Juist

Wattführer: Das Öko-Siegel wurde touristisch ausgeschlachtet

1964 hatte das Wattenmeer seinen ersten großen Auftritt im Fernsehen. Alfred Behring von der Insel Juist trat in Robert Lembkes heiterer Berufe-Ratesendung „Wer bin ich?“ vor ein Millionenpublikum. Sein Beruf: Wattführer. „Damals hielten viele das Wattenmeer für eine stinkende und schlammige Landschaft“, erinnert sich sein Sohn Heino Behring. Nach dem Fernsehauftritt seines Vaters wurde das Wattenmeer zum Touristenmagnet. Bald gab es überall Wattführer.

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2009 rückte der Landstrich zwischen den Westfriesischen Inseln in Holland und der Nordspitze von Sylt erneut ins Rampenlicht: Die Ernennung zum Weltnaturerbe durch die Unesco bescherte dem Watt einen erneuten Besucheransturm. Wattführer Heino, der jetzt mit seinem Sohn Ino Touristen durchs Watt geleitet, kritisiert im Interview die wachsende Kommerzialisierung des Welterbe-Status.

Was macht das Wattenmeer so einzigartig?

Es ist das größte auf der Welt - mehr als 14 000 Quadratkilometer Lebensraum. Der ist wie ein kleiner flacher Teller, der voll und wieder leer läuft. Das ist ein biologisches Klärwerk. Die Nährstoffe, die über die Atmosphäre und die Flüsse ins Meer gelangen, werden gereinigt, gefiltert und dem Meer dann als sauberes Wasser zurückgegeben.

Wer sind die größten Gegner des Wattenmeers?

Es gibt einen Gegensatz zwischen Ökonomie und Ökologie, die nicht immer harmonisch miteinander leben. Die weiße Industrie, also der Tourismus, hat berechtigte Interessen. Man will die Massen hierherholen. Juist lebt fast ausschließlich vom Fremdenverkehr. Aber man darf nicht vergessen, dass das Weltnaturerbe Wattenmeer auch moralische Verpflichtungen nach sich zieht. Die Lebensräume müssen erhalten bleiben.

Wodurch wird das gefährdet?

Immer mehr Inseln wollen ihren Besuchern eine tideunabhängige Anreise ermöglichen, also eine Schifffahrt auch während der Ebbe. Inseln wie Juist sind nur während der Hochwasserphasen zu erreichen. Dadurch ändern sich die Fahrzeiten täglich. Borkum und Norderney kann man hingegen schon jetzt bei Niedrigwasser erreichen. Baltrum will den gleichen Weg gehen. Das Problem ist, dass dann die Häfen und die Fahrrinnen ausgebaggert werden müssen. Und Ausbaggern bedeutet Schlamm und Schlick, die danach im Wattenmeer verklappt werden. Außerdem ist der Hafen von Menschen geschaffen. Dagegen wehrt sich die Natur und treibt Sand und Schlick ins Hafenbecken hinein, das dann wieder ausgebaggert werden muss.

Warum zerstört Schlick das Leben im Watt?

Schlick ist zwar auch Biomasse, aber kein Lebensraum mehr für die Makrowelt, also größere Würmer, Krebse und Fische. Schlick wirkt wie eine Folie, die man über einen Rasen legt. Das Leben darunter wird erstickt. Dadurch werden Gärungsprozesse in Gang gesetzt, und der Schlamm fängt an zu stinken. Watt, das stinkt, ist nicht gut. Es ist ein Zeichen dafür, dass aus dem Sand- ein Schlickwatt entsteht - das ist keine natürliche Entwicklung.

Wie lassen sich Tourismus und der Schutz des Wattenmeeres in Einklang bringen?

Der Mensch muss lernen, dass er von der Natur lebt und nicht umgekehrt. Das Wattenmeer warnt uns Menschen ja bereits.

Was sind Warnsignale?

Juist hatte einmal eine Eisenbahn. Die Schienen lagen draußen in der Natur des Wattenmeeres. Der Anleger befand sich an einem natürlichen Fahrwasser. 1982 wurde dann der Hafen gebaut. Die Eisenbahn verschwand. Das Watt musste für die Fahrrinne durchgeschnitten werden. Dadurch haben sich bestimmte Bereiche des Watts in ein Schlickwatt verwandelt. Außerdem gab es eine Überfischung der Nordsee. Darunter haben auch die Muschelbänke gelitten. Früher hatten wir ein Meter hohe Bänke. Die gibt es heute nicht mehr.

Was ist Ihre Bilanz nach einem Jahr Welterbe-Status?

Der Status darf nicht nur ein bloßes Etikett sein. Wenn die Menschen das merken, werden sie schnell begreifen, dass man diesen Status nur touristisch ausschlachten will, aber Eingriffe weiter möglich bleiben. Wenn man Verklappungen und alle möglichen Baumaßnahmen im Wattenmeer zulässt, dann hat das mit dem Welterbe-Status nicht mehr viel zu tun.

Wird das Welterbe also nur touristisch ausgeschlachtet?

Den Eindruck bekommt man manchmal. Innerhalb des ersten Jahres konnte man schon beobachten, dass der Welterbe-Status ökonomisch ausgeschlachtet werden soll. Darunter leiden auch wir freien, nicht staatlichen Wattführer. Ich glaube nicht, dass meine Enkel noch Wattführer sein werden. Denn wir haben durch den Welterbe-Status enorme Konkurrenz bekommen. Sowohl Private als auch Umwelt- und Naturschutzverbände glauben jetzt, Aufklärung im Wattenmeer machen zu müssen. Das ist ja legitim. Aber Inseln wie Juist hätten auch gewaltig von der Tradition der Wattführer profitieren können.

Was fordern Sie, damit das Wattenmeer den Welterbe-Status nicht wieder verliert?

Wer zum Beispiel einen Hafen ausbauen möchte, sollte dazu gezwungen werden, sich darüber Gedanken zu müssen, wo man mit den dann anfallenden Schlickmassen hinwill. Der Schlick darf nicht mehr im Watt verklappt, sondern muss an Land deponiert werden, etwa als Vorlandaufspülung oder Landerhöhung. Das kommt letztendlich auch wieder der Natur zugute, weil diese Flächen wieder fruchtbar werden.

Das Gespräch führte Christian Kunst