Brüssel

EU-Gesetzgebung am Beispiel: Wie viel Europa steckt in der Milch

Milch
In Milch steckt mehr Europa, als viele Konsumenten ahnen. Das beginnt bei den Vorschriften für die Produktion – und endet bei der Verpackung. In der Kanne wird der weiße Muntermacher nämlich selten verkauft. Kartons sind die Regel. Foto: dpa

Ein Eis am Wochenende, ein Käsebrot am Abend, ein Joghurt zum Frühstück – Milch gehört zu den Grundnahrungsmitteln. Jeder Bundesbürger verzehrt pro Jahr rund 136 Kilo Milch (ein Liter Milch entspricht 1,02 Kilo) in diversen Formen. Milch enthält Kalzium für den Knochenaufbau, Aminosäuren für den Betrieb der Körperzellen, beugt Osteoporose, Bluthochdruck, Herzinfarkt oder Übergewicht vor. Der unscheinbare viereckige Karton, in dem wir Milch meist kaufen, erzählt davon nichts. Er verschweigt auch, wie viel Europa in diesem kleinen Paket steckt, denn längst hat die Union aus zahlreichen Affären, Skandalen und Verunreinigungen im Lebensmittelbereich Konsequenzen gezogen.

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Bei der Milch beginnt das bei den Vorschriften über die Produktion. Denn das Futter für das Vieh und die artgerechte Haltung der Tiere sind europäisch vorgeschrieben. Wer auf biologische Landwirtschaft setzt, muss 60 Prozent dessen, was er dem Vieh gibt, aus der unmittelbaren Umgebung erwerben. Käufer wie Verkäufer dürfen, wenn sie „bio“ anbauen, künftig nicht mehr herkömmliche Landwirtschaft nebenbei betreiben. Alles für eine biologisch saubere Milch nach EU-Vorstellungen. Das geht bei der Verarbeitung dessen, was als Rohstoff in der Molkerei abgegeben wird, weiter. Ob es sich um Vollmilch, teilentrahmte (fettarme) oder Magermilch handelt – alles ist festgelegt. Der Fettgehalt wurde europäisch geregelt. Wer den Karton mit der Aufschrift „mindestens 3,8 Prozent Fett“ wählt, erhält eine Vollmilch mit natürlichem Fettgehalt. Bei „mindestens 3,5 Prozent Fett“ handelt es sich bereits um ein gänzlich anderes Produkt mit eingestelltem Fettgehalt. Doch der Verbraucher kann noch mehr über den weißen Muntermacher erfahren, wenn er die Verpackung nur gründlich liest. Denn in einem kleinen ovalen Kreis wird dort nach entsprechenden Kennzeichnungsvorgaben aus Brüssel exakt aufgeführt, aus welchem Land (D = Deutschland) die Milch kommt und in welchem Bundesland (zum Beispiel BY = Bayern) das Produkt eingefüllt wurde. Die fünfstellige Nummer der Produktionsstätte lüftet auch das letzte Geheimnis: Wo wurde die Milch hergestellt?

Aufschriften wie „pasteurisiert“, „ultrahocherhitzt“ oder „homogenisiert“ vervollständigen die Verbraucherinformation entsprechend den europäischen Richtlinien. Sollte ein Hersteller die Milch mit Vitaminen oder anderen Zusatzstoffen angereichert haben, muss dies auf der Verpackung vermerkt sein. Das Gleiche gilt für eventuelle Ergänzungen, die aus gentechnisch veränderten Substanzen gewonnen wurden. Nach diversen Reformen der europäischen Gesetzgebung darf der Verbraucher keine offenen Fragen mehr haben.

Noch deutlicher wird der europäische Durchgriff in unseren Alltag aber bei der Verpackung. Im Laufe der Zeit haben sich die sogenannten Tetra-Pak-Kartons gegen Schläuche und Flaschen durchgesetzt, eine schwedische Erfindung aus den 1950er-Jahren. Die aseptische Einfüllung keimfreier Milch ist für den Siegeszug dieser Verpackung verantwortlich, der nicht ohne Zwischenfälle verlief. Im Herbst 2005 tauchten Berichte aus Italien auf, denen zufolge Rückstände der Druckchemikalie ITX zunächst in Babymilchprodukten festgestellt worden waren. Noch ehe die Europäische Kommission selbst aktiv werden konnte, hatte der Tetra-Pak-Hersteller Brüssel informiert, eigene Analysen angefertigt und deren Ergebnisse an die Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (Efsa) in Parma (Italien) weitergeleitet. Von dort gab es nach der Umstellung schließlich Entwarnung. Nicht nur Tetra Pak, sondern auch die Milch war gerettet. Europa hatte die Fäden in der Hand.

Die Milchquote ist umstritten

Doch damit ist der europäische Einfluss auf ein nahezu alltägliches Produkt noch nicht zu Ende. Schließlich hat Brüssel schon seit 1984 geregelt, wer wie viel Milch herstellen darf. 2011 wurden rund 152 Millionen Tonnen in den damals 27 EU-Mitgliedstaaten produziert. Das entsprach einigermaßen genau der Quote. Dieses Instrument sollte eigentlich dazu dienen, den einzelnen Betrieben kostendeckende Produktion zu garantieren. Der Weg klingt ganz einfach: Brüssel verteilt an die Mitgliedstaaten bestimmte Mengenvorgaben, die Deutschland (andere Länder wählen andere Wege) an die produzierenden Höfe weitergibt. Wer diese vorgegebene Menge produziert, bekommt sein Geld, wer mehr liefert, zahlt drauf. Doch diese Subventionspolitik geriet ins Kreuzfeuer der Interessen, schließlich verhinderte Brüssel, dass die Bauern ihre Produkte selbst entsprechend den Marktbedingungen verkaufen konnten. Das Ende der Milchquote steht 2015 an.

Dennoch unterstützt die EU auch die Hersteller weiter – das sogenannte Schulmilch-Programm gehört dazu. Im Rahmen dieses Projektes stellt Brüssel 4,5 Cent Beihilfe für jeden Schüler pro Tag zur Verfügung, wenn dieser sich mit einem Viertelliter Milch, Milchmischgetränk, Joghurt oder Käse verpflegt. Insgesamt lässt sich die EU diese Idee jährlich bis zu 80 Millionen Euro kosten und erreicht damit 20 Millionen kleine Europäer. „Iss dich gesund, fühl dich wohl“ hat man die Kampagne überschrieben, an der auch die meisten deutschen Bundesländer beteiligt sind – und die zahlreichen Milchproduzenten feste Abnehmer sichert.

In einem einfachen Karton voller Milch steckt also weitaus mehr Europa drin, als die meisten Konsumenten ahnen. Wissen sollten sie es trotzdem.