Minsk

Letzte Chance für die Diplomatie?

Was vom Angriff bleibt: Bei Attacken mit Raketenwerfern sollen bei Kramatorsk mindestens sechs Zivilisten getötet worden sein.  Foto: AFP
Was vom Angriff bleibt: Bei Attacken mit Raketenwerfern sollen bei Kramatorsk mindestens sechs Zivilisten getötet worden sein. Foto: AFP

Heftige Kämpfe im Kriegsgebiet Donbass überschatten die Vorbereitungen des Ukraine-Krisengipfels heute in Minsk.

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In der weißrussischen Hauptstadt unternehmen Kanzlerin Angela Merkel, Frankreichs Präsident François Hollande sowie das ukrainische Staatsoberhaupt Petro Poroschenko und Kremlchef Wladimir Putin einen neuen Versuch, eine Waffenruhe in der Konfliktregion durchzusetzen. Die wichtigsten Fragen zu den Aussichten der Friedensgesprächen:

Was ist bei dem Minsker Krisentreffen zu erwarten?

Am ehesten dürfte es in Minsk eine Waffenruhe geben. So soll weiteres Blutvergießen gestoppt werden. Doch selbst wenn die Konfliktparteien Kompromisse machen und sich auf eine Waffenstillstandslinie einigen, ist offen, wie lange die Feuerpause hält. Eine Waffenruhe muss kontrolliert werden. Und beide Seiten streiten, wie das am besten zu gewährleisten ist. Im Fall eines Waffenstillstands wird es dann darum gehen, welchen Status die von der Ukraine abtrünnige Region Donbass künftig hat. Kiew hat eine zeitweilige Autonomie vorgeschlagen.

Wenn die Friedensinitiative scheitert, was ist dann zu erwarten?

Es gibt viele Befürworter eines Krieges gegen die Aufständischen im Donbass in der ukrainischen Führung. Sie bekämen bei einem Scheitern der Diplomatie Auftrieb. Kanzlerin Angela Merkel hat betont, dass sie stets an einer friedlichen Lösung arbeiten will. Dazu sind bereits neue Sanktionen gegen Russland im Gespräch. Schon jetzt ist die Wirtschaft der unter niedrigen Ölpreisen leidenden Rohstoffmacht in einer Krise. Der Westen hofft, dass sich durch eine Verschärfung der Lage der innenpolitische Druck erhöht. Das soll Kremlchef Wladimir Putin zum Kurswechsel bewegen. Bisher aber beschert ihm die Konfrontation mit dem Westen die besten Zustimmungswerte in 15 Jahren an der Macht.

Können Waffen aus den USA und Nato-Staaten der Ukraine helfen?

Die Ukraine hofft auf Waffenlieferungen – vor allem, wenn die Friedensinitiative scheitert. Allerdings fürchten Experten, dass die unzureichend ausgebildeten Soldaten mit der Technik überfordert sein könnten. Vermutlich müssten westliche Ausbilder nach Kiew kommen. Die Bundesregierung lehnt diese Schritte ab. Sie fürchtet eine weitere Eskalation. Zudem könnte Russland seinen Einsatz in der Ostukraine erhöhen. „Putin hat wenig Anlass, US-Waffen für die Ukraine zu fürchten, aber Europa hat allen Grund, Angst vor seiner Antwort zu haben“, meint Politologe Dmitri Trenin vom Moskauer Carnegie Center.

Droht im Fall von Waffenlieferungen ein großer Krieg?

Die Bundesregierung erwartet für diesen Fall eine weitere Eskalation und deutlich mehr Tote. Sie geht davon aus, dass der Konflikt um die abtrünnige Region Donbass mit militärischen Mitteln nicht zu gewinnen ist. Es gibt aber Stimmen in der EU und vor allem in den USA, die Waffenlieferungen für das beste Mittel halten, um Russland zu stoppen. Die Atommacht betont, dass sie sich weder von Sanktionen noch anderen Drohungen beeindrucken lassen werde. Der russische Friedensnobelpreisträger Michail Gorbatschow warnt seit Langem vor einem großen Krieg mitten in Europa.

Wie geht es im Fall eines großen Krieges weiter?

Russland könnte im Fall westlicher Waffenlieferungen auch die prorussischen Separatisten ganz offen mit moderner Militärtechnik beliefern – etwa unter dem Vorwand, dass die Lage im Donbass zur Bedrohung der eigenen Sicherheit wird. Der Ukraine drohen für den Fall noch größere Gebietsverluste. Schon jetzt kämpft die Ex-Sowjetrepublik gegen ein Auseinanderbrechen des Landes.

Warum kämpft Russland um Einfluss in der Ukraine?

Es gibt historische, wirtschaftliche und politische Gründe. Viele Gebiete gehörten zu Zarenzeiten zu Russland. Zudem sieht sich Russland durch das Vormachtstreben der Nato in seinem Vorhof bedroht. Seit Jahren stören sich die Russen an Manövern mit Beteiligung der US-Streitkräfte und Nato-Staaten. Russland will einen von der prowestlichen Führung angestrebten Nato-Beitritt verhindern.

Welche wirtschaftlichen Gründe gibt es für den Konflikt?

Mit mehr als 40 Millionen Menschen und den wohl größten Schwarzerdegebieten der Welt ist die Ukraine ein interessanter Markt. Schon vor dem Machtwechsel in Kiew hatte sich die ukrainische Führung an dem geopolitischen Tauziehen zwischen der EU und Russland gestört. Die Entweder-oder-Politik führte zur Spaltung im Land. Vor allem auch in der strategisch wichtigen Rüstungs- und Raumfahrtindustrie waren Russland und die Ukraine eng verbunden. Auch deshalb sieht Russland ein Assoziierungs- und Freihandelsabkommen zwischen der EU und der Ukraine als Gefahr für seine Wirtschaft.

Ulf Mauder/Andreas Stein