Brüssel/Mainz

EU will Regeln für Naturschutz lockern

Der Präsident der Europäischen Kommission, Jean-Claude Juncker, will die derzeitige Vogelschutz- und Naturschutzrichtlinie überprüfen und dann zusammenlegen. Diese Reform „setzt die Naturschutzerfolge aus 20 Jahren aufs Spiel“, warnt der Umweltverband WWF Deutschland. Am Samstag stellt er ein Rechtsgutachten des Instituts für Naturschutz und Naturschutzrecht Tübingen vor, das unserer Zeitung vorab vorliegt.

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Von Detlef Drewes und Stefan Hantzschmann

Bilanz: „Die Bewahrung unserer Umwelt soll unter einem fadenscheinigen Modernisierungsvorwand zugunsten der Wirtschaft abgeschwächt werden“, wie es WWF-Experte Günter Mitlacher ausdrückt.

Tatsächlich befürchten die Gutachter, dass der bisherige, exklusive Schutz der sogenannten Fauna-Flora-Habitat-Gebiete (FFH-Gebiete) stark eingeschränkt werden könnte, unter anderem weil die derzeit verpflichtende Suche nach Ausgleichsflächen gestrichen wird. Mit Inkrafttreten der europäischen Vorschrift mussten die Mitgliedstaaten Natura-2000-Regionen ausweisen, die fortan geschützt waren. Ein Bauprojekt, das diese Gebiete berührt oder gar zerstört hätte, war nicht erlaubt. Nur in wenigen, strikt reglementierten Ausnahmen konnte weiter gebaut werden, aber dann waren Ausgleichsflächen nötig, bedrohte Tiere sollten umgesiedelt werden.

Land ist gegen die Pläne

Eine Änderung dieser Regelung hätte auch für Rheinland-Pfalz erhebliche Folgen – immerhin gibt es hierzulande 120 FFH- und 57 Vogelschutzgebiete, die zusammen knapp 20 Prozent der Landesfläche umfassen. Damit liegt Rheinland-Pfalz über dem deutschen und dem europäischen Durchschnitt. In Mainz sieht man die Reformpläne der EU kritisch: „Die Umsetzung der beiden Richtlinien ist ein wichtiger Beitrag zur Umsetzung der Ziele der europäischen Biodiversitätsstrategie. Bund und Länder haben sich deshalb gegen eine Absenkung von Standards im europäischen Naturschutz ausgesprochen“, erklärt das rheinland-pfälzische Umweltministerium auf Anfrage. „Die Richtlinien sind das Herzstück des europäischen Naturschutzes. Die müssen erhalten bleiben und umgesetzt werden“, sagte Cosima Lindemann, Naturschutzreferentin beim Nabu Rheinland-Pfalz. Naturschutz müsse man groß denken, weil sich Arten und Tiere nun einmal bewegen.

Vor allem die großen Wirtschaftsverbände, aber auch Landwirte und Forstbesitzer hatten die bislang geltenden EU-Naturschutzauflagen häufig kritisiert. „In Planungs- und Genehmigungsverfahren führen die teils unverhältnismäßigen und vielfach unbestimmten Vorgaben zu großen Rechtsunsicherheiten und Verfahrensverzögerungen“, rügte beispielsweise der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) die geltende Rechtslage. Tatsächlich kam es immer wieder zu Verzögerungen bei großen Bauvorhaben.

Umweltschützer warnen

Der Schutz durch die EU-Richtlinien soll die Naturschutzregionen in Europa wiederherstellen. Nur 16 Prozent der ausgewiesenen FFH-Flächen in der EU haben sich inzwischen erholt, 77 Prozent befinden sich in einem „schlechten Erhaltungszustand“, stellte die EU-Kommission 2015 fest.

Auch Deutschland fällt da aus der Rolle des sonstigen Musterschülers. Im Februar 2015 erhielt die Bundesregierung einen Mahnbrief der Kommission, der auf elf Seiten Versäumnisse, Schlampereien und mangelnden Schutz für Fauna und Flora auflistete. Zwar hat Deutschland 4600 FFH-Gebiete nach Brüssel gemeldet, die 9,6 Prozent der Landesfläche ausmachen, aber für 2663 Regionen haben die Bundesländer bis heute keine Maßnahmen zum Erhalt oder zur Verbesserung festgelegt. Umweltschützer befürchten, dass sich daran auch nichts ändert, wenn sich herumspricht, dass die Kommission die Richtlinien entschärfen will.