Berlin

„Wir sorgen für eine zweite Welle vor“: Gesundheitsminister Spahn will das Land für die Corona-Zukunft wappnen

Von Eva Quadbeck
Sieht Deutschland bei der Versorgung mit Schutzmasken mit Blick auf den Herbst gut gewappnet: Bundesgesundheitsminister Jens Spahn.  Foto: dpa
Sieht Deutschland bei der Versorgung mit Schutzmasken mit Blick auf den Herbst gut gewappnet: Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. Foto: dpa

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sieht Europa bei der Bekämpfung der Corona-Krise in einer tragenden Rolle: „Europa braucht einen besseren Mechanismus für Gesundheitskrisen: die EU als Kern eines Bündnisses zur gegenseitigen Unterstützung im Pandemiefall, eine Art Gesundheits-Nato.“ Welche Lehren er aus der bisherigen Corona-Pandemie zieht, erklärt er im Interview mit unserer Zeitung:

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Der Koalitionsausschuss hat beschlossen, für den Epidemiefall 1 Milliarde Euro in die Bevorratung mit Schutzausrüstung zu stecken. Wie schnell können Sie den notwendigen Vorrat aufbauen?

Sehr zügig. Denn wir haben uns bereits jetzt mehr als zwei Milliarden Masken vertraglich gesichert. Fast 600 Millionen davon sind schon verteilt oder liegen bei uns im Lager. Mehrere Kassenärztliche Vereinigungen und Länder wollen sogar keine Masken mehr annehmen, da ihre Depots voll sind. Und im Sommer wird auch die Maskenproduktion in Deutschland anlaufen. Das heißt: Wir sorgen jetzt umfassend für eine zweite Infektionswelle vor. Und wir bauen mittelfristig eine nationale Reserve für künftige Pandemien auf.

Was bedeutet es für Ihren Bereich, dass die Lohnnebenkosten nicht über 40 Prozent steigen sollen?

Zur Stabilisierung der Beiträge bekommt die Krankenversicherung 2020 zusätzlich 3,5 Milliarden und die Pflege 1,8 Milliarden Euro an Bundeszuschuss. Damit erhält die Pflegeversicherung zum ersten Mal in ihrer Geschichte Steuergeld. Das ist ein wichtiges Signal. Welche zusätzlichen Mittel für 2021 nötig sein werden, können wir belastbar erst im Herbst beantworten. Wichtig ist das Versprechen, dass in der Krise die Lohnnebenkosten stabil bleiben und die Sozialversicherungen dafür aus Steuermitteln bezuschusst werden.

Was muss Europa aus der Corona-Krise lernen?

Wir müssen uns als Europa mehr zutrauen und mehr trauen. Zumal in einer zunehmend bipolaren Weltlage, die durch China und die USA bestimmt wird. Es geht um eine Neudefinition unserer europäischen Rolle in der Welt. Europa als Schutz- und Innovationsgemeinschaft für die 20er-Jahre zu definieren, darum geht es. Es geht auch um das richtige Maß an Globalisierung. Bei Schutzmasken und Arzneimitteln sollten wir nicht so abhängig vom Weltmarkt sein. Es darf sich nicht in China entscheiden, ob eine Ärztin oder ein Pfleger in Berlin, Warschau oder Paris die benötigte Schutzmaske hat oder nicht.

Was bedeutet das für die Wirtschafts- und Industriepolitik?

Dass wir stärker in internationalen Zusammenhängen denken müssen. Nehmen Sie den Luftverkehr als Beispiel. Unser Anspruch muss sein, dass nach dieser Krise mindestens eine europäische Fluggesellschaft auf den vorderen Plätzen der Weltliga spielt. Das geht aber nur, wenn wir unseren Fluggesellschaften die Chance geben, durch Fusionen stark zu werden. Und dieses Prinzip gilt auch für andere Branchen wie Stahl, IT oder Banken. Wenn unsere Unternehmen im internationalen Wettbewerb eine Rolle spielen sollen, braucht es endlich eine Reform des europäischen Kartellrechts. Und eine europäische Wirtschafts- und Industriepolitik, die auch in diesen Dimensionen denkt, statt Nabelschau zu betreiben.

In Europa wird aber auf den Feldern zu wenig zusammengearbeitet, auf denen es möglich und nötig wäre – wie die Corona-Krise zeigt ...

Ja, es geht noch besser.

Hätte es eine europäische Taskforce geben müssen, die in den besonders betroffenen Gebieten wie in Norditalien einfach hilft?

Europa braucht einen besseren Mechanismus für Gesundheitskrisen, so wie wir auch einen für Finanzkrisen gefunden haben: die EU als Kern eines Bündnisses zur gegenseitigen Unterstützung im Pandemiefall, eine Art Gesundheits-Nato. Um schnell handlungsfähig zu sein, wenn in einem Mitgliedstaat ein Virus ausbricht, braucht es gemeinsame Strukturen, die auf Experten, Ärzte, Ressourcen zugreifen können. Dann müssen wir auch nicht 27-mal nationale Reserven mit Schutzmasken anlegen, sondern können eine europäische Reserve aufbauen. Zudem würde ich gern die europäische Gesundheitsbehörde ECDC zu einer Art europäischem Robert Koch-Institut ausbauen. All das werden wir im Zuge der EU-Ratspräsidentschaft besprechen.

Wie sehen Sie die Rolle der WHO?

Falls sich die USA aus der WHO tatsächlich zurückziehen, ist Deutschland dort einer der größten staatlichen Zahler. Daraus erwächst Verantwortung. In diesem Verständnis gilt es, eine europäische Position zur notwendigen WHO-Reform zu entwickeln. Klar ist: Es braucht diese globale Zusammenarbeit auch bei Gesundheit, das zeigt die Pandemie. Es braucht die koordinierende Rolle einer Weltgesundheitsorganisation, es braucht die Unterstützung ärmerer Länder zu unser aller Wohl. Klar ist aber auch: Die WHO muss besser werden. Aber das ist ein ständiger Prozess. Und das gilt für alle Organisationen dieser Größe.

Kann man aus der Krise lernen, wie man künftig die Eintragung eines solchen Virus nach Europa verhindern kann?

In einer globalisierten Welt lässt sich kaum verhindern, dass so ein Virus zu uns gelangt. Es wäre aber besser, wenn wir in Europa in Zukunft schneller eine gemeinsame Linie entwickeln. Dafür gibt es aber keine einfachen Lösungen. Viele wollten einfach Flüge aus China verbieten. In dem Fall hätten wir mehrere Hunderttausende Deutsche aus Asien zurückfliegen und zentral in Quarantäne nehmen müssen.

Zur Union: Haben die Ministerpräsidenten Laschet und Söder ihren internen Machtkampf in der Corona-Krise zu weit getrieben?

Ich habe zwei Ministerpräsidenten erlebt, die sich mit ihren Überzeugungen für die Bürger in ihren Bundesländern eingesetzt haben.

Gilt weiterhin, dass Sie im Dezember nicht als CDU-Chef antreten?

Ja.

Das Gespräch führten Eva Quadbeck und Jan Drebes