Eine Stunde

Angriff auf Brüssel: EU-Metropole gerät in die Hand des Terrors

Es ist diese eine Stunde, die die moderne Großstadt Brüssel zu einem Kriegsschauplatz macht. Blutende Menschen, die vor Schock starr aus dem Flughafen-Gebäude fliehen, ihre Koffer teilnahmslos hinter sich herziehen, einfach auf die Autobahn Richtung Brüssel laufen – nur weg hier.

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Polizei und Militär sichern am Dienstag, 22. März 2016, das Areal um Metrostationen in Brüssel.

Arnulf Stoffel/dpa

Bei einer neuen Terrorserie sind in Belgiens Landeshauptstadt mindestens 26 Menschen getötet worden. Die Zahl der Verletzten liegt bei mehr als 130.

dpa

Krankenwagen verlassen in Brüssel die Metrostation Maelbeek.

Federico Gambarini/dpa

Sicherheitskräfte patrouillieren am Kreisverkehr Charlemagne Karel de Grote in Brüssel.

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Rettungsdienste sind an der Metrostation Maelbeek in Brüssel im Einsatz.

Arnulf Stoffel/dpa

Ein Polizist kontrolliert einen Krankenwagen auf dem Weg zur Metrostation Maelbeek.

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Auf der Flucht: Nach dem Terror-Anschlag verlassen viele Menschen das Flughafengelände.

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Ein Krankenwagen auf dem Weg zum Anschlagsort am Flughafen Brüssel-Zaventem.

Olivier Hoslet/ Olivier Hoslet

Aus der Vogelperspektive: Blick auf den Flughafen von Brüssel.

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Ein Polizeioffizier steht in der Rue de la Loi, in der kein Auto mehr fahren kann.

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Passagiere verlassen nach den Explosionen das Flughafengelände.

Laurent Dubrule/ Laurent Dubrule

Nach den Explosionen fliehen die Menschen aus den Gebäuden des Flughafens Brüssel-Zaventem.

Olivier Hoslet/ Olivier Hoslet

Am Flughafen Brüssel-Zaventem hat es mehrere Explosionen gegeben.

Laurent Dubrule/ Laurent Dubrule

Der Flughafen von Brüssel wurde am Dienstagvormittag evakuiert.

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Blick auf den Flughafen von Brüssel: Beim Terror-Anschlag ist die komplette Fensterfront des Gebäudes zuerstört worden.

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Bei den Explosionen am Brüsseler Flughafen hat es mehrere Tote und viele Verletzte gegeben.

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Bei den Explosionen am Brüsseler Flughafen hat es mehrere Tote und viele Verletzte gegeben.

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Bei den Explosionen am Brüsseler Flughafen hat es mehrere Tote und viele Verletzte gegeben.

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Bei den Explosionen am Brüsseler Flughafen hat es mehrere Tote und viele Verletzte gegeben.

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Bei den Explosionen am Brüsseler Flughafen hat es mehrere Tote und viele Verletzte gegeben.

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Bei den Explosionen am Brüsseler Flughafen hat es mehrere Tote und viele Verletzte gegeben.

dpa

Bei den Explosionen am Brüsseler Flughafen hat es mehrere Tote und viele Verletzte gegeben.

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Von unserem Korrespondenten Detlef Drewes

„Ich stand am Check-in-Schalter“, erzählt der 52-jährige Steve Colmans. „Es gab einen ungeheuren Knall, dann ein Schlag, der mich zu Boden warf.“ Es ist kurz nach acht an diesem Dienstagmorgen in der Abflughalle des Brüsseler Flughafens Zaventem. Über 150 Flüge sollen in den kommenden zwei Stunden angefertigt werden, dementsprechend groß der Andrang. Zuerst fallen Schüsse, dann zerreißt eine gewaltige Explosion die Luft. Fensterscheiben zersplittern, fallen auf wartende Passagiere, kurz danach stürzt die Deckenkonstruktion herunter. „Ich sah wie eine Frau von einer solchen Platte am Kopf getroffen wurde und blutüberströmt zusammensank“, erzählt Andrew Brandt, der eigentlich nach Berlin fliegen wollte. Rauch dringt aus dem Gebäude, Flughafenmitarbeiter versuchen, die Menschen Richtung Notausgänge zu treiben. Dann eine zweite Explosion, genau dort, wo die Wartenden hingelaufen waren. „Das war ein brutales, auf viele Opfer ausgerichtetes Vorgehen“, sagt einer Flughafen-Betreuer später. Er ist über und über mit Blut bespritzt.

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Doch der Schrecken hat gerade erst begonnen. Während die Sicherheitskräfte und Rettungskräfte hinaus zum Flughafen eilen, der Airport den gesamten Luftraum sperrt, den Pendelzug in die Innenstadt stoppt und Brüssels wichtigsten Autobahnring weiträumig schließt, zündet ein weiterer Täter seine Bombe in einem Metro-Zug. Bei der Einfahrt in die Station Maelbeek, nur wenige hundert Meter von den großen europäischen Institutionen entfernt, passte der Terrorist offenbar genau den Moment ab, als sich alle an den Ausgang drängten, die Türen aber noch geschlossen waren. Die Explosion tötet 15 Menschen sofort, zig Verletzte stolpern aus den rauchigen Ausgängen auf die benachbarte Rue de la Loi, Brüssels wichtigste Einfallstraße. Andere Passagiere bahnen sich einen Weg durch den Tunnel zur nächsten Station. Schnell werden die Untergrundbahnen in der ganzen Stadt gestoppt, Busse und Bahnen dürfen noch die nächsten Haltestellen anfahren und bleiben stehen. Die Regierung ruft den Katastrophenfall aus und beordert zusätzliche Sicherheitskräfte an die beiden Atomkraftwerke des Landes. Am Nachmittag lässt man den Meiler Tihange bei Lüttich (70 Kilometer von Aachen) räumen. Im Europäischen Parlament, das gerade mal 500 Meter Luftlinie vom Explosionsort der Metro entfernt ist, schließen Sicherheitskräfte die Türen. „Wir kommen nicht mehr raus“, berichtet der CDU-Europa-Abgeordnete Elmar Brok, der gerade eine Sitzung des Auswärtigen Ausschusses leitet.

Zu diesem Zeitpunkt ist Brüssel bereits eine sterbende Stadt. Nun werden Schulen und öffentliche Gebäude geräumt. Firmen und Behörden bitten ihre Mitarbeiter, zu Hause zu bleiben. Der deutsche Botschafter in Brüssel, Rüdiger Lüdeking, verschickt eine Mitteilung an seine Landsleute, in der er die Aufforderung der belgischen Regierung weitergibt: „Bitte bleiben Sie, wo Sie sind. Gehen Sie nicht aus dem Haus. Vermeiden Sie öffentliche Plätze.“ Wohin sollte man auch gehen? Die großen Bahnhöfe der Stadt sind stillgelegt, die Bahnen Belgiens, Frankreichs, der Niederlande und Deutschlands haben ihre Züge auf offener Strecke gestoppt. „Nein, wir haben keine Ahnung, wie wir die Menschen am Abend nach Hause bringen sollen“, sagt ein Polizei-Sprecher am Nachmittag.

Zu diesem Zeitpunkt sprechen die Behörden von 26 Toten und 130 Verletzten, davon mindestens zehn lebensgefährlich. Premier Charles Michel hat zur Ruhe aufgerufen, doch noch ist unklar, ob und wenn ja wie die Regierung die Lage im Griff hat. „Wir befürchten, dass weitere Terroristen in der Stadt unterwegs sind“, heißt es plötzlich am Mittag aus dem Kabinett. Als das Mobilfunknetz zusammenbricht, bitten die Behörden die Menschen, auf die sozialen Netzwerke auszuweichen. Facebook richtet prompt eine neue Rubrik ein: „Bin in Sicherheit“ kann man per Knopfdruck den Freunden und Verwandten signalisieren. „Ich habe Angst“, schreibt mir eine Bekannte, die in einer nahegelegenen Bank arbeitet und deren Kinder aus der Schule kommen. „Kannst du mich holen?“ Der Premier spricht vom „Krieg“. „Brüssel wurde angegriffen“, schreiben die belgischen Medien.

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Am Nachmittag hat sich die Millionen-Metropole in eine Geisterstadt verwandelt. Die Straßen sind leer gefegt, einige Häuser in der Innenstadt wurden regelrecht verrammelt. In den Büro-Hochhäusern im europäischen Viertel sieht man Gesichter an den Fenstern, noch weiß niemand, wie und wann er das Gebäude verlassen und nach Hause fahren kann. Und vor allem, wie er überhaupt aus der Stadt kommen soll. Erst am späten Nachmittag dürfen die Menschen die Häuser verlassen, auch die Bahnhöfe öffnen wieder die so wichtigen Vorortzüge bringen alle nach Hause. Von der Polizei heißt es, sie durchsuche weitere Häuser in verschiedenen Gemeinden der Hauptstadtregion. Immer wieder gibt es Warnungen von Armee und Sicherheitskräften, weil nicht identifizierbare Pakete, Päckchen oder Gepäckstücke gesprengt werden müssen. Man will eine Panik vermeiden. Doch das gelingt nur unbeholfen und begrenzt. Die langen Kolonnen von Polizeifahrzeugen mit Blaulicht und schweren gepanzerten Armee-Gefährten tauchen die Stadt in ein gespenstisches Licht. Das einzige, was die Menschen gerade noch hält, ist ihre Solidarität über die Netzwerke. „Bist du okay?“, schreibt ein Freund aus dem Argentinien-Urlaub. „Gibt es jemanden, der meine Kinder aus dem Kindergarten mit zu sich nach Hause nehmen kann?“, bittet eine verängstigte Mutter über Facebook. Sofort erklären sich mehrere bekannte Eltern bereit. „Ich kann meinen Mann seit Stunden nicht erreichen“, twittert eine verzweifelte Frau über den Kurznachrichtendienst. „Ist jemand aus seiner Bank da, der mir sagen kann, ob es ihm gut geht?“ Nur eine Minute später kann sie aufatmen. Doch nicht alle haben so viel Glück. Die Nachfrage nach einem nahen Freund bleibt dagegen ohne Antwort. Dann ist es Gewissheit. Brüssel ist nicht nur getroffen, sondern auch verwundet.

Ein von@kingzazou gepostetes Foto am