Le Mans

Vor 60 Jahren: Das Grauen von Le Mans

Der total zerstörte Mercedes des Franzosen Pierre Levegh.
Der total zerstörte Mercedes des Franzosen Pierre Levegh. Foto: dpa

Noch Stunden nach dem folgenschwersten Unfall der Motorsport-Geschichte schossen die Flammen aus dem zerstörten Mercedes von Pierre Levegh. Die Haupttribüne des 24-Stunden-Rennens von Le Mans bot ein Bild unfassbaren Grauens an diesem 11. Juni 1955.

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84 Tote zählten die Helfer am Ende, unter ihnen Levegh. Verletzte irrten durch das Chaos, während die Fahrer auf der Strecke ihre halsbrecherische Vollgas-Jagd einfach fortsetzten. «Es war eine Tragödie, bei der auf unglückliche Weise viele Faktoren zur selben Zeit zusammenkamen», sagte der damalige Mercedes-Pilot Stirling Moss.

60 Jahre später werden bei der 83. Auflage des Le-Mans-Spektakels an diesem Wochenende eine Reihe von Veranstaltungen an die Katastrophe erinnern. In den Akten sind die verhängnisvollen Ereignisse als unvermeidbarer Rennunfall archiviert, ein Gerichtsverfahren hat es nie gegeben. Klar indes scheint, dass die völlig unzureichenden Sicherheitsvorkehrungen und ein hochriskanter Fahrfehler des Briten Mike Hawthorn Auslöser des Todesdramas waren.

Um 18.26 Uhr, es lief die 35. Runde, kämpften Jaguar-Pilot Hawthorn und der Argentinier Juan Manuel Fangio im Mercedes heftig um die Spitze. Hawthorn wollte auf dem Weg zum dringend notwendigen Tankstopp unbedingt vorn bleiben und überholte kurz vor der Box noch den bereits überrundeten Lance Macklin im Austin Healey, scherte aber zu früh wieder ein.

Weil Macklins Bremsen zu schwach waren, musste er ausweichen. «Wäre Mike vom Gas gegangen und hinter Macklin geblieben, wäre nichts passiert», erklärte Beobachter Moss.

Von hinten rauschten nämlich der ebenfalls überrundete Levegh und Fangio in ihren Silberpfeilen heran. Levegh krachte ins Heck von Macklins Austin, der Mercedes hob ab und prallte auf den niedrigen Erdwall, der den einzigen Schutz für die Zuschauer darstellte. Wrackteile flogen in die Menge, der Tank explodierte. «Erst ein Feuerball. Und dann war es wie beim Dominospiel. Die Menschen sind reihenweise umgefallen», sagte Augenzeuge Daniel Oudin in einer TV-Dokumentation von 2010.

300 000 Menschen drängelten sich damals am Streckenrand. Vor der Haupttribüne standen die Zuschauer eng beieinander auf Kisten und Trittleitern, zum Teil nur durch Strohballen von der Piste getrennt. Die Sicherheit auf dem Circuit de la Sarthe war seit den 1920-er Jahren nicht mehr verbessert worden, obwohl die Autos inzwischen im Schnitt mit 200 Stundenkilometern über den Kurs rasten. «Als ich den Kopf hob, stand niemand mehr. Alles war wie weggefegt», beschrieb Augenzeuge Roland Jamin die Szenerie nach dem Unfall.

84 Menschen starben starben am 11. Juni 1955, unter ihnen der Franzose Pierre Levegh.
84 Menschen starben starben am 11. Juni 1955, unter ihnen der Franzose Pierre Levegh.
Foto: dpa

Doch das Rennen läuft weiter. Stundenlang wird bei Mercedes über einen Rückzug diskutiert, ehe Rennleiter Alfred Neubauer schließlich die zu diesem Zeitpunkt führenden Silberpfeile als Zeichen des Respekts vor den Toten anhalten lässt. Hawthorn aber fährt weiter – und gewinnt das Rennen gemeinsam mit seinem Landsmann Ivor Bueb. Bilder zeigen Hawthorn nach der Siegerehrung bei einem lächelnden Schluck aus der Schampuspulle. Eine Schuld an dem Unfall hat der spätere Formel-1-Weltmeister nie eingeräumt.

Als Folge des Unfalls werden Motorsport-Veranstaltungen in mehreren Ländern untersagt, in der Schweiz gilt bis heute das Verbot für Rundstreckenrennen. An vielen Strecken wird die Sicherheit verbessert. Zum Saisonende steigt Mercedes aus dem Motorsport aus. Der Beschluss allerdings war schon vor der Le-Mans-Tragödie gefallen, die Kosten für die Raserei waren dem Unternehmen zu hoch.

Der legendäre Fangio, der die Tragödie aus kurzer Distanz mitangesehen hatte, kehrte nie wieder nach Le Mans zurück. Sein Stallrivale Levegh hatte ihn kurz vor seinem Tod noch mit einem Handzeichen gewarnt. «Er war mein Lebensretter», meinte Fangio noch viele Jahre später.