Naher Osten
Baerbock im Libanon: Völlige Destabilisierung «wäre fatal»
Baerbock macht sich in Beirut Bild der aktuellen Lage
Außenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) trifft den libanesischen Parlamentspräsident Nabih Berri. Vor dem Hintergrund des Kriegs zwischen Israel und der Hisbollah will sich Baerbock in der libanesischen Hauptstadt Beirut ein Bild von der Lage machen. (zu dpa: «Baerbock im Libanon: Völlige Destabilisierung «wäre fatal»»)
Jörg Blank. DPA

Es ist der vierte Libanon-Besuch von Außenministerin Baerbock seit dem Hamas-Angriff auf Israel vor einem Jahr. Doch diesmal kommt sie in ein Kriegsgebiet.

Aktualisiert am 23. Oktober 2024 17:33 Uhr

Beirut (dpa). Außenministerin Annalena Baerbock warnt angesichts des Kriegs zwischen Israel und der Schiitenmiliz Hisbollah im Libanon vor weitreichenden Konsequenzen für den Nahen Osten – und fordert eine neue diplomatische Offensive. Mit Blick auf den Libanon sagte sie bei einem Besuch in der Hauptstadt Beirut: «Eine völlige Destabilisierung des Landes wäre fatal für die religiös vielfältigste Gesellschaft aller Staaten im Nahen Osten und ebenso für die gesamte Region.»

In den vergangenen Wochen sei es Israel gelungen, die terroristische Hisbollah deutlich zu schwächen, sagte die Grünen-Politikerin. «Jetzt gilt es, gemeinsam mit unseren Partnern in den USA, Europa und der arabischen Welt eine tragfähige diplomatische Lösung zu erarbeiten, die die berechtigten Sicherheitsinteressen Israels und ebenso des Libanons wahrt.»

Baerbock fordert Umsetzung von UN-Resolution

Der Schlüssel zum Frieden liege in der vollen Umsetzung der UN-Resolution 1701, sagte Baerbock. Dabei komme auch den libanesischen Streitkräften eine wichtige Rolle zu. In Beirut und bei der Libanon-Konferenz in Paris am Donnerstag wolle sie «ausloten, wie wir auf diesem schwierigen Weg vorankommen können und zugleich dazu beitragen, das humanitäre Leid zu lindern». Baerbock traf sich auch mit dem Kommandeur der libanesischen Streitkräfte, General Joseph Aoun.

Israel fordert, dass sich die Hisbollah gemäß der Resolution des UN-Sicherheitsrats von der israelisch-libanesischen Grenze etwa 30 Kilometer weiter Richtung Norden hinter den Litani-Fluss zurückzieht. Israel will so die Sicherheit seiner Bürger im Norden gewährleisten.

Baerbock warnte, die humanitäre Lage im Libanon werde jeden Tag verzweifelter. Es sei unerträglich, «wie verantwortungslos sich Terroristen hinter Zivilistinnen und Zivilisten verstecken und von dort weiterhin Raketen auf Israel abfeuern». Gleichzeitig müsse Israel seine Einsätze an den engen Grenzen des Selbstverteidigungsrechts und des humanitären Völkerrechts ausrichten und das Leben unschuldiger Zivilisten schützen, forderte sie.

Israel bekämpft die Hisbollah mit Luftangriffen und Bodentruppen

Israel bekämpft im Libanon die vom Iran unterstützte Hisbollah mit Luftangriffen und im Süden des Landes auch mit Bodentruppen. Der aktuelle Krieg begann vor einem Jahr mit Raketenangriffen der libanesischen Miliz zur Unterstützung der Hamas, gegen die Israel im Gazastreifen seit dem Terrorangriff am 7. Oktober 2023 Krieg führt. Seitdem beschießen sich Israel und die Hisbollah im Grenzgebiet. Im September weitete Israel seine Angriffe im Libanon – aus der Luft und dann auch am Boden – massiv aus. Mehr als 2.500 Menschen wurden getötet, Tausende verletzt und Hunderttausende vertrieben, die meisten davon im Libanon.

Paul Ziemiak (CDU), Vorsitzender der deutsch-libanesischen Parlamentariergruppe, warnte bei dem Besuch in Beirut vor einem kompletten Kollaps des Libanons. Er hätte für Europa verheerende Folgen. Es brauche jetzt dringend neben humanitären Hilfen einen echten Plan für einen politischen Neustart des Landes.

Videoschalte Baerbocks mit Unifil-Kommandeuren

Baerbock war am Vormittag in einer kleinen Maschine der Flugbereitschaft der Bundeswehr auf dem internationalen Rafik-Hariri-Flughafen in der libanesischen Hauptstadt gelandet. Es ist bereits die vierte Reise der deutschen Außenministerin in den Libanon seit dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 mit rund 1.200 Toten. Direkt nach der Ankunft kam Baerbock mit dem Parlamentspräsidenten und Hisbollah-Verbündeten Nabih Berri zusammen.

Um das Risiko zu vermindern, von einer militärischen Aktion Israels gegen die Hisbollah in Beirut betroffen zu werden, verlief der Besuch Baerbocks nach einem engeren Zeitkorsett als sonst üblich. Genaue Orte, Zeiten und Routen ihres Konvois waren der israelischen Seite zuvor mitgeteilt worden.

Im Krisenreaktionszentrum des Libanesischen Roten Kreuzes ließ sich die Ministerin die Arbeit bei der medizinischen Notfallversorgung auch im Süden des Landes zeigen. Ein Mitarbeiter berichtete Baerbock, kurz vor ihrem Besuch seien Rot-Kreuz-Retter in dem Gebiet unter Feuer geraten – obwohl ihr Einsatz vorher angekündigt gewesen sei. Unabhängig ließen sich die Angaben nicht überprüfen.

In der deutschen Botschaft ließ sich die Ministerin später per Videokonferenz vom Chef der UN-Blauhelmtruppe Unifil, General Aroldo Saenz, sowie dem Kommandeur der maritimen Einsatzgruppe, dem deutschen Flottenadmiral Richard Kesten, über die Lage informieren. In den vergangenen Wochen waren Stützpunkte der Friedenstruppe mehrfach unter Beschuss des israelischen Militärs geraten.

Baerbock: Angriffe auf UN-Blauhelme verstoßen gegen Völkerrecht

Für alle Konfliktparteien gelte die Verpflichtung zum Schutz von UN-Friedenstruppen, sagte Baerbock. Die UN-Blauhelmtruppe Unifil werde für eine politische Lösung gebraucht. «Jeglicher bewusster Angriff auf UN-Blauhelme verstößt gegen das humanitäre Völkerrecht.»

Mit Hinblick auf die humanitäre Lage im Gazastreifen rief die Grünen-Politikerin die israelische Regierung mit Nachdruck auf, mehr Hilfe für die notleidende Zivilbevölkerung zu ermöglichen. Insbesondere im Norden Gazas werde die Lage von Tag zu Tag verzweifelter. Die Region sei seit 19 Tagen vollständig abgeriegelt, «humanitäre Hilfe kommt nur tröpfchenweise herein», ergänzte Baerbock.

Gleichzeitig verteidigte sie deutsche Waffenlieferungen an Israel. Deutschland habe deutlich gemacht, Israel bei seinem Recht auf Selbstverteidigung zu unterstützen – «auch mit Waffen». Jede Waffenlieferung sei an das humanitäre Völkerrecht gebunden. «Dafür trägt die israelische Regierung eine Verantwortung, dass dieses humanitäre Völkerrecht befolgt wird», so Baerbock.

Von Beirut aus wollte Baerbock am Abend nach Paris weiterreisen, wo sie an diesem Donnerstag an einer von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron organisierten internationalen Hilfskonferenz für den Libanon teilnehmen will.

Israelisches Militär greift libanesische Küstenstadt Tyrus an

Das israelische Militär griff nach Angaben der libanesischen Nachrichtenagentur NNA die Küstenstadt Tyrus an. Auf Live-Bildern im arabischen Fernsehen war zu sehen, wie dichte Rauchwolken aus Gebäuden in der Innenstadt aufstiegen. Zuvor hatte das israelische Militär Evakuierungsaufrufe an die Bewohner gerichtet. Das israelische Militär bestätigte die Angriffe und teilte mit, es seien verschiedene Kommando- und Kontrollzentren der Schiitenmiliz Hisbollah angegriffen worden.

Israel bestätigt Tötung mutmaßlichen Nasrallah-Nachfolgers

Israels Militär bestätigte die Tötung des mutmaßlichen Nachfolgers von Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah. Haschim Safi al-Din sei vor rund drei Wochen bei einem Angriff auf das Hauptquartier des Hisbollah-Geheimdienstes in einem Vorort der Hauptstadt Beirut getötet worden, teilte das Militär am Abend mit. Auch die libanesische Hisbollah-Miliz bestätigte die Tötung des mutmaßlichen Nachfolgers.

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