Köln

Köln: Viele Türken im Erdogan-Rausch

Anhänger des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan in einem roten Fahnenmeer: Die meisten der rund 20 000 Teilnehmer der Kundgebung in Köln versicherten Erdogan nach dem gescheiterten Putschversuch vor zwei Wochen ihre uneingeschränkte Unterstützung.
Anhänger des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan in einem roten Fahnenmeer: Die meisten der rund 20 000 Teilnehmer der Kundgebung in Köln versicherten Erdogan nach dem gescheiterten Putschversuch vor zwei Wochen ihre uneingeschränkte Unterstützung. Foto: dpa

Viele Tausend Türkischstämmige sind an den Rhein gekommen, um dem umstrittenen Präsidenten Erdogan lautstark ihre Solidarität zu bekunden. Bei vielen Kölnern stößt das nicht auf Sympathie. In Istanbul wäre eine Pro-Merkel-Demo wohl undenkbar, meinen manche.

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Von Yuriko Wahl-Immel und Christoph Driessen

Ein Meer aus roten Halbmond-Flaggen, viele Männer und Frauen sind ganz eingehüllt in die türkische Nationalfahne, es geht emotional zu bei der Kundgebung in Köln. Auch der Regen kann die schätzungsweise 20 000 Teilnehmer nicht schrecken. Offizielles Thema ist der gescheiterte Putschversuch in der Türkei vor zwei Wochen. Aber die Demo-Teilnehmer wollen vom Rhein vor allem eine machtvolle Botschaft senden: volle Unterstützung für den Kurs des islamisch-konservativen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Viele scheinen geradezu im Erdogan-Rausch.

Von der Bühne ruft ein Redner: „Wir sind Deutschland!“ Er wartet auf das Echo. Aber aus der Masse schallt ihm entgegen: „Allahu akbar“ – Arabisch für „Gott ist groß“. Die türkische und die deutsche Nationalhymne werden gespielt. Eine Schweigeminute für die Opfer des Putsches in der Türkei wird abgehalten, auch für die Toten bei den Terroranschlägen in Deutschland und Frankreich. Die Themen vermischen sich.

Im Fokus aber steht Erdogan – und der Jubel der Menge ist ihm jedes Mal gewiss. In der Türkei hat der umstrittene Präsident den Ausnahmezustand verhängt, lässt die Behörden massiv gegen mutmaßliche Verschwörer in Militär, Justiz und Medien vorgehen.

Demo-Teilnehmer Cabuk Kenan findet das richtig. „Es ist gut, dass Erdogan jetzt durchgreift“, meint der 29-Jährige, der eigens aus den Niederlanden angereist ist. „Wir wollen zeigen, dass wir hinter ihm stehen und hinter der Regierung.“

Auch Habib Aydin (26) aus Stuttgart sagt: „Die Verhaftungswelle sehe ich nicht kritisch. Es muss eine Säuberung gemacht werden. Der Putschversuch hat sich gegen die Demokratie gerichtet.“ Es sei falsch, wenn Kritiker und Medien Erdogan als Diktator darstellten. Oft ist an diesem Tag vom „Türkei-Bashing“ der deutschen Medien die Rede.

Die Veranstalter rufen immer wieder zum Zusammenhalt auf. Man wolle friedlich für Rechtsstaatlichkeit eintreten und stehe „auf der Seite des wehrhaften türkischen Volkes“. Melek Kum – mit der türkischen und deutschen Nationalflagge ausgerüstet – ist besorgt, weil ein Riss durch die türkische Community gehe. „Egal, ob Erdogan-Anhänger oder Erdogan-Gegner – wir müssen alle besser zusammenhalten.“ Deshalb ist die 32-Jährige gekommen, mit Mutter und Schwester, aus Krefeld.

Maßgeblich mitorganisiert hat die Kundgebung die Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD), die der türkischen Regierungspartei AKP sehr nahe steht. Sie durfte Erdogan selbst zwar nicht per Videogroßleinwand zuschalten. Aber immerhin hat Ankara den Sport- und Jugendminister Akif Cagatay Kilic an den Rhein geschickt. Schon vor dem Putsch hatten sich einige Experten überrascht gezeigt über den „langen Arm“ des türkischen Präsidenten nach Deutschland.

Im europäischen Vergleich habe Erdogan in Deutschland wohl die meisten Anhänger, sagt auch die muslimische NRW-Abgeordnete Serap Güler (CDU). Das passt zu dem Bild, das sich am Sonntag in Köln bietet. „Erdogan ist ein Held“, steht auf einem Transparent.

Nicht live in Köln: der türkische Präsident Erdogan.
Nicht live in Köln: der türkische Präsident Erdogan.
Foto: dpa

Es ist ein Sonntag, wie man ihn in Köln noch nicht oft erlebt hat. 2700 Polizisten sind im Einsatz, zeitweise laufen vier Gegenkundgebungen parallel. Unter anderem versammeln sich etwa 250 Rechtsextreme vor dem Hauptbahnhof – schließlich löst die Polizei diese Kundgebung aber auf. Für die Kölner Polizei ist der Tag eine Bewährungsprobe nach dem Versagen in der Silvesternacht.

Gerüchte schwirren herum. Die Polizei habe Scharfschützen aufgestellt, heißt es. „Vermeiden Sie besser abrupte Bewegungen!“, rät ein Deutschtürke. Denn wenn die Scharfschützen den Eindruck bekämen, dass jemand hektisch zur Bühne durchbrechen wolle, werde geschossen.

Von der Polizei gibt es dazu keinen Kommentar. Nicht zu übersehen ist aber, dass sie so ziemlich alles aufbietet, was ihr zur Verfügung steht. Die Einsatzwagen stehen Stoßstange an Stoßstange, dahinter ragen Wasserwerfer auf. Ein Mitglied des Organisationsteams fragt sich kopfschüttelnd, warum die deutschen Behörden nur so furchtbare Angst vor dieser Veranstaltung hätten.

Nicht alle Kölner zeigen Verständnis für die Demo. „Dass der politische Kampf in der Türkei zu uns nach Deutschland verlegt wird, finde ich nicht korrekt“, sagt Anwohner Rainer Musculus.

„Ich habe lange in der Türkei gelebt, viele meiner Freunde dort sind Erdogan-Kritiker und haben jetzt große Angst. Dass hier nun Erdogan-Fans demonstrieren dürfen, ist für mich schwer zu akzeptieren“, meint Karl Zühlka. Und Nele Skipp gibt zu bedenken: „Eine Pro-Merkel-Demo würde in der Türkei ja wohl niemals erlaubt. Und deshalb ist das heute in Köln auch falsch.“

Ärger um verbotene Liveschaltung zu Erdogan auf der Großbildleinwand

Von einer Großbildleinwand aus sollte eigentlich der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan per Liveschaltung zu den Demonstranten in Köln sprechen. So jedenfalls hatten es sich die Organisatoren der Pro-Erdogan-Kundgebung vorgestellt – ein heikles Unterfangen angesichts der ohnehin aufgeheizten Stimmung. Doch das Bundesverfassungsgericht sagte einstimmig Nein. In Köln durften keine Politiker aus der Türkei live auf einer Großleinwand zu sehen sein. Der Sprecher Erdogans kritisierte das Verbot scharf. Das sei ein „inakzeptabler Zustand“, erklärte Ibrahim Kalin. Man frage sich, was der „wahre Grund“ dafür sei, dass die deutschen Behörden eine Ansprache Erdogans an seine Anhänger verhindere. Es sei auch inakzeptabel, dass die deutschen Behörden Demonstrationen der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK zuließen, eine „Demokratie-Veranstaltung“ gegen den Putschversuch mit dem Hinweis auf die Sicherheitslage jedoch beargwöhnten und zu verhindern versuchten.