Berlin

KOPIE_ID_191510/Stoppschilder wieder auf der Tagesordnung: Druck wegen Internetsperren wächst

Das Zugangserschwerungsgesetz rückt wieder in den Blickpunkt: Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) hat die Bundesregierung wegen ihres Vorgehens gegen Kinderporno-Seiten im Internet attackiert. Er rief nach Angaben von Teilnehmern am Dienstagabend in der Unionsfraktion die Regierung dazu auf, „einen offensichtlich verfassungsrechtlich fragwürdigen Zustand schnellstmöglich zu beenden“. Fast gleichlautende Forderungen kommen auch aus der Opposition, die das Gesetz kippen will.

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Berlin – Das Zugangserschwerungsgesetz rückt wieder in den Blkickpunkt: Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) hat die Bundesregierung wegen ihres Vorgehens gegen Kinderporno-Seiten im Internet attackiert. Er rief nach Angaben von Teilnehmern am Dienstagabend in der Unionsfraktion die Regierung dazu auf, „einen offensichtlich verfassungsrechtlich fragwürdigen Zustand schnellstmöglich zu beenden“. Fast gleichlautende Forderungen kommen auch aus der Opposition, die das Gesetz kippen will.

Derzeit gilt die Praxis „Löschen statt Sperren“, obwohl eine andere Gesetzeslage besteht: Das noch von der großen Koalition verabschiedete Zugangserschwerungsgesetz hatte das Erstellen von Listen mit zu sperrenden Seiten vorgegeben. Nach der Bundestagswahl und angesichts von Widerstand des Kaolitionspartners FDP war das Verfahren aber per einfachem Erlass des Innenministeriums

ausgesetzt worden: Das BKA war per Dienstanweisung gehalten, das gerade in Kraft getretene Gesetz nicht umzusetzen und keine Sperrlisten zu führen.

Siegfried Kauder, Rechtsausschussvorsitzender der Unionsfraktion, unterstützte die Kritik von Lammert am derzeitigen Zustand massiv. Die Kanzlerin will das Thema nun im Koalitionsausschuss aufrufen.

Am 20. Januar wird es ohnehin Thema im Bundestag werden: Dann berät der Bundestag in erster Lesung einen Antrag der SPD, das Zugangserschwerungsgesetz aufzuheben. Entsprechende Gesetzesanträge hatten auch die Grünen und die Linke gestellt.

Die Frage in Deutschland kommt mitten in die Diskussion auf EU-Ebene, wie mit Netzsperren umgegangen werden soll. Der Blog netzpolitik.org hat am Dienstag erst eine Kampagne gestartet, um Sperren auf europäischer Ebene zu stoppen.

Das Gesetzesvorhaben für die Sperren – erarbeitet noch von der großen Koalition – hatte zu einer breiten Mobilisierung von Kritikern im Internet geführt: So hatte die deshalb gestartete Online-Petition gegen die Indizierung und Sperrung von Internetseiten mehr als 134.000 Mitzeichner gefunden, zudem hatte sich der Arbeitskreis gegen Internetsperren und Zensur (AK Zensur) gegründet.Der damaligen Bundesfamilienministerin Urusula von der Leyen brachte das von ihr vorangetriebene Vorhaben den Namen „Zensursula“ ein.

Eine Befürchtung von Kritikern ist, dass von der Sperre von Kinderpornographie zur Sperre von anderen Inhalten übergegangen wird, wenn eine entsprechende Infrastruktur erst einmal besteht – etwa zum Schutz der Musik- und Filmindustrie oder von Glückspielmonopolen.

Das Verfahren zur Aussetzung hatte auch der AK Zensur gerügt – weil die Anweisung ans BKA auch jederzeit wieder aufgehoben werden könne. Ein zunächst angekündigtes Löschgesetz rückte dann in weite Ferne und ist kein Thema mehr.

Der damalige Bundespräsident Horst Köhler hatte mit der Unterzeichnung des Sperrgesetzes gezögert, dann aber „keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken“ gesehen. Zur Unterzeichnung hatte erklärt, er gehe davon aus, „dass die Bundesregierung entsprechend ihrer Stellungnahme vom 4. Februar 2010 nunmehr auf der Grundlage des Zugangserschwerungsgesetzes Kinderpornographie im Internet effektiv und nachhaltig bekämpft“.

Was folgte, war der Erlass mit der Maßgabe, das Gesetz zunächst ein Jahr lang nicht anzuwenden. Das war im Februar 2010, das Jahr ist bald vorüber. Der Zustand seither ist ein „Eiertanz“, wie es der auf IT-Recht spezialisierte Jurist Thomas Stadler in seinem Blog Internet-Law nennt. Für die FDP könnte die Frage zur Zerreißprobe werden: Von SPD, Grünen und Linken liegt ein Gesetzesantrag zur Aufhebung des Gesetzes vor. Die CSU hatte dagegen unlängst neuen Streit in der Koalition mit der Forderung ausgelöst, zu löschen und zu sperren. Löschen sei „vielfach reines Wunschdenken“, hatte Innenminister Joachim Herrmann dem Hamburger Abendblatt gesagt und umgehenden Protest von Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ausgelöst: „Internetsperren bleiben der falsche Ansatz. Virtuelle Stoppschilder sind gefährlich, weil sie uns in einer Scheinsicherheit wiegen.“

(law/may)