Berlin

Sieg mit bitterem Beigeschmack

Es ist gerade 17 Uhr, als ein Mercedes mit Kieler Kennzeichen vor der CDU-Parteizentrale vorfährt. Darin sitzt der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, Daniel Günther. Er führt im hohen Norden ein Jamaika-Bündnis an. Er wird wohl schon ahnen, dass er ein gefragter Gesprächspartner für die Kanzlerin und den Rest der Parteiführung sein wird. Schwarz-Gelb-Grün – wie geht das?

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Wenn Merkel im Kanzleramt bleiben will, wird sie CDU/CSU, Liberale und Grüne zusammenführen müssen. Trotz der herben Verluste feiert sie einen historischen Sieg. Sie kann nun vier weitere Jahre regieren und damit mit Helmut Kohl gleichziehen. Ein Platz in den Geschichtsbüchern ist ihr da sicher. Aber der Preis ist enorm hoch. Sie wird ein nächstes Regierungsbündnis mit einer inhaltlich ausgehöhlten, erschöpften und vom Wähler abgestraften Union anführen müssen. Dass man bis Weihnachten eine neue Regierung haben könnte, glaubt niemand in Berlin.

Merkel macht dennoch ihren Machtwillen deutlich: „Gegen uns kann keine Regierung gebildet werden“, ruft sie. Sie kündigt an, die Wähler der AfD zurückgewinnen zu wollen. „Wir haben den Auftrag, Verantwortung zu übernehmen. Das werden wir in aller Ruhe in Gesprächen mit anderen tun“, sagt sie.

Die Flüchtlingskrise und Merkels Entscheidungen von 2015 werden weiter als Schatten über einer künftigen Regierung liegen. Die AfD hat bereits einen Untersuchungsausschuss im Bundestag angekündigt. Von der CDU-Zentrale schaut man auch bang nach München. Die CSU hat dort ihr zweitschlechtestes Wahlergebnis der Nachkriegsgeschichte eingefahren. Auch sie konnte das Vermächtnis von Franz-Josef Strauß nicht erfüllen und es nicht verhindern, dass rechts der Union eine demokratisch legitimierte Kraft im Parlament sitzt. Vom Wähler abgestraft, dürfte die Schwesterpartei erst recht eine Obergrenze für Flüchtlinge fordern.

Noch vor vier Jahren stand die Union nahe der absoluten Mehrheit. Demgegenüber ist der Verlust dramatisch. Es ist Merkels schlechtestes Ergebnis bei ihren vier Bundestagswahlen als Kanzlerkandidatin der Union. Merkel hat gegen die in Teilen der Bevölkerung verbreitete Zwölf-Jahre-Merkel-sind-genug-Stimmung, die sich bei den AfD-Anhängern in einem „Merkel muss weg“ äußerte, gewonnen.

Während sich das geladene Parteivolk im Atrium des Adenauerhauses tummelt, sitzt die Kanzlerin mit ihren Vertrauten in der sechsten Etage zur Krisensitzung zusammen. Etwa eine Viertelstunde bevor die erste Prognose über die große Leinwand vor den Aufzügen Adenauerhaus flackert, positionieren sich die Männer und Frauen der Jungen Union mit ihren weißen Wahlkampfshirts vor den Kameras. „Voll muttiviert“ steht immer noch auf ihren Shirts. Die Parteiregie lässt die Wahlplakate mal einsammeln. Das hält die aufgekratzten Wahlkämpfer aber nicht davon ab, auch bei gut 32 Prozent der ersten Prognose laut zu jubeln.

Dabei ist das Ergebnis ein Desaster. Einige Parteimitglieder haben Tränen in den Augen. Als nur wenige Minuten nach 18 Uhr die TV-Bilder mit Gauland ins Adenauerhaus übertragen werden, stöhnt der Saal auf. „Einfach zum Kotzen“, sagt einer.

Als Erste findet die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer die Sprache wieder. Den erdrutschartigen Verlust erklärt sie damit, dass wohl viele Wähler zu früh dachten, die Wahl sei gelaufen. Zugleich ist sie optimistisch, dass man eine Jamaika-Koalition schmieden kann. Auch der frühere Hamburger Bürgermeister Ole von Beust ist zuversichtlich, was die neue Koalitionsoption angeht. „Die SPD meint das ernst, dass sie in die Opposition will. Angesichts des Ergebnisses ist das auch nachzuvollziehen, respektabel“, sagt er.

Das Adenauerhaus ist seit Tagen im Ausnahmezustand. TV-Teams aus aller Welt bauten ihre Technik auf. Das Interesse an der deutschen Wahl ist auch wegen des Einzugs der AfD in den Bundestag international groß. „Rechtspopulisten sind in vielen Ländern in Europa stark. Wegen der deutschen Geschichte sind wir aber besonders besorgt“, sagt ein französischer Kollege.

Von unserer Berliner Korrespondentin Eva Quadbeck

Lange Gesichter bei der Landes-CDU – Aber Klöckner sieht Union als Stabilitätsanker

Bei der rheinland-pfälzischen CDU in Mainz gab es am Wahlabend vor allem eines – lange Gesichter. Der Hauptgrund: das Abschneiden der AfD. „Großer Mist“, sagt einer. Das eigene Abschneiden wird da für viele Christdemokraten im Land beinahe zweitrangig. Und die Stimmung wird im Laufe des Abends auch nicht wirklich besser. Etwa 33 Prozent für die CDU. „Schöne Enttäuschung“, sagt einer.

„Das ist hinter meinem Rücken passiert“, grummelt die Mainzer CDU-Chefin Sabine Flegel. Sie meint den Bildschirm hinter ihr, dennoch trifft ihr Satz: „Wir haben hier in Mainz einen ganz starken Wahlkampf betrieben, haben mobilisiert“, sagt Flegel – und jetzt das. Erst mal abwarten, welche Zwischenergebnisse da zu späterer Stunde stehen, versucht Thomas Neger, bekannter Fastnachtssänger und CDU-Stadtratsmitglied in Mainz, die Stimmung zu lockern. Ergänzt aber mit Blick auf die AfD-Werte: „Die 14 Prozent da, das ist erschreckend viel.“ Das Abschneiden der AfD schockt viele. „Die sind der klare Wahlsieger“, sagt der Mainzer CDU-Fraktionschef Hannsgeorg Schönig, das habe die CDU Stimmen gekostet. „Viele sind auch zur FDP zurückgewandert“, sagt einer, „hoffentlich machen die dieses Mal was Besseres draus.“

Die Debatte dreht sich schnell um mögliche Koalitionsoptionen. „Jamaika”, sagt einer. Begeisterung klingt allerdings anders. Der Absatz von Bier und Wein läuft. Dann flimmert Angela Merkel über den Bildschirm. „Wir stehen am Abgrund, morgen sind wir einen Schritt weiter“, kommentiert Daniel Krause, Vizechef der CDU in der Mainzer Neustadt. Das seien doch „Durchhalteparolen“. „Wir müssen uns doch jetzt fragen: Waren wir nicht zukunftsweisend genug? Haben wir uns zu sehr auf den Erfolgen ausgeruht?“ Es widerspricht ihm niemand. Der Applaus für die Kanzlerin fällt extrem mager aus.

Landeschefin Julia Klöckner spricht von der CDU als „Stabilitätsanker“, räumt aber auch ein, für die Partei sei das deutliche Minus „ein Einschnitt“. Nach diesem Ergebnis könne man nicht zur Tagesordnung übergehen. Es bleibe bestehen, was Klöckner von Anfang an betont habe: keine Zusammenarbeit mit der AfD. Zu ihrer eigenen Zukunft sagt sie: „Ich bin hier Landes- und Fraktionsvorsitzende und bin gewählt.“ Für einen Ministerposten in einem Dreierbündnis in Berlin dürfte es nicht reichen. Die CDU habe „unglaublich viel Personal in Berlin, das sehr geeignet ist“, sagte sie weiter. „Aber nicht ich bin gewählt worden.“ Und sie fügte hinzu: „Ich fliege jetzt für morgen nach Berlin – aber ich habe meinen Rückflug schon gebucht.“ gik

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