Berlin

Anschlag in Berlin: Mutmaßlicher Attentäter sollte abgeschoben werden

Der Verdächtige für den Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt war den Behörden bekannt. Gegen ihn wurde wegen der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat ermittelt. Und er sollte abgeschoben werden. Ist es dieses Mal die richtige Spur?

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Anis Amri
Das vom Bundeskriminalamt (BKA) zur Verfügung gestellte undatierte Bild zeigt den Tatverdächtigen Anis Amri.
Foto: Polizei/BKA
Der mutmaßliche Attentäter vom Berliner Weihnachtsmarkt hat schon vor dem Anschlag im Visier der Ermittler gestanden und sollte abgeschoben werden. Gegen den Tunesier wurde wegen des Verdachts der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat ermittelt, wie NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) am Mittwoch in Düsseldorf mitteilte. Der Mann sei bereits im Juni 2016 als Asylbewerber abgelehnt worden. «Der Mann konnte aber nicht abgeschoben werden, weil er keine gültigen Ausweispapiere hatte», sagte Jäger. Anis Amri (24) ist als islamistischer Gefährder bekannt. Nach ihm wird bundes- und europaweit gefahndet.

Die für die Abschiebung wichtigen tunesischen Ausweispapiere seien erst zwei Tage nach dem Berliner Anschlag bei den deutschen Behörden eingetroffen, betonte der Minister. Tunesien habe lange Zeit bestritten, dass es sich bei dem Mann um einen Tunesier handele.

Die Bundesanwaltschaft bat die Öffentlichkeit um Mithilfe bei der Suche und schrieb für Hinweise eine Belohnung von bis zu 100 000 Euro aus. Der Generalbundesanwalt mahnte aber auch zur Vorsicht: «Bringen Sie sich selbst nicht in Gefahr, denn die Person könnte gewalttätig und bewaffnet sein!» Amri ist 1,78 Meter groß, wiegt circa 75 Kilo, hat schwarze Haare und braune Augen, wie die Bundesanwaltschaft weiter mitteilte.

Nach Angaben von NRW-Innenminister Jäger wurden die Ermittlungen wegen der staatsgefährdenden Straftat vom Landeskriminalamt NRW initiiert und wurden in Berlin geführt. Dort habe der Verdächtige seit Februar 2016 seinen Lebensmittelpunkt gehabt und sei nach heutigem Kenntnisstand zuletzt nur kurz in Nordrhein-Westfalen gewesen. Die Sicherheitsbehörden hätten ihre Erkenntnisse über ihn im gemeinsamen Terrorabwehrzentrum ausgetauscht, zuletzt im November 2016.

Nach Medienberichten wurden Duldungspapiere des nun Verdächtigen im dem Laster gefunden, der am Montagabend auf den Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche gefahren ist. Bei der Tat waren zwölf Menschen ums Leben gekommen und rund 50 teils lebensbedrohlich verletzt worden. Ein zunächst festgenommener Pakistaner wurde wieder freigelassen.

Die Dokumente sollen im Kreis Kleve in Nordrhein-Westfalen ausgestellt worden sein. Laut «Spiegel Online» war er in einer Asylunterkunft in Emmerich gemeldet, laut «Süddeutscher Zeitung» («SZ»), NDR und WDR aber seit Dezember abgetaucht.

Amri soll im Juli 2015 über Freiburg nach Deutschland eingereist sein. «Er war dann nach Baden-Württemberg auch in Berlin und in Nordrhein-Westfalen», sagte Jäger. Der Mann habe Kontakte zum Netzwerk des kürzlich verhafteten Salafisten-Predigers Abu Walaa unterhalten und sei von der Polizei abgehört worden, berichteten «SZ», NDR und WDR. Er sei der Polizei wegen Körperverletzung bekannt, schreibt «Bild.de».

Zum Tathergang gibt es nach wie vor viele offene Fragen. Der polnische Lkw-Fahrer, der auf dem Beifahrersitz saß, hat laut «Bild»-Zeitung bis zum Attentat noch gelebt. Das habe die Obduktion ergeben, berichtete die Zeitung. Ein Ermittler habe von einem Kampf gesprochen. Nach dem Anschlag wurde der Pole tot im Lkw gefunden. Nach dpa-Informationen wurde er mit einer kleinkalibrigen Waffe erschossen, von der bislang jede Spur fehlt.

Unklar war zudem, ob die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) hinter dem Anschlag steht. Sie hatte den Angriff für sich reklamiert. Der IS hatte sich in der Vergangenheit immer wieder über sein Sprachrohr Amak zu Anschlägen in unterschiedlichen Ländern bekannt. Täterwissen gab der IS – wie schon in früheren Fällen – nicht bekannt.

Die politische Debatte über Konsequenzen lief derweil auf Hochtouren. CSU-Chef Horst Seehofer, der eine Neujustierung der Sicherheits- und Zuwanderungspolitik gefordert hatte, stand stark in der Kritik, auch aus der Schwesterpartei CDU. Die CDU-Vizevorsitzende Julia Klöckner argumentierte, dass auch die von Seehofer bislang geforderte Obergrenze von 200 000 Flüchtlingen pro Jahr die Sicherheitslage nicht grundlegend verbessern würde. Ein weiterer CDU-Vize, Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl, kritisierte im SWR mit Blick auf den später freigelassenen ersten Verdächtigen: «Das war gestern nicht sehr klug, über eine Person zu spekulieren, von der sich dann herausstellt, dass sie mit der Tat gar nichts zu tun hat.»

Es ist ein offenes Geheimnis, dass viele CDU-Politiker Seehofers Meinung teilen und sich eine härtere Gangart von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) wünschen – allerdings meldete sich am Mittwoch zunächst kein Unterstützer der CSU-Linie zu Wort. Pflichtgemäß verteidigte CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer im «Morgenmagazin» von ARD und ZDF seinen Parteichef: «Wir brauchen jetzt, und das erwartet das Staatsvolk, eine starke Staatsgewalt.»

Justizminister Heiko Maas (SPD) mahnte ohne Nennung eines speziellen Adressaten: «Niemand sollte versuchen, dieses abscheuliche Verbrechen für die eigenen Zwecke zu instrumentalisieren. Wer es dennoch tut, entlarvt sich selbst als verantwortungslos.»

Die am Tag nach dem Anschlag geschlossenen Weihnachtsmärkte in Berlin öffneten wieder ihre Tore. Auch der angegriffene Markt am Breitscheidplatz zu Füßen der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche sollte am Donnerstag wieder in Betrieb genommen werden. Die Polizeipräsenz sei an «entsprechenden Punkten» deutlich erhöht worden, sagte der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD).

dpa