Berlin

Die Bewährungsprobe des Norbert Röttgen

Es könnte das Thema des Norbert Röttgen werden. Er ist kein großer Verfechter der Atomenergie und spricht nun von einem Auslaufmodell. Doch schon im Herbst blieben seine Aussagen zu den notwendigen AKW-Nachrüstungen vage. Und der „Atom-Vertrag“ ist dabei ein Hemmschuh.

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Berlin – Es ist der 29. September 2010, als Norbert Röttgen im Bundestag wieder und wieder von der Opposition gefragt wird, wie er es mit den Nachrüstungen bei den Atomkraftwerken halte.

Es gebe keine Abstriche bei der Sicherheit, so lassen sich die Antworten des CDU-Umweltministers zusammenfassen. Die Auflagen für die Betreiber würden sogar noch erhöht, sagt der 45-Jährige. Wie, sagt er nicht. Vorwürfe, über das reformierte Atomgesetz würde das Klagerecht von Bürgern auf Nachrüstungen ausgehöhlt, weist Röttgen zurück. An seinen damaligen Worten wird er sich nun messen lassen müssen.

Röttgen sagt mit Blick auf das Drama in Fukushima Eins, die Kernenergie sei ein Auslaufmodell. Japan habe immer sehr hohe Sicherheitsanforderungen an den Betrieb von Kernkraftwerken gestellt. „Und trotzdem ist das alles passiert.“ Für ihn könnte die Atombrücke in das Ökoenergie-Zeitalter ruhig etwas kürzer ausfallen. Aber jetzt muss er erst einmal zeigen, wie die von der Kanzlerin angekündigten Sicherheitschecks aussehen sollen – und dass dies nicht mit den Konzernen ausgekungelt und Augenwischerei betrieben wird.

Seit Wochen werden Nachrüstlisten für die 17 deutschen Atommeiler erstellt, von denen einige wie der Pannenmeiler in Krümmel nun bis zu 50 Jahre laufen sollen. Doch das Versagen des Kühlsystems in mehreren japanischen Reaktoren stellt auch in Deutschland viele Planungen infrage. Die Atomindustrie ist in Erklärungsnot.

„An dem Beispiel sieht man, dass auch eine Nation wie Japan das nicht im Griff hat – und die sind uns technologisch mindestens ebenbürtig“, sagt der Münchener Strahlenexperte Edmund Lengfelder. Gerade bei den so wichtigen Notkühlsystemen liege auch bei deutschen Akw einiges im Argen, etliche Kraftwerke liefen im Prinzip auf einem Sicherheitsniveau von 1975. „Mich würde es nicht wundern, wenn ein solcher Fall auch bei uns eintreten würde“, sagt Lengfelder.

Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin sagt: „Deutschland hat den drittältesten Atomkraftwerkspark der Welt“. Wie auch SPD-Chef Sigmar Gabriel fordert er die sofortige Abschaltung der sieben vor 1980 ans Netz gegangenen Meiler. Zwar ist auch Landtagswahlkampf, aber solche Stimmen sind es, die nun eine weit verbreitete Stimmung in der Bevölkerung wiedergeben und die Nachrüstverhandlungen überschatten dürften.

Und hier holt die Regierung ihr von der Opposition als „Atom-Deal“ beschimpfter Vertrag mit den Energieunternehmen ein. Ursprünglich veranschlagte das Röttgen-Ministerium 50 Milliarden Euro für die Nachrüstkosten. Durch den Atom-Vertrag wurden die Kosten auf 500 Millionen Euro pro Kraftwerk gedeckelt (insgesamt 8,5 Milliarden Euro). Wird es teurer, dürfen die Konzerne die Summe von ihren Zahlungen in den Fonds zur Förderung der Ökoenergie abziehen.

Auch ein Schutz für alle Meiler gegen Flugzeugabstürze oder Terroranschläge, eben das berühmte Restrisiko, ist vom Tisch. Nun dürften zunächst einmal vor allem die Maßnahmen gegen komplette Stromausfälle und die Kühlsysteme unter die Lupe genommen werden.

Umstritten ist zudem, dass die für die Nachrüstverhandlungen zuständige Abteilung für Reaktorsicherheit im Umweltministerium von Gerald Hennenhöfer geleitet wird, der zuvor beim Akw-Betreiber Eon sein Geld verdiente.

„Hennenhöfer ist quasi der Agent der Atomwirtschaft in der Bundesregierung“, findet etwa Gerd Rosenkranz von der Deutschen Umwelthilfe. Hennenhöfer, der die Position bis 1998 schon einmal unter der Umweltministerin Angela Merkel bekleidete, findet solche Beschuldigungen etwas ehrenrührig und betont seine Unabhängigkeit.

Greenpeace fordert, die „heute nicht mehr genehmigungsfähigen Meiler“ wie Krümmel, Biblis A, oder Neckarwestheim 1 sofort vom Netz zu nehmen – nach dem rot-grünen Ausstiegsbeschluss wären Biblis und Neckarwestheim bereits nicht mehr in Betrieb, Union und FDP erlaubten ihnen aber ein Plus von acht Jahren, die Nachrüstungen sollen Schritt für Schritt erfolgen.

Die Umweltschützer kritisieren unter Verweis auf interne Dokumente, dass in Neckarwestheim 1 seit 2007 dringend notwendige Nachrüstungen verschleppt würden.

Nach Ansicht von Fachleuten besteht die Gefahr, dass Ausgaben in die Sicherheit in Deutschland auf die lange Bank geschoben werden, weil unklar ist, ob das Laufzeitplus vor dem Verfassungsgericht Bestand haben wird. Das Problem: Schon durch den Atomausstieg war unter Rot-Grün auf bestimmte Nachrüstungen verzichtet worden.

Hinzu kommt, dass in Deutschland sechs Atommeiler wie Fukushima Siedewasserreaktoren sind, wo Reaktorbehälter und das Turbinengebäude über der Wasser-Dampf-Kreislauf direkt miteinander verbunden sind, bei Unfällen also leichter Radioaktivität entweichen kann.

„Diese müssen sofort vom Netz“, fordert der Geschäftsführer der Deutschen Energie-Agentur (dena), Stephan Kohler. Es ist bemerkenswert, dass der Regierungsberater eine Rückkehr zum Atomausstieg empfiehlt.

Eine rasche Abkehr von der Laufzeitverlängerung um im Schnitt zwölf Jahre steht vorerst nicht zur Debatte, aber Union und FDP müssen fürchten, dass die Grünen nun wieder zulegen und die Macht in Baden-Württemberg am 27. März verloren geht.

Röttgen selbst könnte als CDU-Landeschef in Nordrhein-Westfalen vor einer vorgezogenen Landtagswahl stehen, aber er kann für sich in Anspruch nehmen, dass er sich für eine weitaus kürzere Laufzeitverlängerung eingesetzt hatte.

Er hat selbst einmal gesagt, dass auf Atomkraft wohl verzichtet werden kann, wenn es einen 40-prozentigen Ökostrom-Anteil gibt. Das könnte schon bis 2020 der Fall sein. Schon im ersten Quartal 2010 gab es durch viel Windkraft einen Stromüberschuss, der in etwa so hoch war wie die Stromproduktion in fünf deutschen Atomkraftwerken in diesem Zeitraum.

Bis etwa 2025 wäre nach dem Ausstiegsbeschluss der letzte Atommeiler vom Netz gegangen. Nun könnte es erst 2040 soweit sein. Möglich ist aber, dass angesichts der Ereignisse in Japan einige ältere Meiler früher vom Netz gehen müssen. Norbert Röttgen muss nun rasch Antworten finden auf die Kernschmelze von Fukushima. dpa