Wenn Armut zur Flucht treibt

Yayi Bayam Diouf wird nicht müde, junge Menschen vor der illegalen Migration zu warnen. Sie selbst hat ihren Sohn verloren, der während der Flucht auf dem Meer ums Leben kam.  Fotos: Eva-Maria Werner
Yayi Bayam Diouf wird nicht müde, junge Menschen vor der illegalen Migration zu warnen. Sie selbst hat ihren Sohn verloren, der während der Flucht auf dem Meer ums Leben kam. Fotos: Eva-Maria Werner Foto: Eva-Maria Werner

Gern geht Yayi Bayam Diouf nicht ans Meer. An den Strand, von dem ihr Sohn Alioune Mar als Kapitän einer Piroge mit 80 weiteren Menschen vor fünf Jahren Richtung Kanarische Inseln aufgebrochen ist. Ihr Ziel haben sie nicht erreicht. Sie waren eine Woche auf See, als ein Sturm ihr Boot zum Kentern brachte und alle Flüchtlinge ertranken.

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Gern geht Yayi Bayam Diouf nicht ans Meer. An den Strand, von dem ihr Sohn Alioune Mar als Kapitän einer Piroge mit 80 weiteren Menschen vor fünf Jahren Richtung Kanarische Inseln aufgebrochen ist. Ihr Ziel haben sie nicht erreicht. Sie waren eine Woche auf See, als ein Sturm ihr Boot zum Kentern brachte und alle Flüchtlinge ertranken.

Große Armut, hohe Arbeitslosigkeit (mehr als 50 Prozent) und mangelnde Zukunftsperspektiven haben in den vergangenen Jahren viele, vor allem junge Männer dazu verleitet, ihr Glück im vermeintlichen Paradies Europa finden zu wollen. 84 Prozent der Migranten sind Männer, 68 Prozent von ihnen zwischen 15 und 34 Jahre alt.

Die Entscheidung, das Land zu verlassen, treffen die wenigsten allein. Migration ist keine individuelle, sondern eine kollektive Angelegenheit. Die Migranten brauchen Menschen, die ihre Flucht finanziell unterstützen, umgekehrt wird von ihnen erwartet, Geld nach Hause zu schicken, wenn sie sich in Europa etabliert haben. Die meisten senegalesischen Flüchtlinge, die es bis Europa schaffen, kommen in Italien, Frankreich oder Spanien an. In Deutschland leben aktuell nur etwa 2000 bis 4000 senegalesische Migranten.

Von ihnen schickt jeder in der Regel 125 bis 250 Euro monatlich nach Hause. Doch meist kommt es gar nicht erst so weit. Viele Flüchtlinge sterben auf der gefährlichen Flucht über das Meer, andere, die es bis nach Europa schaffen, finden dort auch keine Arbeit und leben weitgehend ohne soziale Kontakte unglücklich fern der Heimat. Das Problem ist, meint Bayam Diouf, dass darüber nur wenige sprechen. Und deshalb hält sich die Legende vom „Paradies Europa“ hartnäckig.

Nach langer Trauer gründete Diouf die Organisation Collectif des Femmes pour la lutte contre l’emigration clandestine au Sénégal (Coflec), ein Zusammenschluss von Frauen im Kampf gegen illegale Auswanderung aus dem Senegal. Diouf und ihre 375 Mitstreiterinnen kümmern sich um die zurückgelassenen Familien, um Kinder, deren Eltern auf dem Meer ums Leben gekommen sind, und sie nehmen sich desillusionierter Heimkehrer an. „Ich lade alle, die zurückgekehrt sind, ein, die Wahrheit zu sagen“, sagt Diouf. „Ich möchte, dass sie vor allem den jungen Menschen mitteilen, wie riskant eine Flucht ist und wie schwierig es ist, tatsächlich in Europa Fuß zu fassen.“ Das ist eine wichtige Aufklärungsarbeit, denn ein großer Teil der Migranten wandert aufgrund unrealistischer Erwartungen hinsichtlich ihrer Perspektiven auf dem europäischen Arbeitsmarkt aus. Die Freude über zurückgegangene Flüchtlingszahlen kann Diouf allerdings nur bedingt teilen. Es ist beachtlich: Während im Jahr 2006 allein auf den Kanarischen Inseln 40 000 Flüchtlingsboote ankamen, waren es im Jahr 2009 in ganz Spanien gerade mal 5000. Das hat mehrere Gründe, ganz entscheidend hat es aber mit dem Einsatz der seit 2006 bestehenden europäischen Grenzschutzagentur Frontex zu tun, die mit Flugzeugen und Schiffen die afrikanische Küste kontrolliert und eine abschreckende Wirkung auf die Migranten hat. Viel weniger Boote als noch vor fünf Jahren verlassen täglich die senegalesische Küste, bestätigt auch Madame Diouf. Jedoch: Die Migranten lassen sich ihren Traum nicht so einfach zerstören. Ist ihnen der Weg über das Meer versperrt, nehmen sie die nicht minder gefährlichen Wege durch die Wüste bis an die nordafrikanische Küste. Frontex löst das Problem nicht, sondern verschiebt es nur.

„Ich möchte, dass sie vor allem den jungen Menschen mitteilen, wie riskant eine Flucht ist und wie schwierig es ist, tatsächlich in Europa Fuß zu fassen.“ Yayi Bayam Diouf kümmert sich im Senegal um Menschen, die nach Europa fliehen wollten, und deren Angehörige.

„Entscheidend ist, unser Land zu entwickeln, damit junge Menschen hier Lebensperspektiven haben“, sagt Madame Diouf. Bildung ist für sie ein Schlüsselwort. Coflec schickt Kinder zurückgelassener Familien an Privatschulen, die diese kostenlos aufnehmen, und vergibt Mikrokredite an Frauen und Männer zum Aufbau kleiner Gewerbebetriebe.

„Eigentlich wäre es die Aufgabe des Staates, sich um die illegale Auswanderung und Zukunftsperspektiven zu kümmern“, sagt Diouf. „Doch er tut nichts.“ Solange es Abkommen wie die zwischen europäischen Fischfangflotten und dem Staat Senegal gebe, die es über Jahre ermöglichten, dass die Gewässer an der Küste leergefischt wurden und den einheimischen Fischern nichts mehr blieb, werde sich im Land nichts ändern.

„Eigentlich wäre es die Aufgabe des Staates, sich um die illegale Auswanderung und Zukunftsperspektiven zu kümmern.“ Madame Diouf kritisiert ihr Heimatland 
Senegal für seine fehlende Initiative.

Die resolute Frau wendet sich den jungen Frauen, Kindern und Großeltern zu, die zu ihrer Infoveranstaltung gekommen sind. „Frauen und Männer müssen zusammen kämpfen, und ihr Kinder seid die Zukunft des Landes! Vielleicht sitzt jetzt schon ein zukünftiger Minister oder Staatspräsident unter uns, der es einmal besser machen wird“, sagt sie, und die kleinen Jungs in der ersten Reihe nicken ihr ernsthaft zu.

Eva-Maria Werner