Washington

Obama: Wir führen keinen Krieg gegen den Islam

Obama: Wir führen keinen Krieg gegen den Islam Foto: dpa

John Kerry spricht von der Rebellion gegen die eigene Bedeutungslosigkeit, von der Sehnsucht orientierungsloser Teenager nach der Zugehörigkeit zu einer Gruppe, er spricht vom „Hunger nach simplen Schwarz-Weiß-Antworten in einer komplizierten Welt“.

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Von unserem USA-Korrespondenten Frank Herrmann

Der US-Außenminister versucht beim Antiterrorgipfel, den das Kabinett Barack Obamas ausrichtet, ein Phänomen zu erklären. Und er will Gründe nennen, warum Terrorgruppen wie der Islamische Staat (IS) junge Menschen aus dem Westen in ihren Bann ziehen. „Sie können nicht besiegen, was Sie nicht verstehen“, sagt Kerry.

Der Gipfel lässt an ein akademisches Seminar denken. Abgesandte aus mehr als 60 Ländern sind angereist. Politiker und Geistliche, Wissenschaftler, Sozialarbeiter und Unternehmer sitzen um einen großen, eckigen Tisch. Anne Hidalgo, die Bürgermeisterin von Paris, ist da, ebenso wie Hans Bonte, der Rathauschef von Vilvoorde, einer belgischen Gemeinde mit knapp 5000 Einwohnern, aus der 28 junge Menschen in den Nahen Osten gegangen sind, um sich dem IS anzuschließen. Überraschungsgast ist Alexander Bortnikow, der Chef des russischen Inlandsgeheimdiensts. US-Außenminister Kerry beschwört den Wert breiter Koalitionen, als er zu den Versammelten spricht: „Kein Land, keine Armee, keine Gruppe kann der Gefahr allein adäquat begegnen“.

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon warnt vor Schnellschüssen, vor den „Fallstricken kurzsichtiger Politik“, er mahnt zur Geduld. Die Extremisten hätten es nur darauf angelegt, Überreaktionen zu provozieren. „In diese Falle dürfen wir nicht tappen. Raketen können zwar Terroristen töten, aber nur gute Regierungsführung tötet den Terrorismus.“

Ins selbe Horn stößt US-Präsident Barack Obama, als er in schnörkelloser Prosa gegen die Theorie vom „Kampf der Kulturen“ anredet. Zu behaupten, der Westen arbeite auf einen Zusammenprall der Zivilisationen hin, er führe einen Krieg gegen den Islam, er sei die Ursache jeden Übels im Nahen Osten, sei eine Lüge. Es liege in der Verantwortung muslimischer Gelehrter und Geistlicher, auf solche Thesen energischer zu reagieren, mahnt der US-Präsident. Den Älteren, so weise sie sein mögen, hatte er tags zuvor gesagt, will er Folgendes ans Herz legen: „Wie Sie kommunizieren, das ist oft langweilig.“ Wer online nicht auf Draht ist, kann auch keinen Draht zu den Jungen finden, jedenfalls nicht so wirkungsvoll, wie es den Extremisten mit ihren YouTube-Videos, ihrer raffinierten Reklame in sozialen Netzwerken gelingt.

Sasha Havlicek, Forscherin am Londoner Institute for Strategic Dialogue, bedient sich einer Grafik mit Megafonen, um zu illustrieren, welchen Vorsprung die IS-Propagandisten bei Twitter oder Facebook haben. Ein großes Megafon symbolisiert die Miliz, deutlich kleinere stehen für die Regierungen, die in Washington eingeschlossen. In deren Reihen scheint man sich des Problems zumindest bewusst zu sein. Selbst wenn es gelinge, dem IS den „sicheren Hafen“ in Syrien und im Irak zu nehmen, könnten die Terroristen ihre Ideen virtuos in sozialen Medien verbreiten, doziert Obamas Berater Ben Rhodes.

Kritiker der Antiterrorstrategie wiederum fühlen sich an die Zeit nach dem 11. September 2001 erinnert, als US-Muslime unter eine Art Generalverdacht gerieten und, etwa in New York, systematisch überwacht wurden. Keith Ellison, ein linker Demokrat aus Minneapolis, 2006 als erster Muslim in den Kongress gewählt, sieht die Gefahr, dass seine Glaubensgenossen einmal mehr stigmatisiert werden. Pauschal. Minneapolis geriet in die Schlagzeilen, als junge Männer somalischer Herkunft von dort in den syrischen Bürgerkrieg zogen, zu den Glaubensfanatikern. Vor zwei Wochen wiederum kappten US-amerikanische Banken die Bande nach Somalia, um – auf Drängen des Finanzministeriums – Geldtransfers an radikale Organisationen am Horn von Afrika zu erschweren. „Kontraproduktiv“, protestiert Ellison. „Denn nun werden die Extremisten den Leuten sagen, seht ihr, sie lassen nicht mal zu, dass eure Verwandten euch ein paar Dollar überweisen.“