Interview mit Cem Özdemir zum Ukraine-Krieg: „Putin setzt Hunger bewusst als Waffe ein“

Von Hagen Strauß
Cem Özdemir
Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) hat Pläne für eine gesetzliche Tierhaltungskennzeichnung konkretisiert. Foto: Fabian Sommer/DPA

Der Ukraine-Krieg lässt weltweit die Preise für Lebensmittel enorm ansteigen. Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) warnt im Interview mit unserer Zeitung davor, dass der russische Präsident Wladimir Putin den Hunger benutze, um Europa unter Druck zu setzen. Er setze auch darauf, dass sich Menschen aus ärmeren Ländern auf den Weg nach Europa machten. Zudem stünden Deutschland viele Preissteigerungen erst noch bevor.

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Herr Minister, weltweit steigen die Preise für Lebensmittel in der Folge des Ukraine-Kriegs. Befürchten Sie Unruhen in ärmeren Ländern?

In vielen Ländern ist das eine dramatische Belastung. Vom Arabischen Frühling wissen wir, dass die Ursachen neben Unterdrückung und Korruption auch ökonomische waren – Stichwort Brotpreise. Putin setzt Hunger bewusst als Waffe ein. Er versucht eben nicht nur, die Ukraine als Versorger auszuschalten, sondern will auch Druck auf die internationale Staatengemeinschaft ausüben und Russlands Einfluss im globalen Süden ausbauen. Er behauptet etwa, er könne ja helfen, wenn der Westen seine Sanktionen endlich aufheben würde. Wir müssen alles dafür tun, damit diese Lügen nicht verfangen.

Erwarten Sie neue Flüchtlingsströme aus diesen Staaten?

Putin versucht, die internationale Gemeinschaft zu destabilisieren. Sein Kalkül ist es, dass sich Menschen aus ärmeren Ländern auf den Weg zu uns machen. Das hat er in Syrien schon praktiziert. Aber Putin täuscht sich, wenn er glaubt, wir seien erpressbar. Wir sind geschlossener, als er es erwartet hat. Die Nato wächst, auch wenn Erdogan in der Türkei dies noch zu verzögern versucht. Wir haben harte Sanktionen erlassen, wir stehen an der Seite der Ukraine.

Die humanitären Hilfen fließen vorwiegend in die Ukraine. Werden die ärmsten Länder vergessen?

Das stimmt nicht ganz. Ob in Äthiopien, im Sudan, im Jemen oder anderswo – das Leid der Menschen darf nicht ignoriert werden. Wir haben unsere humanitäre Hilfe gerade von rund 64 Millionen auf 370 Millionen Euro deutlich erhöht. Und die Bundesregierung stellt zusätzlich 430 Millionen Euro für die globale Ernährungssicherung bereit. Wir dürfen zudem nicht vergessen: Der Hunger, der jetzt durch den Ukraine-Krieg angefacht wird, den gab es auch schon davor, verstärkt durch die dramatischen Auswirkungen der Klimakrise. Deswegen dürfen wir jetzt nicht beim Klimaschutz nachlassen.

Gleichzeitig müssen wir die wirtschaftliche Abhängigkeit von autoritären Ländern reduzieren. Am Beispiel Energie oder mineralischer Dünger aus Russland sehen wir, dass wir uns von Despoten abhängig gemacht haben. Uns muss klar sein, dass dieser Krieg nicht ohne Konsequenzen bleiben wird. Wir können nicht alle Folgen des Krieges ungeschehen machen, das gehört zur Wahrheit dazu. Die Preissteigerungen werden nicht so schnell verschwinden.

Was heißt das für den Verbraucher?

Vieles kommt leider erst noch. Die Lebensmittelindustrie hat etwa lange Einkaufsfristen für Energie. Wir müssen im Herbst und Winter mit Steigerungen rechnen, weil sich der Handel jetzt mit teurer Energie versorgen muss und die Preissteigerungen an die Kunden weitergereicht werden.

Kommt denn die Mehrwertsteuersenkung auf bestimmte Lebensmittel? Da haben Sie sich bisher nicht durchgesetzt.

Ich kenne die Gegenargumente, fehlende Zielgenauigkeit und hohe Kosten. Die Kritiker müssen dann aber auch sagen, was die bessere Alternative wäre, um Menschen zu entlasten. Dass das Mehrwertsteuersystem auf den Prüfstand gehört, darüber kann es nicht ernsthaft Streit geben. Wir müssen das parteiübergreifend angehen und insgesamt das System vom Kopf auf die Füße stellen. Logik, Einfachheit und Nachhaltigkeit sind dabei die Stichworte. Da landet man dann schnell bei meinem Vorschlag.

War der Tankrabatt eine bessere Alternative? Er versickert offenbar.

Die Mineralölkonzerne kassieren, und die Verbraucher merken nichts von den Steuersenkungen. Es ist daher richtig, wenn wir das Kartellrecht verschärfen. Statt Milliarden für einen Tankrabatt auszugeben, von dem nun die Konzerne profitieren, hätten wir Grünen das Geld bekanntlich lieber in den öffentlichen Nahverkehr investiert.

BASF erwartet Milliardenerlöse aus der Landwirtschaft

Der weltgrößte Chemiekonzern BASF hat das Umsatzziel für neue Produkte im Geschäft mit der Landwirtschaft bestätigt. Bis zum Jahr 2031 peile das Unternehmen hier Erlöse von mehr als 7,5 Milliarden Euro an, sagte Michael Wagner, der das Nordeuropageschäft in der Sparte „Agricultural Solutions“ leitet, in Ludwigshafen.

Dabei konzentriert sich das Unternehmen auf die Verbesserung der landwirtschaftlichen Erträge bei wichtigen Nutzpflanzen wie Weizen, Raps, Soja, Mais, Baumwolle, Reis sowie Obst und Gemüse. „Im ersten Quartal hatten wir gute Zahlen veröffentlicht“, sagte Wagner. Es habe sehr viele Vorzieheffekte gegeben, da Landwirte versuchten, möglichst früh Produkte zu kaufen. BASF erziele gute Umsätze mit den Produkten, die verfügbar seien. Allerdings könne das Unternehmen bei einigen Produkten nicht die Mengen produzieren, die die Kunden nachfragten.

Teile der Landwirtschaft sind demnach durch den Krieg in der Ukraine stark beeinträchtigt, allerdings sei viel Ware aus dem Vorjahr immer noch auf Lager, vor allem in den Betrieben in der Ukraine. Das betreffe vor allem Weizen, sagte der Manager. Mangels der logistischen Möglichkeiten sei es jedoch nicht so einfach, Ware aus dem Land zu bekommen. Dem stehe vor allem die Blockade des wichtigen Hafens von Odessa im Weg. Wenn die neue Ernte komme, gebe es zudem Schwierigkeiten mit der Lagerhaltung. Dies führe zu Versorgungsengpässen und hohen Preisen für Weizen. Die Ukraine gehört zu den größten Exporteuren von Weizen und Sonnenblumenöl.

Auf der anderen Seite habe BASF steigende Kosten, da Vorprodukte immer teurer werden, erläuterte Wagner. Dazu zählten beispielsweise Chemikalien, Verpackungen und Transportleistungen, deren Preise sehr stark gestiegen seien. Im internationalen Verkehr bekomme man kaum noch Container, um Waren zu verschiffen. Dadurch seien die Wertschöpfungsketten für Produkte sehr deutlich beeinträchtigt. Nicht jedes Produkt stehe daher immer genau zum gewünschten Zeitpunkt zur Verfügung, wie es in der Menge gebraucht werde. Im vergangenen Jahr gab BASF rund 11 Prozent des Segmentumsatzes für Forschung und Entwicklung aus. Bis zum Jahr 2028 sollen insgesamt acht neue Wirkstoffe auf den Markt kommen.

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