Bern/Bregaglia

Dessert aus Esskastanien

«Würmchen» mit Sahne: Was sich hinter Vermicelles verbirgt

Von dpa/tmn
Vermicelles
Klassisch dekoriert: Vermicelles aus Maronenpüree, Meringues, Cocktailkirschen, Sahne und Minze. (zu dpa: ««Würmchen» mit Sahne: Was sich hinter Vermicelles verbirgt») Foto: Christin Klose/DPA

Sie kennen Vermicelles nicht? Das heißt übersetzt «Würmchen». Was schräg klingt, ist ein Dessert aus pürierten Esskastanien, Schaumgebäck und Sahne – und nicht zu verwechseln mit dünnen Spaghetti.

Lesezeit: 4 Minuten
Anzeige

Bern/Bregaglia (dpa/tmn) – Manche Speisen und Getränke klingen einladender, wenn man ihre französischen oder italienischen Namen benutzt. Der Weißwein Chasselas zum Beispiel, im Schweizer Kanton Wallis auch Fendant genannt. Hinter ihm verbirgt sich nichts anderes als die Rebsorte Gutedel. Auch der Name des Desserts Vermicelles klingt auf Italienisch appetitlicher. Denn der Name Vermicelles leitet sich vom italienischen «vermicelli» ab und heißt übersetzt «Würmchen».

Um Verwechslungen vorzubeugen: Vermicelli sind besonders dünne Spaghetti, Vermicelles ein Schweizer Dessert-Klassiker aus dem Püree der Esskastanie. Tatsächlich erinnert das Dessert optisch an Spaghetti-Eis. Im Unterschied zu dem Eisbecher bestehen die Spaghetti aber nicht aus Eis, sondern eben aus besagtem Püree, das in «Würmchen» geformt wird.

Frucht einer Edelkastanie
Esskastanien haben im Gegensatz zu den nicht essbaren Rosskastanien eine viel dichtere Stachelhülle. (zu dpa: ««Würmchen» mit Sahne: Was sich hinter Vermicelles verbirgt»)
Foto: Daniel Reinhardt/DPA

Und in diese Würmchen sind unsere Schweizer Nachbarn ganz vernarrt. Doch die Köstlichkeit scheint es bislang nicht über die Grenze geschafft zu haben. «In Deutschland ist Vermicelles weitgehend unbekannt», sagt Sabine Heide, Projektleiterin Genuss bei Swissmilk in der Schweiz. Swissmilk ist die Marketing-Organisation der Schweizer Milchproduzentinnen und Milchproduzenten (SMP) mit Sitz in Bern. Die ausgebildete Konditorin und studierte Lebensmitteltechnologin entwickelt hier Rezepte, die Milch oder Milchprodukte enthalten. Die Grundzutat für Vermicelles ist aber eine andere.

Maroni, Sahne und Meringue

Ein Mann hält Esskastanien in den Händen
Die Esskastanie wird auch Edelkastanie genannt. Sie gehört zu den Buchengewächsen, ihre Früchte zählen botanisch zu den Nüssen, wie Haselnüsse oder Walnüsse. (zu dpa: ««Würmchen» mit Sahne: Was sich hinter Vermicelles verbirgt»)
Foto: Arno Burgi/DPA

Die Schweizer nennen Esskastanien bzw. Edelkastanien Maronen oder Marroni. Und «marrone» heißt nichts anderes als «braun» auf Italienisch. Das rührt natürlich daher, da innerhalb der Schweiz die Marroni hauptsächlich in den südlichen Kantonen Tessin und in Graubünden wachsen, und dort spricht man eben die Schweizer Landessprachen Italienisch und Rätoromanisch.

Geschälte Maronen
Geschälte Maronen gibt es in Deutschland meist nur saisonal zu kaufen. (zu dpa: ««Würmchen» mit Sahne: Was sich hinter Vermicelles verbirgt»)
Foto: Christin Klose/DPA

Die klassische Vermicelles-Rezeptur mit Kastanien, Schlagsahne und Schaumgebäck lässt schon erahnen, dass es sich um einen üppigen Nachtisch handelt. «Es gibt auch Kombinationen mit Früchten, aber das ist eher untypisch. Die Schweizer sind bei Vermicelles sehr klar: Sie besteht aus pürierten Maronen, Meringue und Schlagsahne – sonst nichts», so Heide.

Geschälte Kastanien im Supermarkt? Zugreifen!

Vermicelles
Die Zutaten für Vermicelles lassen die Üppigkeit erahnen: Maronen, Meringues, Sahne, Milch, Vanille, Zucker, Kirschwasser und Cocktailkirschen. (zu dpa: ««Würmchen» mit Sahne: Was sich hinter Vermicelles verbirgt»)
Foto: Christin Klose/DPA

Das Gute an Vermicelles ist die Einfachheit der Zubereitung, wenn man auf geschälte Kastanien oder fertiges Püree zugreift. In der Schweiz findet man fertiges Maronenpüree viereckig in Blöcken, ähnlich wie Butter, im Kühlregal oder bekommt sogar die fertige Vermicelles-Masse in der Tube samt Aufsatz für die Würmchen. Die gibt es in Deutschland eher nicht. Und während man in Schweizer Supermärkten geschälte Maronen tiefgefroren fast das ganze Jahr über bekommt, ist diese Zutat in Deutschland frisch, foliert oder gefroren eher ein saisonales Produkt.

Vermicelles
Baiser dazu? Dessen Textur sorgt für einen Kontrast. (zu dpa: ««Würmchen» mit Sahne: Was sich hinter Vermicelles verbirgt»)
Foto: Christin Klose/DPA

Wer also im deutschen Supermarkt TK-Kastanien oder folierte geschälte Kastanien entdeckt, sollte zugreifen und sich einen kleinen Vorrat zulegen. Gut zu wissen: Kastanien sind glutenfrei und daher auch für Menschen mit Zöliakie bekömmlich.

Esskastanien nicht mit Rosskastanien verwechseln!

Vermicelles
Instagrammable – auch das kann Vermicelles. (zu dpa: ««Würmchen» mit Sahne: Was sich hinter Vermicelles verbirgt»)
Foto: Christin Klose/DPA

Für die Sammler-Fraktion gilt: Esskastanien wachsen wild in der Pfalz und in Baden. Sicherheitshalber sei hier erwähnt: Bitte Esskastanien nicht mit Rosskastanien verwechseln. Die Esskastanie (castanea sativa) gehört zu den Buchengewächsen, ihre Früchte zählen botanisch zu den Nüssen, wie etwa Haselnüsse oder Walnüsse. Die Rosskastanie ist dagegen ein Seifenbaumgewächs und nicht essbar.

Fertige Vermicelles aus dem Supermarkt
Die Schweizer greifen beim Vermicelles letztendlich gerne auf Convenience-Produkte zurück oder kaufen sie gleich fix und fertig als Törtchen im Supermarkt. (zu dpa: ««Würmchen» mit Sahne: Was sich hinter Vermicelles verbirgt»)
Foto: Geraldine Friedrich/DPA

Gut erkennbar sind die Unterschiede an der stacheligen Hülle: Während bei der Esskastanie die Stacheln dicht an dicht sitzen, sind die Abstände der Stacheln bei der Rosskastanie viel größer. Die Früchte der Esskastanie sind zu einer Seite abgeflacht, ihr oberes Ende verläuft spitz zu und enthält eine Art Pinsel, den die Rosskastanie nicht hat. Die Früchte der Rosskastanie sind dagegen runder.

In der Schweiz gedeihen die Marroni besonders gut in der klimatisch begünstigten Gemeinde Bergell. Bergell oder auf Italienisch Bregaglia liegt nämlich bereits auf der Südseite der Alpen und grenzt an Italien. Dort bewirtschaften Kastanienbauern ihre Bäume in sogenannten Selven und dörren die geschälten Früchte in einer Räucherhütte, der Cascina.

Seit Jahrhunderten verarbeiten die Südschweizer ihre Kastanien zu Mehl und backen daraus Kastanienkuchen und Kastanienbrot. Sie nutzen die Früchte als Zutat für Salami und Likör, legen sie in Cognac ein oder machen daraus üppige Dessert wie Vermicelles.

Manuela Marazzi stammt aus Bondo, einem von sechs Dörfern der Gemeinde Bregaglia. Sie erntet von ihren eigenen Bäumen nicht nur jährlich bis zu 300 Kilogramm Kastanien, sondern sie ist auch eine der größten Produzentinnen für lokale Kastanienprodukte.

Vermicelles mit und ohne Räuchernote

Die 52-jährige bereitet ihr Vermicelles – im Gegensatz zu Heide – aus gedörrten Kastanien zu. Dadurch bekommt die Vermicelles eine besondere Räuchernote, denn in den Cascinas werden die Maronen ja per heißem Rauch getrocknet und damit auch gleichzeitig etwas geräuchert.

Allerdings müssen die gedörrten Kastanien erst wieder schonend aufquellen. Marazzi erledigt das mit einem Dampfkochtopf. Sie gibt aber auch zu: «Ein Vermicelles aus frischen Zutaten ist viel Arbeit. Das machen wir nicht so oft.»

Auch die Schweizer greifen beim Vermicelles letztendlich gerne auf Convenience-Produkte zurück oder kaufen sie gleich fix und fertig als Törtchen im Supermarkt. Egal, ob gekauft oder selbst zubereitet: Wer gerne Kastanien isst, für den ist Vermicelles in jedem Fall eine köstliche Erweiterung des Dessert-Portfolios.

© dpa-infocom, dpa:240925-930-243598/1