Ballern bildet? – Forscherin staunt über komplexe Kommunikation bei Computerspielen

Spielt selbst ab und an – „aber schlecht“: Medienwissenschaftlerin Judith Ackermann (Bildmitte) hat sich stundenlang Material angeschaut, um die Kommunikation der Spieler zu analysieren. 
 
Spielt selbst ab und an – „aber schlecht“: Medienwissenschaftlerin Judith Ackermann (Bildmitte) hat sich stundenlang Material angeschaut, um die Kommunikation der Spieler zu analysieren.   Foto: Jürgen Sleegers

Berlin/Bonn – Steckt in Computerspielen viel mehr Potenzial als gemeinhin angenommen – und das in Ego-Shootern ebenso wie in Geschicklichkeitsspielen oder Fußball-Simulationen? Die Bonner Medienwissenschaftlerin Judit Ackermann hat stundenlange Aufzeichnungen von gemeinsamem Spielen analysiert – und festgestellt: Es wird fast permanent gesprochen – und die Kommunikation stellt erstaunlich vielschichtige Anforderungen.

Lesezeit: 2 Minuten
Anzeige

Der Zuruf „Wenn du den Kopf triffst, sind die am meisten tot“ klingt weder freundlich, prosaisch und nicht einmal sonderlich logisch. Als Motto für einen Vortrag bei der Re:publica in Berlin weckt er zumindest Neugierde – und in einem Spiel kann er auf den Punkt bringen, was gerade zu tun ist. Für Judith Ackermann, die mit Forschungen zu dem Thema ihre Dissertation verfasst hat, ist der Satz zwischen Spielern eines Ballerspiels ein gutes Beispiel: Unter Zeitdruck werden Sachverhalte knapp übersetzt. Die Forscherin hat sich wochenlang Aufzeichnungen davon angeschaut, wie verschieden zusammengesetzte Gruppen miteinander spielen.

Zunächst hatte sie LAN-Partys – verschieden zusammengesetzte Gruppen spielten vernetzt „Counterstrike“ – darauf analysiert, wie und worüber die Spieler miteinander reden. Es folgten Beobachtungen, wie das aussieht, wenn mehrere Leuten zusammen „Warcraft III“, die Fußballsimulation „FIFA12“ oder „Super Mario“ auf dem Schirm hatten. „Und das Material könnte ich mir anschauen, bis ich 70 bin, und würde immer noch auf neue Dinge stoßen“, sagt die 29-Jährige. Ackermann, selbst „keine so tolle Spielerin“, versteht ihre Forschungen als Einladung an andere Wissenschaftler, die Daten ebenfalls zu nutzen. Nach ihrer Dissertation arbeitet sie in der Arbeitsgruppe „Digitale Medien in der Beruflichen Bildung“.

Die von ihr festgehaltenen Dialoge unter den Spielern belegen vor allem: Beim gemeinsamen Computerspielen legen die Teilnehmer Fähigkeiten an den Tag, Spielsituationen sehr schnell verständlich zu erklären und daraus Anleitungen abzuleiten – und das unabhängig davon, aus welchem Genre das Spiel stammt. „Das ist eine Übersetzungsleistung von Fachbegriffen in Standardsprache.“ Zugleich passen die Spieler ihre Erklärungen an den Lernfortschritt an. Diese Fertigkeiten ließen sich auf viele Lebensbereiche übertragen. „Wir müssen dahin gelangen, dass wir anerkennen, dass bei solchen Spielen sehr viel passiert, das Fertigkeiten schult und ausbildet.“ Der Antrieb, das Spiel zu gewinnen oder möglichst weit zu kommen, führt dazu, dass die Mitspieler extrem zielgerichtet miteinander sprechen.

Die Wissenschaftlerin räumt ein, selbst genervt zu sein von der regelmäßigen pauschalen Kritik an den vermeintlichen „Killerspielen“. Gerade erst hatte es aus der CDU-Bundestagsfraktion heftige Kritik daran gegeben, dass das Spiel „Crysis 2“ den Deutschen Computerspielpreis erhalten hat. Jurymitglied Peter Tauber, selbst CDU-Abgeordneter, hatte die Entscheidung damit verteidigt, dass das Spiel Lerneffekte hervorrufe und die Koordination trainiere.

Er hatte sich auch dagegen gewehrt, Zusammenhänge zwischen Ego-Shootern und Amokläufen herzustellen: Mehrere Millionen Menschen spielten solche Spiele – auch Anwälte und Ärzte.

Forscherin Ackermann spricht sich zugleich auch gegen viele Formen des Edutainments aus – gegen Lernspiele, die ihrer Ansicht nach wenig erreichen: „Teilnehmer fühlen sich da mehr oder weniger unterbewusst um den Spielspaß betrogen, deshalb ist die Motivation eine ganz andere.“

Das Besondere an ihrer Arbeit ist, die Spielsituation selbst zu analysieren: Wenn zu Computerspielen geforscht wird, dann meist auf der Basis von Befragungen. Doch die geben die Spielsituationen nur sehr ungenau wieder – wenn die Spieler nicht sogar selbst bewusst die Antworten in die Richtung des sozial Erwünschten drehen.