Berlin

Betreuungsgeld: Opposition blamiert Koalition

Foto: dpa

Um das Betreuungsgeld wird mit immer schärferen Waffen gekämpft. Am Freitag um 12.20 Uhr sollen im Bundestag am Freitag die Beratungen zur ersten Lesung des umstrittenen Gesetzes beginnen, das vor allem ein Prestigeprojekt der CSU ist. Doch die Sitzung muss abgebrochen werden, weil zu wenige Abgeordnete da sind.

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Selbst altgediente Parlamentarier erklären später bestürzt, so etwas noch nie erlebt zu haben. Anschließend gibt es Schuldzuweisungen in alle Richtungen. CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt spricht von einem „kleinen, dreckigen Foulspiel“ der Opposition. Das Protokoll eines turbulenten Sitzungstages:

Gut eine Stunde bevor das Betreuungsgeld beraten werden soll, um kurz nach 11 Uhr, steht noch ein ganz anderes Thema zur Abstimmung. Grüne und SPD hatten gemeinsam einen Antrag zur Vertriebsstruktur von Presseerzeugnissen gestellt. Die Regierungskoalition lehnt das ab. Als Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (Die Linke) zur Abstimmung ruft, passiert es: Nur wenige Abgeordnete sind da, wer die Mehrheit hat, ist kaum zu erkennen. „Es tut mir leid, das Präsidium ist sich im Moment nicht einig bei der Feststellung des Abstimmungsergebnisses“, sagt Pau, etwas irritiert um sich blickend. Sie lässt noch einmal abstimmen, blättert dann in der Geschäftsordnung des Bundestages nach. Es folgt die Aufforderung zum Hammelsprung zu TOP 46d: Um ein klares Ergebnis zu haben, verlassen die Abgeordneten den Plenarsaal und kommen durch die jeweilige Tür mit der Aufschrift „Ja“, „Nein“, „Enthaltung“ wieder herein. Eigentlich ein gewöhnliches Verfahren.

SPD- und Grünen-Abgeordnete werden später sagen, dass ihnen die Idee erst in diesem Moment kam, draußen vor der Tür nämlich. Nur wenige Journalisten sind im Haus, als etwa 70 Abgeordnete der Opposition beschließen, den Sitzungssaal nicht wieder zu betreten. Dem Vernehmen nach sollen „die SPD-Frauen“ die Chance zuerst erkannt haben, die erste Lesung über das Betreuungsgeld und damit einen Beschluss noch vor der Sommerpause zu verhindern. Die Opposition will die „Herdprämie“ unbedingt stoppen. Sie steht als Übernächstes auf der Tagesordnung. So geschieht das Unglaubliche: Um 11.14 Uhr wird die Abstimmung eröffnet, doch Sozialdemokraten und Grüne kommen nicht wieder in den Plenarsaal. Bis etwa 11.20 Uhr wird auf den Rängen noch munter geplaudert. Bei Union und FDP ahnt offenbar noch niemand etwas vom Streich der Opposition. Nicht einmal Familienministerin Kristina Schröder, die den Gesetzentwurf für das Betreuungsgeld vorgelegt hatte, ist im Saal. Es heißt später, sie hätte es auch zur Lesung um 12.20 Uhr nicht geschafft. Nicht einmal mehr die zuständige Ministerin lässt eine Leidenschaft für die geplante Leistung erkennen. Gegen 11.30 Uhr wird es allmählich unruhig unter den Koalitionären. Von „Manipulation“ ist die Rede, „nicht ordnungsgemäß“ sei das Verhalten der Opposition. Manchen schwant offenbar langsam, dass sie hereingelegt werden. Um 11.33 Uhr erklärt Pau die Sitzung für beendet und aufgehoben. Nur 211 Abgeordnete sind nunmehr im Saal, damit ist der Bundestag nicht mehr beschlussfähig. Mindestens die Hälfte der insgesamt 620 Abgeordneten muss anwesend sein.

Viele Journalisten, die kurz darauf eintreffen, um die Debatte über das Betreuungsgeld zu verfolgen, stehen vor einem leeren Plenarsaal. CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe und CSU-Generalsekretär Dobrindt treten dann doch noch strammen Schrittes vor die Presse. Empörte Gesichter bei beiden. Die Koalition ist blamiert.

„Schäbig“ und „undemokratisch“ nennen sie die Opposition, die sich „Verfahrenstricks“ bediene. Die Parlamentarischen Geschäftsführer der Grünen und der SPD, Volker Beck und Thomas Oppermann, machen indes unschuldige Miene, können aber ihre Schadenfreude kaum verbergen. Oppermann lässt es mit dem Hinweis bewenden, dass auch 126 CDU- und FDP-Abgeordnete fehlten. Das sei „stummer Protest“.

Von unserer Berliner Korrespondentin Rena Lehmann