Berlin/Mainz

Interview mit Malu Dreyer zum Zuwanderungsgesetz: Das Klima ist vergiftet worden

Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer will mit ihrer Partei weiter dafür kämpfen, dass abgelehnten Asylbewerbern ein „Spurwechsel“ ermöglicht wird. Foto: Bernd Eßling
Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer will mit ihrer Partei weiter dafür kämpfen, dass abgelehnten Asylbewerbern ein „Spurwechsel“ ermöglicht wird. Foto: Bernd Eßling

Eigentlich müsste die SPD glücklich sein. Immerhin kämpft sie laut ihrer stellvertretenden Bundesvorsitzenden Malu Dreyer bereits „seit 20 Jahren für ein Zuwanderungsgesetz“. Nun soll Deutschland eines bekommen, Innenminister Horst Seehofer (CSU) legte vergangene Woche erste Eckpunkte für ein „Fachkräftezuwanderungsgesetz“ vor. Doch statt Freude droht nun Streit. Denn den von der SPD geforderten „Spurwechsel“, der es abgelehnten, aber geduldeten Asylbewerbern ermöglicht, in den Arbeitsmarkt zu wechseln, lehnt die Union ab.

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Im Gespräch mit unserer Zeitung erklärt Dreyer, warum die SPD auf diesem Punkt beharrt. Und warum die Union Deutschland bei der Suche nach Fachkräften wahrscheinlich einen Bärendienst erwiesen hat.

Frau Dreyer, die SPD hat sich sehr deutlich für den „Spurwechsel“ ausgesprochen. Im Eckpunktepapier von Bundesinnenminister Horst Seehofer zum Fachkräftezuwanderungsgesetz ist davon aber keine Rede. Wie enttäuscht sind Sie?

Das ist der erste Aufschlag des Bundesinnenministers. Das wird nun intern in der Koalition besprochen. Die SPD wird sich weiter für den sogenannten Spurwechsel starkmachen, wir sind klar aufgestellt.

Warum ist der SPD das so wichtig?

Der Fachkräftemangel droht unsere florierende Wirtschaft zu schwächen. Gleichzeitig wissen wir, dass Menschen nicht nur nach Deutschland kommen, weil sie verfolgt werden, sondern auch, weil sie hoffen, hier Arbeit zu finden. Der Grund ist: Deutschland hat kein Einwanderungsgesetz, das die Zuwanderung von Fachkräften regelt. Deswegen erleben wir derzeit einen doppelten Unsinn: zum einen, dass in Zeiten des Fachkräftemangels Arbeitsuchende immer noch über den Weg des Asyls kommen müssen, und zweitens den noch größeren Unsinn, dass sie teilweise nach einer Ausbildung abgeschoben werden. Dabei brauchen die Unternehmen diese Menschen dringend. Wir haben der Wirtschaft in Sachen Integration einiges abverlangt. Da kann es nicht sein, dass wir sie jetzt in einer Notlage enttäuschen.

Eine der Kernfragen ist, ob sich Asyl und Arbeitsmarktzuwanderung voneinander trennen lassen. Die Union will das sehr eindeutig.

Das wollen wir mit dem Fachkräftezuwanderungsgesetz ja auch grundsätzlich klar trennen. Wir reden aktuell aber über diejenigen unter den Geflüchteten, die gut integriert sind und über einen Arbeitsplatz verfügen, aber möglicherweise keinen Anspruch auf Asyl haben und deswegen abgeschoben werden, obwohl wir sie auf dem Arbeitsmarkt dringend benötigen. Wir müssen doch auch überlegen, was wir mit Flüchtlingen machen, deren Antrag abgelehnt wurde, von denen wir aber wissen, dass sie noch viele Jahre bleiben, weil sie eine rechtmäßige Duldung haben.

Ihre Faktionsvize Eva Högl hat vorgeschlagen, den Personenkreis über eine Stichtagsregelung zu begrenzen. Was halten Sie davon?

Ich finde das sehr vernünftig. Wir können mit der Union auch gern über andere Regeln diskutieren. Aber am Ende muss stehen, dass der „Spurwechsel“ möglich ist.

Nach welchen Menschen will Deutschland mit dem neuen Zuwanderungsgesetz eigentlich suchen? Gesprochen wird oft über Hochqualifizierte – doch der Bedarf ist vor allem in der Pflege, beim Bau oder im Gastgewerbe groß.

Wir wollen uns sicher nicht nur auf Hochqualifizierte begrenzen. Die Liste der Berufe, die keine Mitarbeiter finden, wird doch immer länger: Neben der Kranken- und Altenpflege sind das Fliesenleger, Mechatroniker, Lokführer, Sanitärtechniker, Bäcker und der Bereich der Gastronomie. Aber das Gesetz ist noch nicht fertig. Ich will da nicht vorgreifen.

Blicken wir auf die Eckpunkte: Die Vorrangprüfung soll abgeschafft werden, es soll mehr Bemühungen für Deutschkurse geben, ausländische Abschlüsse sollen einfacher anerkannt werden. Was entgegnen Sie Kritikern, die sagen, dass man die Energie und Zeit lieber in die Qualifikation heimischer Arbeitsloser investieren sollte?

Das eine darf das andere nicht ausschließen. Wir investieren in Rheinland-Pfalz viel Kraft, um Arbeitslose zu qualifizieren, auch diejenigen, die schon lang ohne Arbeit sind – darin werden wir nicht nachlassen. Wir haben mehr Beschäftigte als je zuvor. Wir müssen aber feststellen, dass es dennoch nicht reicht. Deshalb müssen wir uns um Arbeitskräfte auch aus dem Ausland bemühen. Auf der Suche nach guten Fachkräften steht Deutschland übrigens nicht allein da. Deswegen sollten wir Menschen suchen, die gern nach Deutschland kommen möchten. Und wenn sie hier sind, sagen sie hoffentlich: Hier ist es toll, hier will ich leben.

Ein großes Ziel. Derzeit belegen Studien, dass es Menschen mit ausländischen Nachnamen auf dem deutschen Arbeitsmarkt schwerer haben. Auch die „MeTwo“-Debatte über Diskriminierung im Alltag hat Probleme beleuchtet. Wie wollen Sie das ändern?

Für die Akzeptanz ist es sehr hilfreich, wenn die Menschen hier erst mal arbeiten. Wir sind in Sachen Integration schon viel besser geworden. Dennoch gerade auch mit Blick auf die große Zahl der zu uns Geflohenen ist klar: Wir müssen bei dem Thema noch viel tun.

Stichwort Akzeptanz: Das SPD-geführte Duisburg als prominentes Beispiel ächzt unter Zuwanderung. In Rheinland-Pfalz gilt für Pirmasens ein Zuzugsstopp für Flüchtlinge. Etwas Ähnliches wollte die CDU Bad Kreuznach für ihre Stadt ins Gespräch bringen. Überlasten Bund und Land die Kommunen?

Wir haben nach Pirmasens allen Kommunen gesagt, wenn ihr ähnliche Probleme habt, gebt uns ein genaues Lagebild und die Zahlen der Flüchtlinge, die bei euch leben. Wir prüfen das dann, so wie wir das in Pirmasens gemacht haben. Die Flüchtlingszahlen gehen stark zurück, daher haben wir momentan keine Anhaltspunkte dafür, dass der Zuzug in die Kommunen irgendwo zu größeren Schwierigkeiten führt.

Was erwarten Sie von den Unternehmen, damit die Integration zusätzlicher ausländischer Arbeitskräfte gelingt?

Wir haben gerade in Rheinland-Pfalz viele Firmen, die ein Vielfaltsmanagement haben, für die ist das Thema kein Problem. Aber wir haben auch kleine und mittelständische Betriebe, in denen das vielleicht etwas schwieriger zu handhaben ist. Da spielt es natürlich eine Rolle, sich weiter zu öffnen. Unter dem Strich müssen wir alle dazu beitragen, dass wir attraktiv für Zuwanderer sind. Das war in diesem Sommer leider nicht immer so.

Sie spielen auf den Unionsstreit an?

Ja. Der hat das politische Klima in Deutschland vergiftet und unter den Zuwanderern Verunsicherung ausgelöst. Wir dürfen so nicht über Menschen sprechen: „Asyltourismus“, „überrollt“ – ich will das gar nicht alles wiederholen. Hier ist eine teilweise menschenverachtende Sprache benutzt worden, in der AfD, aber auch in Teilen der Union. Wir müssen zurückkehren zu einer respektvollen und diskriminierungsfreien Sprache, sonst werden wir eine Verrohung unserer Gesellschaft erleben, und es wird sehr schwierig, Akzeptanz für Zuwanderung zu schaffen.

Haben Sie denn den Eindruck, dass Ihre Kollegen wieder bewusster mit Sprache umgehen wollen?

Zumindest ist das Sommertheater der Union vorbei – das ist schon mal sehr wohltuend. Ich kann nur hoffen, dass das trotz des Wahlkampfes in Bayern so bleibt. Aber auch in Bayern war doch klar zu spüren: Die meisten Menschen wollen nicht gegen andere aufgehetzt werden. Ganz generell gilt: Selbst wenn wir über Menschen sprechen, die hier nicht bleiben können – es sind und bleiben Menschen. Wenn jemand nicht bleiben kann, müssen wir das klar sagen und ihn zurückführen. Aber man darf ihn nicht beschimpfen.

Das Gespräch führten Markus Kuhlen und Carsten Zillmann