Berlin

Strompreise: Netzkostenbefreiung wird zum Streitpunkt

Teure Vernetzung: Privatkunden müssen das Netzentgelt von immer mehr Unternehmen mittragen, da diese Firmen von den Kosten befreit werden.
Teure Vernetzung: Privatkunden müssen das Netzentgelt von immer mehr Unternehmen mittragen, da diese Firmen von den Kosten befreit werden. Foto: DPA

Der Strompreis steigt – nicht nur wegen der Förderumlage für erneuerbare Energien, sondern auch wegen voraussichtlich deutlich höherer Netzkosten. Die Ausnahmen für stromintensive Betriebe stoßen Verbraucherschützern sauer auf.

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Das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf berät über zwei Klagen regionaler Netzbetreiber gegen diese Netzentgeltbefreiungen. Das OLG äußerte Zweifel am Vorgehen der Bundesregierung, die Netzkosten für Unternehmen per Verordnung auf null zu setzen. Dies könne nach erster Bewertung nur per Gesetz geschehen, sagt der Vorsitzende Richter Wiegand Laubenstein. Hier Fragen und Antworten zu den Entgeltbefreiungen:

Wer wird auf welcher Grundlage von Netzentgelten befreit?

Die Stromnetzentgeltverordnung vom August 2011 befreit in Paragraf 19 Unternehmen mit einem hohen Verbrauch fast komplett von den Netzgebühren – und das rückwirkend ab 1. Januar 2011. Mehr als 200 Unternehmen, die mindestens 7000 Stunden pro Jahr am Netz hängen und mehr als zehn Millionen Kilowattstunden Strom verbrauchen, müssen keine Netzentgelte mehr zahlen. Das sind Unternehmen etwa der Chemie-, Baustoff- und Stahlindustrie. Bereits ab einem Stromverbrauch von 100 000 Kilowattstunden pro Jahr sinken die Netzkosten deutlich – insgesamt für Tausende Unternehmen.

Wie hoch sind die Kosten, und wer bezahlt die Rechnung?

Die Entlastung der Industrie bei den Netzentgelten für 2012 schätzt die Bundesnetzagentur auf 440 Millionen Euro, 2011 sollen es mehr als 400 Millionen Euro gewesen sein. Im kommenden Jahr werden es voraussichtlich mehr als 805 Millionen Euro sein, schätzen die Netzbetreiber. Übernehmen müssen diese Mindereinnahmen der Netzbetreiber die Verbraucher. Denn das Netzentgelt ist ein wichtiger Bestandteil des Strompreises: Laut Bundesnetzagentur macht es rund ein Fünftel des Preises aus.

Steht der Strompreis nicht ohnehin durch die EEG-Umlage unter Druck?

In der Tat steigt die EEG-Umlage zum nächsten Jahr von 3,6 auf 5,3 Cent pro Kilowattstunde – für den Durchschnittshaushalt eine Mehrbelastung von rund 60 Euro im Jahr. Auch bei der EEG-Umlage gibt es umfassende Ausnahmen für stromintensive Betriebe. Sie müssen nur 0,05 statt jetzt noch 3,6 Cent pro Kilowattstunde Umlage zahlen. 2012 profitieren nach Angaben des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle rund 700 Betriebe von diesen Teilbefreiungen, für 2013 haben schon mehr als 2000 Betriebe entsprechende Anträge gestellt.

Wie werden die hohen Netzkosten und Netzentgelt-Ausnahmen begründet?

Die Bundesregierung verweist darauf, dass gerade die Großabnehmer das Stromnetz stabil halten. Stabile Netze seien aber für ein Gelingen der Energiewende zentral. Außerdem dürfe die Industrie mit der Energiewende nicht überfordert werden. Schließlich zahlt die deutsche Industrie bereits rund doppelt so viel für den Strom wie in den USA. Die Netzbetreiber betonen ihre hohen Zusatzkosten für die Energiewende. Der zusätzliche Wind- und Sonnenstrom – regional ungleich verteilt und zeitlich unregelmäßig produziert – stelle die Netze vor Riesen-Herausforderungen: Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft beziffert das Investitionsvolumen bis 2020 auf bis zu 27 Milliarden Euro.

Aber begeistert sind auch die regionalen Netzbetreiber nicht?

Stadtwerke, die regional über ihre Netzgesellschaften den Strom zum Verbraucher bringen, fürchten den Zorn der Endkunden, wenn sie die Millionennachlässe für die Industrie mit höheren Strompreisen ausgleichen müssen – selbst wenn dies nach einer gewissen Schamfrist, also nicht gleich zum Jahreswechsel, passiert. Deshalb sind es auch zwei regionale Netzbetreiber, die beim Oberlandesgericht Düsseldorf klagen.

Sollen die Verbraucher trotzdem zahlen?

Der Bund der Energieverbraucher rät zum Verbraucherwechsel und zur Zahlungsverweigerung bei Preiserhöhungen. Einseitige Erhöhungen seien vielfach nur rechtens, wenn zugleich ein Sonderkündigungsrecht eingeräumt wurde. Und selbst wenn ein solches Recht zugesichert werde, müsse der Stromlieferant vor der Preiserhöhung bei allen preisbildenden Faktoren prüfen, ob er die erhöhte Umlage nicht selbst auffangen könne, betont der Bund der Energieverbraucher. Solange es keinen Nachweis für diese Billigkeitsprüfung gebe, könnten Kunden den alten Preis weiterzahlen. Ihnen dürfe der Strom nicht abgestellt werden.

Von Rolf Schraa