas Naujokaitis. Nach seinen Angaben sollte es für Spezialisten nicht schwierig sein, alle Daten aus den Flugschreibern zu extrahieren, da sie keine größeren Schäden erlitten haben. Der Flugdatenschreiber zeichnet die Flugdaten auf, der Stimmenrekorder die Gespräche im Cockpit.
Deutsche Ermittler beteiligen sich schon vor Ort an der Suche nach der Absturzursache. Auch aus Spanien und den USA sind Experten in Litauen eingetroffen. Sie werden dem Leiter des Nationalen Krisenmanagementzentrums, Vilmantas Vitkauskas, zufolge die Trümmer der Maschine analysieren. Die gewonnenen Erkenntnisse sollen dann mit den Daten aus den Flugschreibern verglichen werden.
Bislang keine Anzeichen für Sabotage
Weitere Informationen erhoffen die Ermittler sich auch durch die Befragung von überlebenden Besatzungsmitgliedern. Erste Gespräche hätten gezeigt, dass diese keine innerliche Unruhe verspürten, dass etwas Ungewöhnliches an Bord der Maschine vor sich gegangen ist, sagte der litauische Verteidigungsminister Laurynas Kasciunas. Auch habe eine visuelle Analyse ergeben, dass es keine äußeren Einwirkungen auf das landende Flugzeug gab.
«Nach allem, was wir jetzt haben und was wir wissen, gibt es keine Anzeichen dafür, dass es ein Sabotageakt vorliegen könnte», sagte Kasciunas dem litauischen Rundfunk zufolge vor Journalisten. «Es kann nichts ausgeschlossen werden, aber im Moment habe ich keine Argumente, etwas anderes zu sagen.» Auch Vitkauskas sagte, es bestehe die «Tendenz zu einer eher technischen Version des Flugzeugabsturzes».
Ermittlungen «in alle Richtungen»
Der Flugzeugabsturz wirft vor allem auch deshalb Fragen und Befürchtungen auf, weil deutsche Sicherheitsbehörden Ende August vor «unkonventionellen Brandsätzen» gewarnt hatten, die von Unbekannten über Frachtdienstleister verschickt werden. Die Warnung wurde damals in Sicherheitskreisen mit einem Vorfall im DHL-Logistikzentrum Leipzig in Verbindung gebracht, das als weltweites Drehkreuz des Unternehmens fungiert. Dort soll im Juli ein aus dem Baltikum verschicktes Paket Feuer gefangen haben, das einen Brandsatz enthielt. Basierend auf den Ermittlungen kam es auch in Litauen zu Festnahmen, die Anfang des Monats von der Generalstaatsanwaltschaft in Vilnius bestätigt wurden.
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock verlangte eine volle Aufklärung des Absturzes und sagte, die Behörden beider Länder ermittelten derzeit «in alle Richtungen». Nicht ausgeschlossen wird auch, dass Russland etwas damit zu tun haben könnte.
In der ARD-Sendung «Maischberger» ging es am Dienstagabend um die mögliche Rolle Russlands bei dem Absturz. Sandra Maischberger fragte den Generalinspekteur der Bundeswehr, Carsten Breuer, ob es sein könne, dass getestet werde, welche Schwachstellen es gebe. Breuer sagte daraufhin: «Sie meinen ein Test von Russland uns gegenüber? Ja, absolut.»
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