Ohnmacht: Brüssel erlebt einen der schwärzesten Tage

Massenflucht
Massenflucht: Der Brüsseler Flughafen wird evakuiert. Foto:  Laurent Dubrule

Es ist die brutale, menschenverachtende Willkür des Terrors, die verstummen lässt. Brüssel wurde bis ins Mark getroffen, die Opfer sind Kollateralschäden einer perversen Ideologie, in der Gewalt als Mittel der Politik und der persönlichen Rache immer noch einen Platz zu haben scheint. Doch auch die EU-Metropole wird wieder aufstehen – wie Paris, Madrid, London und Istanbul zuvor.

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Von unserem Korrespondenten Detlef Drewes

Aus dem Schmerz wird neuer Lebenswille wachsen. Aber auch Wut – nicht nur auf die Attentäter, sondern auch auf die, die diesen Massenmord nicht verhinderten. Denn wenn die Rituale der Betroffenheit abgespult sind, wenn Beileids-Telegramme verklungen und Solidaritätsadressen verlesen wurden, werden die Menschen in dieser Stadt fragen: Warum? Und sie werden sich dabei an jene wenden, die Verantwortung tragen, die Beschlüsse zu engeren europäischen Zusammenarbeit zwar schmieden, aber nicht umsetzen und zu Hause die Gärtchen ihrer nationalen Geheimdienste pflegen. Denn zu den ewigen Wiederholungen solcher Gewaltakte gehört auch diese Wahrheit: Es hat immer jemand zumindest Indizien gehabt oder sogar Konkretes gewusst. Aber der Austausch, die Weitergabe von Informationen unterblieb. Der Anschläge von Brüssel haben Europa nicht nur getroffen, sondern auch entlarvt.

Wenn die Attentate auf Paris, London, Madrid und New York sowie Washington etwas gezeigt haben, dann war es die bittere Erkenntnis, das nicht zu wenig Informationen vorlagen, die man nun durch immer neue Fahndungsmethoden erweitern müsste. In allen Fällen wurde das vorhandene Wissen nicht so genutzt, dass eine Verhinderung des Blutbades möglich war. Die jedes Mal sich wiederholenden Krisentreffen zuständiger Minister oder Staats- und Regierungschefs in Brüssel brachten nicht mehr als das Versprechen, enger zusammenarbeiten. Doch schon als die Vertreter der Mitgliedstaaten wieder zu Hause landeten, waren die hehren Zusagen vergessen. Das kann und darf nicht so bleiben. Die Toten und Verletzten, aber auch die Hinterbliebenen von Brüssel müssen die letzten sein, die der Ignoranz nationaler Sicherheitsbehörden zum Opfer fallen. Natürlich gibt es auch Erfolgsmeldungen von verhinderten Anschlägen, von enttarnten Attentätern, von gestoppten Terroristen. Aber sie reichen nicht aus, so lange Extremisten auch weiter eine ganze Millionenstadt zum Kriegsschauplatz machen können, wie das gestern in Brüssel der Fall war.

Dabei wird es nicht reichen, den Sicherheitsbehörden die alleinige Schuld zuzuschieben. Wenn die Sozialpolitiker das immer weitere Auseinanderklaffen der sozialen Schere in unseren Gesellschaften beklagen, haben sie Recht. Armut, Perspektive-Losigkeit, soziale Ausgrenzung sind ein Nährboden, auf dem radikale Ideen aufgehen. Das gilt für Gewalt gleich welcher Couleur und unabhängig von ihrem ideologischen Hintergrund. Sich allein auf islamistische Gewalttäter einzuschießen, hilft nicht weiter. Es verzerrt den Blick sogar so sehr, dass es fast schon wieder gefährlich wird, weil man dadurch blind für die wahre Struktur der Täterszene wird.

Brüssel hat einen der schwärzesten Tage seiner Geschichte erlebt. Nicht nur wegen der vielen unschuldigen, willkürlichen Opfer, sondern auch und vor allem wegen der Ohnmacht derer, die im Vorfeld hätten aufdecken, aufklären und verhindern müssen. Dass Terroristen binnen einer Stunde eine Millionenstadt in Geiselhaft nehmen können, dass drei Bomben die Lebensadern einer Metropole regelrecht kappen, ist ein erschreckendes Bild für eine Sicherheitsarchitektur, die wir doch mit Video-Überwachung und Vorratsdatenspeicherung so perfekt ausgestaltet glaubten. Der Satz von der 100-prozentigen Sicherheit, die es nicht gibt, ist erschreckend banal. Dennoch darf er nicht als Begründung für Defizite und Fehler herhalten. Spätestens jetzt, wo die Terroristen das Herz der Europäische Union getroffen haben, muss jeder Verantwortliche aufwachen und begreifen, dass diese Union zusammenrücken muss. Denn in Brüssel wurde nicht nur die Stadt angegriffen, sondern alle. Die Opfer solcher Terrorakte mahnen. Brüssel wird drei Tage Staatstrauer tragen. Aber dann brauchen die Stadt und ihre Menschen endlich jene Entschlossenheit, die bisher nicht aufgebracht wurde.