New York

Wie die Waisenkinder von 9/11 das Leben meistern

Tommy Palombo (24) trägt stolz die gleiche Uniform, die sein Vater Frank anlegte, als er vor 15 Jahren mit seinen Kameraden von der „Ladder 105“ zum World Trade Center ausrückte. Auf dem Rücken prangt wie bei seinem väterlichen Helden in reflektierenden Buchstaben der Name „Palombo“. Die New Yorker Feuerwehr erlaubte Tommy sogar, die Identifikationsnummer zu übernehmen. Nun steht auf seinem Schutzhelm die Zahl 10871.

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Von unserem USA-Korrespondenten Thomas Spang

„Darauf habe ich in meinem Leben hingearbeitet“, sagt Tommy Palombo den Reportern von CNN, die das Leben des jungen Mannes und seiner neun Geschwister dokumentierten. Eine eindrucksvolle Geschichte voller Schicksalsschläge, Hingabe und Liebe, die zeigt, wie eine Familie durch bloßen Zusammenhalt jede Hürde nahm und heute optimistisch in die Zukunft blickt.

Tommy war neun Jahre alt, als sein Vater unter den 110-Stockwerken des Südturms des World Trade Centers begraben wurde. Dass er sich nicht verabschieden konnte, belastete ihn am meisten. Umso mehr bedeuten dem im Mai frisch gebackenen Feuerwehrmann die Uniform mit dem Namen und die Marke mit der Nummer. „Ich ehre den Namen meines Vaters, indem ich anderen nun helfen kann“, beschreibt Tommy seine Berufung. Auch seine neun Geschwister schlugen Karrieren ein, die von dem Schicksalsschlag beeinflusst wurden.

Anthony, der Älteste der Palombos, teilt die tiefe Frömmigkeit des katholischen Feuerwehrmanns und bereitet sich auf das Priesteramt vor. Joe, der das Budget der Familie managte – aus der Pensionskasse der Feuerwehr, aus dem 9/11-Familienfonds sowie privaten Zuwendungen – ist heute Buchhalter. Patrick, der für seine Geschwister kochte, macht eine Ausbildung zum Küchenchef. Und Maria, eine der beiden Töchter, arbeitet als Krankenschwester auf der Krebsstation. Eine Entscheidung, die mit dem anderen Schicksalsschlag zu tun hat. Nur wenige Jahre nachdem Mutter Jean mit zehn Kindern im Alter von elf Monaten bis 15 Jahren allein zurückblieb, erkrankte sie an Darmkrebs. Nach langem Kampf starb sie im August 2013 im Alter von nur 53 Jahren.

Die Geschwister rückten einmal mehr zusammen und beschlossen, sich umeinander zu kümmern. Vor allem um die beiden jüngsten, Stephen und Maggie, die noch zur Schule gehen. Mit Ausnahme des verheirateten Bruders Frank und dem Priesteramtskandidaten Anthony leben sie bis heute in dem Haus in Ridgewood, in das die Familie nach dem Tod des Vaters von Brooklyn aus gezogen war.„Wenn wir alle unsere eigenen Wege gegangen wären, sähe es für uns schlimm aus“, beschwört Maria die Kraft des Zusammenhalts der Familie. Ein Erbe, das die zehn Palombos von ihren Eltern übernommen haben, die nie viel Geld, aber umso mehr Zuneigung füreinander hatten. Frank und Jean lebten von dem Glauben, dass Gott schon für sie sorgen werde, wenn sich ihm nur anvertrauten.

Diese Zuversicht teilen die „Palombo 10“, wie die zehn Waisen des 11. September auch heißen. Einfach war es deshalb lange nicht. Im Gegenteil. Oft genug haderten die Waisen mit der Frage, warum Gott sie so auf die Probe stellte. „Warum erlaubte er das?“ Experten wie Charles Goldstein vom Psychoanalytischen Institut der NYU in New York, der mit vielen 9/11-Waisen arbeitete, weiß, wie schwierig die Aufarbeitung des Verlusts eines Elternteils ist. „Für Kinder besteht dieses Konzept von Tod nicht“, meint er. „Es dauert eine ganze Weile, bis sie begreifen, was geschehen ist.“ Die Reaktionen fallen sehr unterschiedlich aus. Sie reichen von impulsivem Verhalten über Aggression bis hin zu Anhänglichkeit.

Besonders schwierig für die Kinder von Feuerwehrleuten und Polizisten war, so Lucy Daniels, die am „Center for Early Childhood“ in Cary, North Carolina, forscht, dass ihre Väter und Mütter von den Medien zu Helden stilisiert wurden. Das habe es den Angehörigen schwer gemacht, Wut darüber zu empfinden, dass ein geliebter Mensch nicht mehr zurückkam. Ein wenig kann das auch Maria nachempfinden, die sich über Monate einredete, ihr Vater sei von einem Stein getroffen worden und liege im Koma. „Ich habe mich geärgert, dass er so lange wegblieb.“