Weinbau: Was der Frost übrig ließ

 Junge Reben dagegen hatten es schwer. Nicht nur der Frost richtete in diesem Jahr große Schäden an, auch die Erdraupe schlug zu und fraß sich durch viele Knospen – wie hier bei den Jungwinzerinnen Materne und Schmitt aus Winningen (Mosel). Ihr Kollege Johannes Müller vom Mittelrhein entdeckt im Weinberg durchaus Frostschäden, jedoch weniger als gedacht. 
 Junge Reben dagegen hatten es schwer. Nicht nur der Frost richtete in diesem Jahr große Schäden an, auch die Erdraupe schlug zu und fraß sich durch viele Knospen – wie hier bei den Jungwinzerinnen Materne und Schmitt aus Winningen (Mosel). Ihr Kollege Johannes Müller vom Mittelrhein entdeckt im Weinberg durchaus Frostschäden, jedoch weniger als gedacht.  Foto: Hantzschmann

Als Johannes Müller am Morgen nach dem großen Frost mit seinem Vater in den Weinberg ging, fanden sie ihre Arbeit zu Eis erstarrt vor. Das zarte Grün war umschlossen von gefrorenem Wasserdunst. Einem großen Teil der Knospen schien der Tod sicher. Sobald die Mittagssonne das Eis zum Schmelzen bringen würde, würden die Triebe erschlaffen, Pflanzenzellen würden sterben, der Schaden würde immens. Vater und Sohn schätzten, dass etwa die Hälfte der Knospen in der Lage Feuerlay inmitten des Bopparder Hamm am Mittelrhein sterben müssen. Insgesamt, glaubten sie, dass 20 bis 30 Prozent der Triebe zerstört wurden. Damit lagen sie falsch.

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Ende April erlebte Rheinland-Pfalz einen Kälteeinbruch, von dem erfahrene Winzer später sagen werden, dass sie so späte und intensive Fröste noch nie zuvor erlebt haben. Betroffen waren vor allem die Weinanbaugebiete am Mittelrhein, an der Mosel und an der Ahr. In einigen Lagen wurden die Schäden auf bis zu 70 Prozent geschätzt. Es sah schlecht aus. Inzwischen ist klar: Einzelne Betriebe hat es hart getroffen, aber viele Rebstöcke haben sich inzwischen erholt.

„Wir haben uns verschätzt“, sagt Johannes Müller heute. Vier Wochen nach dem Kälteeinbruch steht der 25-Jährige wieder im Feuerlay, um ihn herum sattes Grün, große und saftige Triebe. „Es gibt Schäden, aber die halten sich bei uns sehr in Grenzen“, bilanziert der Jungwinzer. Das Weingut Matthias Müller bewirtschaftet fast ausschließlich Steillagen – an den Hängen zieht die Kälte nach unten und fließt im Idealfall ganz aus den Rebzeilen ab. „Unsere Reben stehen auf Schiefer- und Quarzitböden, die sich tagsüber schnell aufwärmen und diese Wärme nachts abgeben“, erklärt Johannes Müller, der an der Weinbau-Hochschule in Geisenheim studiert hat. Im Bopparder Hamm – eine der sonnenverwöhntesten Lagen am Mittelrhein – haben tatsächlich viele der Haupttriebe überlebt.

Anders sieht das in vielen Lagen der Mosel aus. Als der Frost die Weinberge von Clemens Busch heimsuchte, war der Winzer gerade im Burgenland in Österreich, wo seine Kollegen mit glimmenden Strohballen gegen die Kälte ankämpften. Der warme Rauch, so das Kalkül, sollte die Kälte vertreiben. Busch selbst hatte tagelang mit sich gerungen, ob er Fackeln in die Weinberge stellt oder etwa Baldrian ausbringt, das die Pflanzen ebenfalls vor leichtem Frost schützen könnte (das ist umstritten und auch unter Winzern eher eine Glaubensfrage). „Man hat Ängste, erst recht, wenn man selbst nicht vor Ort sein kann“, sagt der Winzer aus Pünderich (Kreis Cochem-Zell). Sechs oder sieben Feuer brannten in Buschs Weinbergen an den kühlsten Stellen. Außerdem hat er auf zwei Hektar in bestimmten Lagen die Rebbögen von den Drähten losgebunden, in der Hoffnung, dass sie so dem Kälteschock entkommen. Mehrere Tage Arbeit, gebracht hat es nichts. Viele Knospen sind gestorben. „Aber der Schaden ist geringer, als wir erwartet hatten“, sagt der Biowinzer. Laut Gerd Knebel vom Weinbauverband Mosel waren vor allem die Nebenflüsse Saar und Ruwer sowie die Obermosel vom Frost betroffen – insgesamt geht es um mindestens 3000 Hektar, auf denen die Kälte Schäden angerichtet hat. „An der Terrassenmosel sieht es besser aus. Es kann sein, dass wir dort im Herbst gar keine Einbußen mehr haben, weil die Reben die Schäden kompensiert haben“, sagt Knebel.

Darauf hoffen auch Rebecca Materne und Janina Schmitt, zwei Jungwinzerinnen aus Winningen (Mosel). Nach den Frostnächten nahmen sie die Schäden im Weinberg in Augenschein. „Nachdem wir uns zwei Hektar angesehen hatten, brachen wir ab, weil es einfach zu frustrierend war. Es sah alles wirklich schlimm aus“, sagt Rebecca Materne. Mittlerweile hat sich das Bild relativiert. Die Ansätze für die Blüten (Gescheinansätze) sehen laut Materne „sehr schön aus“. Zudem waren die Pflanzen in der Entwicklung weiter als üblich. „Durch den Frost hat sich das ausgeglichen und die Natur liegt gewissermaßen wieder in der Zeit.“

Erfriert ein Haupttrieb, schaltet die Rebpflanze zunächst in den Krisenmodus. Ein, zwei Wochen lang herrscht dann Stillstand im Weinberg. Später treiben neue Knospen, die sogenannten Not- oder Nebenaugen. Ob diese späten Triebe allerdings noch Früchte tragen werden, ist lange unklar. Es ist ein Notbehelf der Pflanze, um ihr Überleben zu sichern. Meist tragen diese Triebe später deutlich weniger Früchte. Viel hängt auch davon ab, wie das restliche Jahr verläuft.

Deshalb ist es auch nach Einschätzung von Rolf Haxel vom Weinbauverband Mosel immer noch zu früh, um die tatsächliche Tragweite der Aprilfröste beurteilen zu können. Den bisherigen Erfahrungen nach stehen die Chancen beim Riesling immerhin sehr gut, dass auch die späteren Knospen Früchte tragen werden. „Dramatisch wird es beim Elbling sein“, sagt Haxel. Auch die Burgundersorten können mit Frost nicht so gut umgehen wie etwa der Riesling. Wie viel Schäden die Winzer zu beklagen haben, ist zumindest an der Mosel auch örtlich sehr unterschiedlich. Auf 544 Kilometern schlängelt sich der Fluss malerisch von Frankreich nach Koblenz und durchtrennt die beiden Mittelgebirge Eifel und Hunsrück. Auf diesem Weg gibt es mehrere Seitentäler, die in die Gebirge hineinreichen. „Dort ist der Frost mit der Luftströmung in die Täler hinein- geflossen“, sagt Haxel. So kann es sein, dass einige Moselwinzer kaum über Einbußen oder Schäden klagen, andere dagegen in einigen Lagen Verluste von bis zu 90 Prozent befürchten.

Ähnlich sieht es an der Nahe aus. „Die Schäden sind örtlich sehr unterschiedlich ausgefallen. Tendenziell hat es aber Fasswinzer, die auf gute Erträge angewiesen sind, womöglich härter getroffen“, erklärt Nahe-Weinbaupräsident Thomas Höfer. „Ein Nebenauge bildet vielleicht eine Traube aus – statt zwei bis drei beim Haupttrieb.“ Am schlimmsten sind die Folgen des Frosts offenbar an der oberen Nahe. Schäden gibt es laut Höfer aber auch in Langenlonsheim und im Guldental.

An der Ahr ist es dagegen schlimmer gekommen, als gedacht, sagt Hubert Pauly, Weinbaupräsident von Deutschlands wichtigstem Rotweingebiet. Statt der erst geschätzten 15 Prozent Schäden, geht man nun von 20 bis 25 Prozent aus. Laut Pauly wird man auch hier erst in ein paar Wochen genauere Zahlen haben – wenn ersichtlich wird, wie viele Trauben die Nebenaugen tragen werden. „Die Unterahr – ab Bad Neuenahr flussabwärts in Richtung Rhein – ist am stärksten betroffen“, sagt Pauly und erklärt, dass die Reben in diesem Gebiet in der Entwicklung meist eine Woche weiter sind und deshalb auch Ende April anfälliger für den Frost waren.

„Die Gefahr ist groß“, sagt Rebecca Materne, „immer gleich in Panik zu geraten. Wir haben vielleicht 10 Prozent Frostschäden. Aber das Jahr ist ja noch so lang.“ Sie meint das im Guten wie im Schlechten.

Stefan Hantzschmann