Rheinland-Pfalz

Wahlzeit Hintergrund: Waschen, Schneiden, Mindestlohn

Hält den Friseurberuf nicht nur für ein Handwerk, sondern eine Kunst, die besser bezahlt werden sollte: Azubi Maria Lang, die beim Andernacher Friseur Jürgen Roch arbeitet.
Hält den Friseurberuf nicht nur für ein Handwerk, sondern eine Kunst, die besser bezahlt werden sollte: Azubi Maria Lang, die beim Andernacher Friseur Jürgen Roch arbeitet. Foto: Sascha Ditscher

Wenn Friseurmeister Jürgen Roch über Geld und Mindestlohn reden will, dann flüchtet er in seine Männerwelt. Die befindet sich in einem etwa 20 Quadratmeter großen Büro, das ganz am Ende seines Friseursalons in der Andernacher Innenstadt liegt.

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Von unserem Redakteur Christian Kunst

Der Weg in die Welt der Papiere und Rechnungen führt durch ein Labyrinth von Zimmern. In dem einen dröhnen die Föhns, über die sich das Stimmengewirr von Friseurinnen und ihren Kundinnen legt. In einem anderen Raum drapieren Lehrlinge einer Puppe eine Hochsteckfrisur. Der Tisch ist übersät mit Spulen und Klammern.

„Hier können wir nicht sprechen“, sagt Roch, „das ist mir zu viel Chaos.“ Erst als er die Tür zu seinem Büro schließt, scheint der Andernacher durchzuatmen. Doch auch hier ist er nicht allein. An der Wand hängt ein Bild seiner Friseurinnen. Sie lächeln ihn an. Nur Frauen? „Wenn ein Mann als Friseur arbeitet, kommt er mit dem Geld nicht aus“, erklärt Roch und ergänzt: „Der Mann ist ja in der Regel der Ernährer der Familie.“

Im Friseurhandwerk, so scheint es, haben sich viele traditionelle Rollenmuster erhalten. Durchschnittlich 1000 Euro brutto verdient eine Gesellin, schätzt die Friseurinnung Mittelrhein, die für die Kreise Mayen-Koblenz, Cochem- Zell und den Rhein-Lahn-Kreis zuständig ist. Da braucht Frau einen Zweitverdiener an ihrer Seite.

Doch Friseurmeister wie Jürgen Roch haben begriffen, dass schlecht bezahlte Mitarbeiter dem Ansehen seines Handwerks schaden. Deshalb steht er hinter dem Mindestentgelt, das Vertreter des Friseurhandwerks im Juni mit der Gewerkschaft Verdi in seltener Einigkeit vereinbart haben. Demnach müssen Friseure im Westen seit August mindestens 7,50 Euro (monatlich etwa 1270 Euro), im Osten 6,50 Euro (monatlich etwa 1100 Euro) verdienen.

Ab August 2014 sind es 8 Euro (monatlich etwa 1350 Euro) und ab August 2015 dann 8,50 Euro (monatlich etwa 1400 Euro). Derzeit beträgt der Tariflohn in Rheinland- Pfalz 8,37 Euro. 8,50 Euro ist der Betrag, den SPD und Grüne als gesetzlichen Mindestlohn fordern.

Noch nicht allgemein verbindlich

Doch einen wirklichen Mindestlohn gibt es bei Friseuren noch nicht. Der gilt erst, wenn das Bundesarbeitsministerium das Mindestentgelt für allgemein verbindlich erklärt hat, wie dies gerade bei den Steinmetzen geschehen ist. Bis das Arbeitsministerium dies auch für Friseure beschließen wird, gilt das Mindestentgelt nur für Mitarbeiter, die in der Gewerkschaft sind – das sind nur sehr wenige –, und für die Betriebe, die tarifgebunden sind – das ist nur jeder zweite bei den Friseuren.

Jürgen Roch bereitet das Mindestentgelt keine größeren Probleme. Denn bis auf zwei Mitarbeiterinnen bekommen schon jetzt alle 18 anderen Friseurinnen den erst für 2015 geplanten Mindestlohn von 1400 Euro. Allerdings sagt der Andernacher auch: „Lohn kommt von belohnen. Das heißt, dass die Mitarbeiter ihren Lohn auch mit Leistung rechtfertigen müssen.“

Rochs Kalkulation geht so: Er multipliziert den Bruttolohn mit dem Faktor 3,8 und erhält die Summe, die eine Friseurin umsetzen muss, um ihren Lohn zu rechtfertigen. Bei 1400 Euro pro Monat sind dies 5320 Euro beziehungsweise bei 8,50 Euro pro Stunde 32,30 Euro. Davon muss Roch auch noch Energie, Material, Waren, Steuern und andere Ausgaben bezahlen. Für ihn selbst bleiben so weniger als 10 Prozent Gewinn, sagt er.

So geht es laut Innung 85 Prozent der rheinland-pfälzischen Friseurbetriebe, weil ihr Umsatz unter 250 000 Euro liegt. Wer bei Roch viel leistet, der bekommt eine umsatzorientierte Prämie, die das Gehalt um bis zu 500 Euro erhöhen kann – brutto versteht sich. Hinzu kommen bis zu 200 Euro Trinkgeld. Doch es gibt auch Kunden, erzählt er, die zu seinen Friseurinnen sagen: „Für das Geld, was ihr verdient, würde ich morgens nicht aufstehen.“

Roch macht das wütend: Wer so etwas beklagt, der müsse auch höhere Preise in Kauf nehmen. Roch blickt auf seine Auszubildende Maria Lang, die in der Zwischenzeit ins Büro gekommen ist. Die 22-Jährige schwärmt von ihrem Beruf: „Ich will Friseurin werden, weil es mir Spaß macht. Aber man braucht so viel Konzentration. Es ist eine Kunst, etwa eine Hochzeitsfrisur für eine Braut zu stecken.“ Doch bei Hochzeiten, sagt sie, „sind wir bei der Finanzplanung meist das schwächste Glied in der Kette.

60 bis 70 Euro für eine Hochsteckfrisur empfinden viele als zu teuer. Dabei machen die Menschen dann Bilder, die das ganze Leben über an der Wand hängen.“ Maria ist im dritten Lehrjahr, verdient 550 Euro brutto. Derzeit kommt sie nur über die Runden, weil der Staat ihr zusätzlich Geld gibt. Und später setzt sie auch auf das Gehalt ihres Freundes – ein Ingenieur.

Marias Lehrvater Roch meint, dass seine Gesellinnen eigentlich bis zu 20 Prozent mehr verdienen müssten, um den Aufwand, um ihre Kunst angemessen zu entlohnen. „Die Ansprüche der Kunden sind ja auch enorm gestiegen“, sagt der Andernacher, der den fast 100 Jahre alten Betrieb in der dritten Generation seit 30 Jahren führt, „alles muss perfekt sein. Allerdings haben die Unternehmen es versäumt, das Preisniveau wie andere Handwerker anzupassen.“

Darunter leiden jetzt die Friseure. Rochs Kollege Franz-Josef Küveler im knapp 13 Kilometer entfernten Mendig ist jedoch überzeugt, dass viele seiner Kunden höhere Preise akzeptieren würden, wenn sie wüssten, dass die Friseure so mehr verdienen könnten. Als Anfang August das neue Mindestentgelt auch für Küvelers Betrieb galt, erhöhte er fast alle Preise um 1 Euro.

Der Obermeister der Innung Mittelrhein tat dies bewusst. Seine Auszubildende Lea Johann aus Brachtendorf (Kreis Cochem- Zell) sagt: „Viele Kunden haben sich schon über die höheren Preise beklagt. Doch als sie erfuhren, dass wir auch mehr bekommen, war das für sie okay. Ich glaube sogar, dass sie bereit wären, mehr zu bezahlen, wenn wir davon profitieren.“ Die 18-Jährige, die bei ihren Eltern lebt, hat die Hoffnung nicht aufgegeben, dass sie als Friseurin ihr eigenes Leben finanzieren kann:

„Ich will nicht auf jemand angewiesen sein. Man hat als Friseurin ja auch Weiterbildungsmöglichkeiten.“ Aber sie weiß auch, dass sie in ihrem Beruf auf vieles verzichten muss. Ihre Kollegin Lilli Klein, 21 Jahre alt, seit einem Jahr Gesellin, sagt: „Allein ist es schwer, über die Runden zu kommen. Bei mir bleiben knapp 1000 Euro übrig.“ Da ist sie froh, dass ihr Freund einen Job im Paketdienst hat.

Kein Mittel gegen Kleinstbetriebe

Ihr Chef, der in seinem Betrieb acht Friseurinnen beschäftigt und im Vorstand des Zentralverbands des deutschen Friseurhandwerks sitzt, weiß um diese Probleme. Einen Mindestlohn von 10 Euro hält er für „stufenweise darstellbar“. Eine entsprechende Preiserhöhung würden die Kunden mittragen. Doch zunächst geht es für ihn erst mal darum, dass das beschlossene Mindestentgelt für alle Betriebe gilt.

Sorgen bereiten ihm weniger die vielen Billigketten. Ihm geht es um die bundesweit 25 000 der insgesamt 80 000 Friseurbetriebe, die im Jahr weniger als 17 500 Euro umsetzen – nur 70 Euro pro Tag. Oft sind es Einzelfriseure oder Kleinstbetriebe. Doch hier hätte der Mindestlohn nur eine begrenzte Wirkung.

Denn er gilt nur für Angestellte, die viele dieser Betriebe gar nicht haben. Wer das Labyrinth in Jürgen Rochs Friseurladen wieder verlässt, der kommt an drei eingerahmten Preislisten vorbei. „Waschen, schneiden, föhnen – 21,00 Euro“, steht dort bei den Herren. Für Jürgen Roch ist es ein Mindestpreis in Zeiten des Mindestlohns.