Zum Tod von Helmut Schmidt: Erinnerungen an „Schmidt-Schnauze“

Helmut Schmidt ist tot – und auch in Rheinland-Pfalz trauern viele Menschen, die den großen Politiker noch selbst bei Veranstaltungen und Gesprächen kennen gelernt hatten. Sie erinnern sich an „Schmidt-Schnauze“, der – Hanseat durch und durch – doch mit seinen Reden richtig Stimmung machen konnte. Wir haben Erlebnisse und Rückblicke zusammengetragen.

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Rhein-Lahn-Kreis Willi Diel: Mit Helmut Schmidt auf Augenhöhe

„Schmidt war ein großartiger Steuermann“, schrieb der Bad Emser Ehrenbürger und Sozialdemokrat Willi Diel damals aus Anlass von Schmidts 90. Geburtstag über den Albundeskanzler.

Diel, der unter anderem 45 Jahre lang dem Kreistag angehörte, 12 Jahre Landtagsabgeordneter war und 20 Jahre als Bürgermeister der Verbandsgemeinde Bad Ems wirkte, erinnert sich gerne an die Begegnungen mit Schmidt. „Wir haben uns vielleicht 15 Mal getroffen“, so Diel. „Mit Helmut Schmidt hatte ich nicht so enge menschliche Kontakte wie mit Willy Brandt, bei dem ich auch im privaten Kreis im Bungalow saß. Brandt und Herbert Wehner waren kumpelhafter, Schmidt sehr korrekt und und absolut sachorientiert. Doch Diel hat Schmidt auch anders kennengelernt. “Nach dem Ende eines Parteitags war er gelöst und zugänglich. Bei einem Glas Bier hat er dann auch Witze erzählt und herzhaft gelacht.„

Mit dem Chor Bad Emser Lerchen besuchte Diel den Kanzler 1977 in Bonn, die jungen Sänger erfreuten den Regierungschef und leidenschaftlichen Pianisten mit ihren Liedvorträgen. Diel ist überzeugt, dass seiner Partei auch heute ein Mann mit den Führungsqualitäten Helmut Schmidts gut zu Gesicht stehen würde. Wird er ihm zum Geburtstag gratulieren? Diel: “Ja. Aber erst in zwei oder drei Wochen. Dann werde ich ihm ein Foto mit mir schicken. Jetzt würde so ein Glückwunsch leicht in der Masse untergehen.„

Boppard: Schmidts Bopparder Ouvertüre

Einen Dankesbrief von Helmut Schmidt hat wahrlich nicht jeder erhalten. Der Bopparder Pfarrer Walter Krause kann solch ein seltenes Stück vorweisen – vielleicht sind die Dienste, die der Gottesmann dem Altkanzler einst erwies, aber auch wirklich einzigartig.

Wenige Tage nach der gewonnenen Bundestagswahl am 5. Oktober 1980 weilte Helmut Schmidt auf dem Jakobsberg in Boppard, um seine Regierungserklärung vorzubereiten. Davon hatte auch der evangelische Pfarrer erfahren. Ein Gedanke erfüllte ihn mit Schrecken: Was, wenn der passionierte Klavierspieler Helmut Schmidt zur Zerstreuung das klapprige Tasteninstrument anrühren würde, das der Pfarrer von Familienfeiern, Taufen und Hochzeiten auf dem Jakobsberg nur allzu gut kannte. “Es erschien mir unwürdig, dass unser Kanzler auf so einem Instrument spielen muss„, erinnert sich Krause.

Kurzerhand fasste er einen Plan: Er machte sich auf zum Jakobsberg und überreichte dem damaligen Verwalter die Schlüssel zur evangelischen Christuskirche. Die hatte nämlich gerade eine neue Orgel bekommen. Das Angebot stand: Wenn es den Kanzler danach gelüste, so ließ Krause ausrichten, solle er frei über das Instrument verfügen. Eine Orgelpfeife des Vorgängerinstruments in seiner Kirche legte Krause als Geschenk bei.

Tatsächlich erhielt Walter Krause Ende Oktober einen Brief vom Kanzler. “Von Ihrem großzügigen Angebot, die neue Orgel einmal zu spielen, habe ich mit großem Vergnügen Gebrauch gemacht„, schrieb Helmut Schmidt und bedankte sich “für das originelle Geschenk der Orgelpfeife„. Für Walter Krause und die Bopparder Gemeinde bleibt das ein denkwürdiges Ereignis: “Bevor ich in Ruhestand gehe, möchte ich noch ein Schild an der Orgel anbringen lassen: Hier spielte unser Bundeskanzler Helmut Schmidt, als er im Jahr 1980 in Boppard weilte, um seine Regierungserklärung vorzubereiten.„

Neuwied und Koblenz: Als Schmidt die Zigaretten ausgingen ...

Anfang der 1970er-Jahre war Helmut Schmidt öfter Redner bei Wahlkampfveranstaltungen im Norden des Landes. Neuwieds Ex-Oberbürgermeister Manfred Scherrer traf ihn dabei in Koblenz. Im Gespräch mit der RZ stellt Scherrer allerdings gleich klar, dass die Genossen im Kreis Neuwied eher “Willy-Brandt-fixert„ gewesen seien.

Der kühle Klare aus der Hansestadt habe sich im nördlichen Rheinland-Pfalz im Gegensatz zum Nobelpreisträger Brandt nur äußerst selten gezeigt. “Brandt war ständig in Unkel. Wir haben uns oft getroffen. Die Verbindungen zu Schmidt waren indes nur parteipolitischer Natur„, stellt Scherrer klar.

Die Deichstadt habe der Brandt-Nachfolger im Amt des Bundeskanzlers nur einmal besucht – Mitte der 1960er-Jahre, als in Bonn die Große Koalition regierte, erinnert sich der Ex-OB. Und ebenso an eine unbedachte Äußerung, die ihm damals einen Rüffel der Partei einbrachte. Als junger Genosse hatte Scherrer Schmidt als “Ministerdarsteller„ bezeichnet. Das kam nicht gut an.

Schmidts Auftritte in der Region beschränkten sich auf Veranstaltungen während der Landtagswahlkämpfe. Während der ersten Hälfte der 1970er-Jahre sei der Hanseat öfter in der Koblenzer Rhein-Mosel-Halle aufgetreten. Im Mittelpunkt der Reden des damaligen Verteidigungsministers beziehungsweise Bundeskanzlers habe dabei stets die Bundespolitik gestanden, rheinland-pfälzische Sonderthemen habe er ausgeklammert.

Lebhaft erinnert sich Scherrer an eines der vorbereitenden Treffen in Koblenz. “Schmidt rauchte immer Reyno-Mentholzigaretten. Die waren ihm während der Gesprächs ausgegangen. Gleich drei Referenten sind aufgesprungen und haben sich fast gegenseitig über den Haufen gerannt, um dem damaligen Kanzler die geliebten Mentholglimmstängel zu holen„, erzählt Scherrer. Die habe Helmut Schmidt auch während seiner Reden in der Halle geraucht, während “sein„ Publikum nicht unter Dampf stehen durfte. Eine gewisse Arroganz möchte Scherrer dem ehemaligen Regierungschef denn auch nicht abstreiten.

Der altgediente Neuwieder Sozialdemokrat, der Hochachtung vor Schmidts politischem Lebenswerk hat, berichtet von einem durchaus “nicht konfliktfreien Verhältnis und internen parteipolitischen Schwierigkeiten„. Der als “links„ und “friedensbewegt„ geltende SPD-Unterbezirk Neuwied/Altenkirchen hatte seinerzeit eine eindeutige Position gegen den von Schmidt befürworteten Nato-Doppelbeschluss. bezogen. In der Partei seien die rheinland-pfälzischen Genossen sowieso als “Exoten„ betrachtet worden. “Wir galten nicht als die schlagkräftigsten, weil wir Helmut Kohl nicht bremsen konnten„, merkt Scherrer an.

Das habe sich erst geändert, als Kohl bei der Bundestagswahl 1980 die damalige Regierungskoaltion aus SPD und FDP beinahe “aus dem Stand ausgehebelt„ hätte. “Die Genossen im Bund, auch Schmidt, hatten Kohl unterschätzt„, ist sich Scherrer sicher. Kuriose Folge: Mit dem Aufstieg Kohls besserte sich auch das “Standing„ der rheinland-pfälzischen Genossen in der Bundes-SPD.

“Richtig freundlich wurde es dann , als wir 1991 in Rheinland-Pfalz die Regierung übernommen haben„, sagt Scherrer. Da war die Ära Schmidt schon fast Legende – und Manfred Scherrer seit einem Jahr Oberbürgermeister in Neuwied. (Frank Blum)

Kreis Birkenfeld: “Schmidt-Schnauze„ war dreimal im Kreis

Dreimal sprach der spätere Bundeskanzler Helmut Schmid bei Wahlkampfveranstaltungen seiner Partei im Kreis Birkenfeld: 1958, 1961 (kurz nach dem Berliner Mauerbau) und 1971.

Nur wenige Tage nach seiner legendären Rede im Bundestag gegen eine atomare Bewaffnung Deutschlands, die ihm nicht nur viele Anfeindungen des politischen Gegners, sondern auch den Beinamen “Schmidt-Schnauze„ einbrachte, war der junge Hamburger Bundestagsabgeordnete am 25. April 1958 Hauptredner einer SPD-Veranstaltung im voll besetzten Idarer Saalbau. Schmidt bezeichnete die Pläne der Adenauer-Regierung als “ein Unterfangen, das einem kollektiven Selbstmord gleichzusetzen ist„. Dafür gab es viel Beifall – im Kreis Birkenfeld war man sich auch damals schon bewusst, dass man sich so nahe an Baumholder als Ziel eines Atomschlags des Gegners geradezu anbot.

“Das parlamentarische Ja zur Atombewaffnung setzte Schmidt ... mit dem Ermächtigungsgesetz von 1933 gleich„, schreibt Axel Redmer in seinem Buch “Es sind nicht immer die Lauten stark„ über die Idarer Rede Schmidts. Der spätere Wortführer des Nato-Doppelbeschlusses sprach sich damals für eine atomwaffenfreie Zone in Europa aus, um die Großmächte räumlich voneinander zu trennen.

Schon 1971, als Schmidt als Verteidigungsminister an die Nahe zurückkehrte und Wilhelm Dröscher, damals SPD-Spitzenkandidat in Rheinland-Pfalz, im Landtagswahlkampf unterstützte, war er von seinen verteidigungspolitischen Aussagen von 1958 weit entfernt. Einen Tag vor der großen Bonner Friedensdemonstration 1981 begründete der Bundeskanzler Helmut Schmidt mit den Worten Carlo Schmids wieso: “Der gute Wille allein genügt nicht, um die Welt zu ändern... Wir können uns keine billigen Rezepte leisten und glauben, wir könnten das politische Geschehen in Gleichungen auffangen, die ohne Rest aufgehen."

Axel Redmer und Ehefrau Sonja verbindet noch eine ganz besondere Erinnerung an die Person des Altbundeskanzlers: Die beiden lernten sich 1972 bei einer SPD-Kundgebung mit Schmidt in Simmern kennen.

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1981: Als Kanzler Schmidt im Koblenzer Bundeswehr-Krankenhaus Klavier spielte

Um Schmidts Leben bangten die Deutschen auch vor 34 Jahren schon einmal – und die besorgten Blicke aus der Republik richteten sich damals in Richtung Koblenz.

Im Bundeswehrzentralkrankenhaus wurde der damalige SPD-Kanzler im Oktober 1981 wegen eines Herzleidens behandelt. Schmidt habe mehrmals das Bewusstsein verloren, sein Leben hing an einem seidenen Faden, hielten sich damals hartnäckig die Gerüchte. Das Bonner Kanzleramt dementierte, sprach zunächst von einer fiebrigen Erkältung. Schließlich wurde Schmidt im Koblenzer Lazarett ein Herzschrittmacher eingesetzt.

Bundeskanzler Helmut Schmidt im Bundeswehr-Zentralkrankenhaus (BWZK) in Koblenz, wo ihm ein Herzschrittmacher eingesetzt wurde. Im Bild: Schmidt nach seiner Operation beim Aktenstudium auf dem Krankenzimmer.

dpa

Bundeskanzler Helmut Schmidt im Bundeswehr-Zentralkrankenhaus (BWZK) in Koblenz, wo ihm ein Herzschrittmacher eingesetzt wurde. Im Bild: Oberstabsarzt Dr. Henkel verabschiedet Schmidt nach dessem knapp einwöchigen Aufenthalt im BWZK.

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Bundeskanzler Helmut Schmidt im Bundeswehr-Zentralkrankenhaus (BWZK) in Koblenz, wo ihm ein Herzschrittmacher eingesetzt wurde. Im Bild: Frau Loki besucht ihren Mann im BWZK.

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Bundeskanzler Helmut Schmidt im Bundeswehr-Zentralkrankenhaus (BWZK) in Koblenz, wo ihm ein Herzschrittmacher eingesetzt wurde. Im Bild: Schmidt begibt sich in Begleitung von Ärzten zu seiner Kontroll-Untersuchung.

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Bundeskanzler Helmut Schmidt im Bundeswehr-Zentralkrankenhaus (BWZK) in Koblenz, wo ihm ein Herzschrittmacher eingesetzt wurde. Im Bild: Schmidt telefonierte bereits am Donnerstag von seinem Krankenzimmer aus.

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In seinem Krankenzimmer im Koblenzer Bundeswehr-Krankenhaus empfing Bundeskanzler Helmut Schmidt am Donnerstagabend den nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Johannes Rau (R). Das Gespräch hatte die bevorstehende Moskau-Reise Raus zum Gegenstand.

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Vom Krankenbett aus regierte der Kanzler weiter, bestellte seine Minister, darunter auch den damaligen Außenminister Genscher, kurzerhand nach Koblenz ein – und nebenher spielte er im Krankenzimmer immer wieder Mozart und Bach auf einem kleinen tragbaren Keyboard der evangelischen Kirchengemeinde Lützel.

In der war 1981 Klaus Dannert Pfarrer, ein glühender Verehrer der SPD-Politikers. „Deshalb wusste ich, dass Schmidt zur Entspannung gern musizierte“, erinnert sich der heute 85-jährige Geistliche. In der Vinyl-Sammlung des Pfarrers befand sich sogar eine Langspielplatte: „Helmut Schmidt – Kanzler und Pianist.“

Als Dannert erfuhr, dass Schmidt im Koblenzer Bundeswehrzentralkrankenhaus (BwZK) behandelt wird, packte er spontan das kleine tragbare elektronische Klavier der Kirchengemeinde ein und fuhr in Richtung Metternich. „Ich dachte, damit kann sich Schmidt ein wenig ablenken. Er sollte an etwas anderes denken als nur an seine Krankheit oder die große Politik.“ So einfach erhält aber auch ein Mann Gottes nicht Zutritt zu einem Staatsmann, schon gar nicht mit einem Paket unter dem Arm. „Zuerst einmal wurde das Klavier ganz genau untersucht, ob sich da nicht vielleicht Sprengstoff drinnen verbirgt“, erzählt Dannert, in dessen Erinnerung die Szenen auch nach mehr als drei Jahrzehnten nicht verblasst sind. Schließlich wurde der Pfarrer vorgelassen, sollte aber vor dem Krankenzimmer Schmidts noch warten. „Drinnen liefen Amtsgeschäfte, Kanzleramtschef Manfred Lahnstein war gerade zu Besuch.

Etwa zwei Stunden harrte Dannert aus, dann wurde ihm angedeutet, dass noch einmal mindestens zwei weitere Stunden ins Land gehen würden, bis er Schmidt das Klavier überreichen könne. „Da habe ich es einfach dort gelassen und gebeten, man möge es dem Kanzler aushändigen“, erzählt er.

Und das haben die Schwestern und Pfleger dann auch getan. Sehr zur Freude des Kanzlers. Oft und viel habe er auf dem Instrument gespielt, wurde Pfarrer Dannert vom Krankenhauspersonal berichtet. Das Instrument wurde ihm zurück gebracht, nachdem Schmidt wieder nach Bonn abgereist war. Für Dannert war die Geschichte damit eigentlich schon beendet. Bis dann ein auf den 20. November 1981 datiertes Schreiben bei ihm im Briefkasten landete. Briefkopf: Bundeskanzleramt mit Unterschrift des Kanzlers höchstpersönlich.

Schmidt bedankte sich bei Dannert für die Leihgabe, bekundete, wie sehr es ihm Freude bereitet habe, auf dem Instrument zu spielen. Das Klavier ist mittlerweile verschollen. Die Erinnerung aber bleibt. Und die Haltung: „Schmidt war ein guter Kanzler. Ich habe ihn bewundert. Allerdings mit Einschränkung, nachdem er sich für die Nachrüstung eingesetzt hatte“, sagt der Pfarrer – und fügt hinzu: „Aber wie dem auch sei: Helmut Kohl hätte ich kein Klavier gebracht.“ Annette Hoppen