Sicherheitskonferenz: Keine Sieger im Ring der Krisendiplomatie

Gefragter Zweimetermann: Boxweltmeister und Oppositionspolitiker Vitali Klitschko steht in München im Mittelpunkt. Dort wurde um eine Lösung des Konfliktes in der Ukraine gerungen - ohne Erfolg.
Gefragter Zweimetermann: Boxweltmeister und Oppositionspolitiker Vitali Klitschko steht in München im Mittelpunkt. Dort wurde um eine Lösung des Konfliktes in der Ukraine gerungen - ohne Erfolg. Foto: dpa

München. 4912 Kilometer sind es von München ins zentralafrikanische Bangui, 2552 Kilometer bis ins syrische Homs und 1392 Kilometer bis zum Maidan-Platz in der ukrainischen Hauptstadt Kiew.

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Von unserem Korrespondenten Gregor Mayntz

Doch an den drei Tagen der Münchner Sicherheitskonferenz liegen alle Konflikt- und Kriegsgebiete hinter der nächsten Türe. Alle wichtigen Mächte der Welt sind mit vielköpfigen Delegationen im Bayerischen Hof, bereiten pausenlos bilaterale Gespräche vor und nach, machen das Fünfsternehotel zu einem einzigen diplomatischen Bienenstock, in dem geklärt wird, wo Kompromisslinien liegen und wie das Blutvergießen gestoppt werden könnte. Unter den Dutzenden Staatschefs und Ministern, den Hunderten von sicherheitspolitischen Entscheidungsträgern ist einer der Star, dessen Werdegang so gar nichts mit dem der anderen gemeinsam hat: Ex-Boxweltmeister Vitali Klitschko.

Als Anführer der Opposition auf dem Maidan-Platz öffnen sich für ihn die Türen zu allen Wichtigen der Welt. Sie sind von dem prominenten Zweimetermann so beeindruckt, dass sie anschließend Fotos von den Begegnungen twittern und posten. Auch auf ihn kommt es an, wenn der drohende Bürgerkrieg in der Ukraine noch verhindert werden kann. Und als er am Abend auf der Bühne der Sicherheitskonferenz sitzt, vor den Kameras Fotos von misshandelten Demonstranten zeigt, da wird in München wieder Geschichte geschrieben. Denn neben ihm sitzt der Vertreter seiner Widersacher, der ukrainische Außenminister Leonid Koschara. Und der behauptet, alles getan zu haben, was die Demonstranten auf den Straßen von Kiew wollten: Rücknahme der Strafverschärfung, Freilassung Gefangener, Rücktritt der Regierung.

Um ein weiteres Signal ist Stunden zuvor in München hinter den Kulissen gerungen worden. Kurz vorher ist der eine Woche lang verschollene Oppositionelle Dimitri Bulatow mit schweren Misshandlungen wieder aufgetaucht. Er berichtet von schlimmer Folter, und das bringt umgehend die US-Delegation auf. Schon machen Forderungen von Sanktionen gegen das Regime des ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch die Runde. Nach Telefonaten mit seinen Regierungskollegen berichtet Koschara, Bulatow werde nicht unter Hausarrest gestellt, er könne zur medizinischen Behandlung auch ausreisen. Deutschlands Außenminister Frank-Walter Steinmeier lädt ihn umgehend ein, nach Deutschland zu kommen.

Das wissen alle auf der Bühne, und doch ist es kein Thema. Im Gespräch mit unserer Zeitung analysiert, Norbert Röttgen, Chef des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages, dass Janukowitsch vor einigen Wochen mit seinen Zugeständnissen die Lage noch hätte beruhigen können. „Aber jetzt ist es zu spät“, sagte Röttgen. Und nach drei Tagen intensiver Gespräche kommt er zu dem Schluss: „Ich glaube, dass es mit Janukowitsch keine Befriedung mehr gibt.“

Einen Beleg liefert Janukowitschs Außenminister auf offener Bühne. Als Klitschko beschreibt, wie die Lage immer weiter eskaliert, schiebt er die Schuld auf die Demonstranten. Bald nennt er sie sogar Terroristen. Das ist Anlass für Rumäniens Präsident Traian Basescu, öffentlich an Janukowitsch zu appellieren: „Bitte seien Sie nicht versucht, die Streitkräfte einzusetzen!“ Ein Satz, der die ganze Dramatik der verfahrenen Situation in der Ukraine verdeutlicht. Dahinter geht es um die Positionierung der Ukraine an der Seite Russlands oder an der Seite der EU. Europäische Politiker und auch US-Außenminister John Kerry versichern in München, sie stünden an der Seite des ukrainischen Volkes. Russlands Außenminister Sergej Lawrow wirft dem Westen in München vor, die Unruhen in Kiew anzustiften.

Vor den Fernsehkameras hat Klitschko bereits vor der Gefahr eines Bürgerkrieges gewarnt, bei einer öffentlichen Demonstration am Sendlinger Tor Sympathisanten versichert, die Opposition werde „bis zum Sieg kämpfen“. Und was bedeutet die Eskalation für den Westen? „Wir brauchen Sanktionen gegen die Verantwortlichen von Gewalt und Unterdrückung“, sagt Röttgen. Ihnen müsse jetzt signalisiert werden, dass sie nicht anonym handelten, sondern dass sie persönlich für ihre Taten zur Rechenschaft gezogen würden. Röttgen nennt Visa-Entzug, strafrechtliche Konsequenzen, das Einfrieren von Konten als schnell wirkende Sanktionen. Und dann? Dann helfen nach seiner Einschätzung nur schnelle Neuwahlen.

Wenige Fortschritte, aber deutlich mehr Druck aus den USA bringt eine Sitzung des Nahost-Quartetts am Rande der Sicherheitskonferenz. Dagegen sieht die Konferenz die Lage in Syrien nur als eine einzige Katastrophe. Ernüchtert und mit Scham berichtet UN-Verhandler Lakhdar Brahimi in einer nächtlichen Sitzung, dass die ersten direkten Gespräche in Genf nicht einmal zu einer Annäherung an eine Waffenruhe geführt hätten, geschweige denn zu einer Perspektive für den Frieden.

Zwei Tage nach der Eröffnungsrede ist das Plädoyer von Bundespräsident Joachim Gauck für ein Deutschland, das sich „früher, entschiedener und substanzieller“ in der Welt engagiert, von den Krisen buchstäblich überrollt worden. Doch in vielen Formaten arbeiten die Diplomaten daran, was das in Zukunft bedeuten könnte. In der Gegenwart sind die Ukraine und Syrien drängender.

Hintergrund: Das hat München gebracht

Auf der 50. Münchner Sicherheitskonferenz haben 400 Politiker und Sicherheitsexperten nicht nur über die Ukraine diskutiert.
Syrien: Frustrierende Botschaften einerseits, Appelle andererseits: Mehr blieb der Sicherheitskonferenz beim Thema Syrien nicht. Bisher habe man „nichts erreicht“, urteilte der UN-Vermittler für Syrien, Lakhdar Brahimi, über die bisherigen Gespräche zwischen den Bürgerkriegsparteien. Und UN-Flüchtlingskommissar Antonio Guterres schlug Alarm: Es handele sich um „die schlimmste humanitäre Krise mindestens seit dem Völkermord in Ruanda“.
Nahost: Am Rande der Konferenz traf sich das Nahost-„Quartett“ aus EU, UN, Russland und den USA. Details wurden noch nicht beschlossen, aber das Angebot großzügiger Wirtschaftshilfe wurde bekräftigt, um Israelis und Palästinenser zu einem Friedensabkommen zu bewegen.
Iran: Irans Außenminister Mohammed Dschawad Sarif bekräftigte die Bereitschaft seines Landes zur Beilegung des Atomkonflikts mit der internationalen Gemeinschaft. Man aber eine Menge Arbeit vor sich, es handle sich aber um eine „historische Chance“. Auch der Leiter der UN-Atomenergiebehörde IAEA, Yukiya Amano, sagte: „Es gibt positive und ermutigende Bewegung, aber es bleibt noch viel zu tun.“ Am Rande der Konferenz traf Sarif seinen US-Amtskollegen Kerry.
Beziehungen zur Russland: Die Gräben zwischen dem Westen und Russland traten einmal mehr offen zutage, etwa bei den Themen Ukraine und Syrien. Aber auch der Streit über die geplante US-Raketenabwehr in Europa ging weiter: Lawrow warf der Nato vor, sein Land zu bedrohen. Kerry widersprach, betonte aber auch: „Da stehen unsere Werte und unsere Interessen auf dem Spiel.“ Ungeachtet der Differenzen betonten westliche Politiker aber die Bedeutung von Kooperation. Konflikte wie in Syrien oder mit Iran könnten ohne Moskau nicht gelöst werden.
Beziehungen EU-USA: Kerry und US-Verteidigungsminister Chuck Hagel warben nach den Verwerfungen wegen der NSA-Spähaffäre für eine Renaissance der transatlantischen Beziehungen, wirtschaftlich und militärisch. Über die NSA verloren sie öffentlich kein Wort. Dafür wurde Innenminister Thomas de Maizière sehr deutlich: „Der politische Schaden ist größer als der sicherheitspolitische Nutzen über den Atlantik hinaus.“
Rolle Deutschlands in der Welt: Bundespräsident Joachim Gauck setzte sich in München für ein stärkeres Engagement Deutschlands bei der Krisenbewältigung in der Welt ein. „Die Bundesrepublik sollte sich als guter Partner früher, entschiedener und substanzieller einbringen“, forderte Gauck in seiner Eröffnungsrede.