Wahlkampf in den USA: US-Muslime fürchten Donald Trump

In Hamtramck bei Detroit kommen Papst und Muezzin ganz gut miteinander aus. Früher lebten in der Kleinstadt vor allem Polen, die ein höchst unverkrampftes Verhältnis zu Alkohol und Nachtklubs hatten. Das hat sich auch dadurch nicht geändert, dass die Bevölkerungsmehrheit mittlerweile muslimisch ist. Fünfmal am Tag werden die Gläubigen seither zum Gebet gerufen. Im Stadtrat hat man dafür einen Kompromiss gefunden. Die Bars dürfen offen bleiben. Und auch an der Papststatue im Zentrum von Hamtramck nimmt kein Muslim großen Anstoß. Mit einem Wahlsieg von Trump könnte sich das ändern, fürchten viele. 
In Hamtramck bei Detroit kommen Papst und Muezzin ganz gut miteinander aus. Früher lebten in der Kleinstadt vor allem Polen, die ein höchst unverkrampftes Verhältnis zu Alkohol und Nachtklubs hatten. Das hat sich auch dadurch nicht geändert, dass die Bevölkerungsmehrheit mittlerweile muslimisch ist. Fünfmal am Tag werden die Gläubigen seither zum Gebet gerufen. Im Stadtrat hat man dafür einen Kompromiss gefunden. Die Bars dürfen offen bleiben. Und auch an der Papststatue im Zentrum von Hamtramck nimmt kein Muslim großen Anstoß. Mit einem Wahlsieg von Trump könnte sich das ändern, fürchten viele.  Foto: Thomas Spang

Unser Korrespondent Thomas Spang ist zu den Brennpunkten des US-Wahlkampfs unterwegs. Für diesen Teil besuchte er eine mehrheitlich muslimische Kleinstadt.

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Kurz vor halb sieben ruft der Muezzin der Masjid Mu‘ath Bin Jabal Moschee zum Abendgebet. Die Lautsprecher übertönen sogar das Geschrei der Jungen, die auf dem Platz vor dem Gotteshaus herumtoben. „Allahu akbar“ (Gott ist groß) schallt es weit über die Dächer der Nachbarschaft, während von überall her Gläubige herbeieilen. Am letzten Tag des Eid-Festes tragen mehr Männer als sonst die traditionellen Dishdashas. So heißen die weißen Gewänder, in die sich Gläubige auf der arabischen Halbinsel hüllen. Frauen sind weit und breit nicht zu sehen. Weder draußen vor der Moschee noch hinten in dem streng nach Mekka ausgerichteten Gebetsraum.

Willkommen im Herzen des jemenitischen Viertels von Hamtramck, der ersten mehrheitlich von Muslimen bewohnten Stadt in den USA. Großzügig hat der Imam, der selbst nur ein paar Worte Englisch spricht, die Ungläubigen eingeladen, das Gebet in dem 1976 zur Moschee umgebauten ehemaligen katholischen Gotteshaus zu verfolgen. Für ein Gespräch über das Leben in seiner neuen Heimat steht er nicht zur Verfügung. „Er fühlt sich dabei nicht so wohl“, entschuldigt Kamal Rahman den Prediger, der erst vor gar nicht so langer Zeit aus dem Jemen in die USA eingewandert ist.

Der gut situierte Wasserwerker wohnt mit seiner Familie gleich um die Ecke der Moschee an der Miller Street. Obwohl er selbst aus einer bengalischen Familie stammt, deren Wurzeln in Michigan bis in die 50er-Jahre zurückreichen. Als Erster kam ein Onkel, der als Ingenieur bei General Motors den amerikanischen Traum verwirklichte. Kamal zog als Teenager aus Bangladesch in die Stadt vor den Toren Detroits, die einmal für ihre Klubs und Bars berüchtigt war. Nirgendwo im Bundesstaat Michigan gab es mehr Alkohollizenzen als in dem damals noch zu 90 Prozent von Polen bewohnten Hamtramck.

Vorfahren folgten dem Treck der polnischen Arbeiter

„Das gehört zu unserer Kultur“, sagt Thadeusz Radzilowski mit einem verschmitzten Lachen im Gesicht. Der freundliche Herr mit schlohweißem Haar muss es wissen. Er leitet das Piast-Institut, das den Wandel der Stadt erforscht und begleitet hat. Seine Vorfahren folgten dem Trek polnischer Arbeiter, die während des Autobooms Jobs in den Dodgewerken und ein Stück Heimat fanden.

Auf dem Flur seines Instituts in Hamtramck zeigt er stolz die alten Schwarz-Weiß-Fotografien an der Wand, die vom Flair einer vergangenen Epoche zeugen. Darauf zu sehen sind berühmte Gewerkschaftsführer, Politiker und Stars, die sich an Plätzen wie „The Bowerie“ vergnügten. Die Stadt war so für Alkohol, Glücksspiel und Prostitution bekannt wie die Kielbasa der Wurstmacherei Kowalski.

Kamal und die Muslime, die in den vergangenen beiden Jahrzehnten das Gesicht der zwei Quadratmeilen großen Stadt verändert haben, werden heute von etwas anderem angezogen: Dem gelb getünchten „Islamic Market“ gegenüber seinem Haus, in dem er reines Halal-Fleisch kaufen kann. Und die Akzeptanz, die seine Frau und die beiden Mädchen hier finden. Tochter Zainab fühlt sich in Hamtramck sicher, wenn sie mit Hidschab zur Schule geht. „Ich werde anders behandelt“, sagt die Teenagerin, die hier nicht zu einer Minderheit gehört. Rund ein Viertel der Einwohner sind Araber, etwa jeder Fünfte hat Wurzeln in Bangladesch, und 7 Prozent kommen aus Bosnien. Zusammen stellen die Muslime die Mehrheit der rund 22 000 Bürger.

„Das ist nicht überall in Amerika so“, weiß Zainab, die laut der neuen Zahlen des „Pew Research Centers“ in den USA zu einer 3,3 Millionen zählenden Minderheit gehört, die gerade einmal 1 Prozent an der Gesamtbevölkerung ausmacht. Freimütig erzählt die Schülerin, was ihr kürzlich bei einem Ausflug passierte. „Die dachten, ich sei eine Terroristin“, berichtet sie von zwei Frauen, die sie beim Betreten einer Autobahntoilette panisch anstarrten.

In Hamtramck dreht sich niemand um, wenn er eine verschleierte Frau auf der Straße sieht. Der Pfarrer von St. Florian, der ältesten katholischen Kirche, Father Miroslaw Frankowski, findet das fast schon zu normal. Er ärgert sich darüber, „die Gesichter vieler Frauen und Mädchen nicht sehen zu können“, und hat Verständnis für die Sorgen alteingesessener Gemeindemitglieder. „Es ist nicht mehr die sicherste Stadt.“

Seit dem Anschlag auf einen Priester in Frankreich, hält der Ordensmann so etwas auch in seiner Kirche für möglich. „Ich bin bereit, mein Leben für Christus zu geben“, gibt er sich unerschrocken. Wobei er die Gefahr gar nicht genau benennen kann. Dennoch fühlt sich Father Frankowski von der neuen Mehrheit herausgefordert.

Zum Beispiel den arabischen Jugendlichen, die mit laut aufgedrehter Musik an seiner Prozession vorbeifuhren. Oder die Muezzine der Moscheen, die über ihre krächzenden Lautsprecher fünfmal am Tag zum Gebet rufen. „Die halten sich an keine Ruhezeit“, beschwert sich der Priester, der einen Vergleich mit dem Dröhnen seiner Kirchenglocken empört zurückweist.

Frankowski kann sich auch vorstellen, dass der Tag kommt, an dem die Muslime die Statue im Herzen der Stadt entfernen wollen, die an den Besuch des polnisch-stämmigen Papstes Johannes Paul II. am 19. September 1987 in Hamtramck erinnert. Der Pfarrer sagt, dass er einige in der Gemeinde kennt, die auf eine Wahl Donald Trumps hofften. „Damit die Dinge wieder so werden, wie sie mal waren.“ Bürgermeisterin Karin Majewski versteht sich auf „gute, alte Zeiten“. In ihrem Laden „Tekla Vintage“ an der mit internationalen Flaggen geschmückten Joseph Campau Avenue verkauft sie Alltagsgegenstände, Andenken und Kleidung aus den 80er-Jahren. Sie hat festgestellt, dass einige ältere Bürger verunsichert sind. „Der Umbruch war traumatisch für sie“, weiß die promovierte Ethnologin, deren Expertise die Einwanderungsgeschichte der USA ist.

Die Polen sind damals aus dem gleichen Grund nach Hamtramck gekommen wie heute die Muslime. Und sie hatten mit ähnlichen Vorurteilen zu kämpfen. Sie jedenfalls fühle sich nicht bedroht, sagt die selbstbewusste Stadtobere, die seit November 2015 mit einem mehrheitlich muslimischen Stadtrat zusammenarbeitet – dem ersten in den USA.

Majewski, die seit elf Jahren im Amt ist, sieht ihre Macht deswegen nicht gefährdet. „Wir bekämpfen hier nicht den IS, sondern die Überflutung in unseren Kellern“, sagt die Bürgermeisterin, die das Gerede über Hamtramck als „Sharia-Town“ für völligen Unsinn hält. „Unsere Hauptsorge ist die marode Infrastruktur und wie wir eine lebenswerte Stadt schaffen können.“

Die muslimischen Zuwanderer sind eine Bereicherung der bettelarmen Stadt, in der die Hälfte der Einwohner unter der Armutsgrenze lebt. Darunter sind auch viele nicht dokumentierte Immigranten aus Osteuropa. Durch den Familienzuzug stabilisierten sich Nachbarschaften, die auseinanderzufallen drohten. „Die Neuankömmlinge haben Chancen entdeckt, wo andere bloß Verfall sehen.“

Die engen Netzwerke der Einwanderer schaffen Sicherheit.

Die ethnischen Lebensmittelläden sowie die Vielfalt an familiengeführten Restaurants und Dienstleistern seien ebenso ein Plus wie der Sprachreichtum von Hamtramck, dessen Einwohner auf zusammen 26 Sprachen kommen. Ihre Stadt sei mehr so etwas wie die „kleinen Vereinten Nationen“ als eine Islamistenhochburg. Nicht einmal anekdotisch ist etwas über terroristische Aktivitäten oder dergleichen bekannt. „Die engen Netzwerke der Einwanderer schaffen Sicherheit.“

Die nationale Aufmerksamkeit für den Ratsbeschluss von 2004, der ihre Stadt zur ersten und einzigen in der USA machte, die offiziell den „Ruf zum Gebet“ erlaubt, habe die verschiedenen Gruppen in Hamtramck nicht gegeneinander aufgebracht, sondern geeint. „Wir bekamen die Chance, in einen Dialog über unsere verschiedenen Kulturen einzutreten.“

Migrationsforscher Radzilowski spielte dabei eine Schlüsselrolle. Am Fuß der Papststatue organisierte er ein Treffen mit protestantischen Pfarrern, katholischen Priestern, Rabbis und Imamen. Die Runde einigte sich, dass der Ruf des Muezzins die Marke von 100 Dezibel nicht überschreiten darf. „Mein Freund Abdel von der Al Islam Moschee spendete als Dankeschön die ersten 500 Dollar für die Renovierung der Papststatue“, erinnert sich der Polen-Experte an den Geist der Verständigung. „Dann haben wir alle miteinander gegessen. Und das war es.“

Pragmatische Lösungen im Stadtrat: Muezzin gegen Alkohol

Radzilowski griff zum gleichen Rezept, als es im vergangenen November erstmals eine muslimische Mehrheit im Stadtrat gab. Er trommelte Vertreter der Bengalen, Bosnier, Jemeniten, Polen und Ukrainer zusammen. „Okay, wie wollen wir künftig zusammenleben?“, fragte er in die Runde. Und wieder gab es eine verblüffend pragmatische Antwort. „Ihr lasst unsere Muezzine in Ruhe, und wir lassen euch den Alkohol.“

Kamal gehörte zu den Vermittlern, die für einen Ausgleich zwischen den verschiedenen Gruppen in Hamtramck gesorgt haben. Den Mann mit der sanften Stimme treibt mehr um, was von außen an Problemen hereingetragen wird. Allen voran die Hetze Donald Trumps im Wahlkampf, der einen Muslimen-Bann und die Registrierung der US-Muslime fordert.

Andernorts hat die hitzige Rhetorik Trumps bereits handfeste Gewalt provoziert. Laut einer Studie der Georgetown University ist es in dem Jahr seit der Ankündigung der Kandidatur des xenophoben Rechtspopulisten zu 180 Fällen an antimuslimischer Gewalt in den Vereinigten Staaten gekommen. Darunter sind auch zwölf Morde.

„Ein Präsident Donald Trump wäre der Albtraum“, sagt Kamal, der in dem Demagogen den besten Wahlhelfer für Hillary Clinton sieht. In Gebieten mit relativ starken muslimischen Gemeinden, treibe der Republikaner Trump die Minderheit geradewegs in die Arme der Demokratin. Auf die erste Stadt der USA, in der Muslime die Mehrheit stellen, trifft dies gewiss zu.

Wenn am Morgen des 8. November der Ruf des Muezzin aus den Lautsprechern der Masjid Mu‘ath Bin Jabal Moschee und anderer Gotteshäuser erschallt, erinnert das nicht nur Kamal, sondern ganz Hamtramck daran, worum es an diesem Wahltag geht: Die Verteidigung der Werte einer Stadt und einer Nation, die in ihrem Treueeid („Pledge of Allegiance“) Freiheit und Gerechtigkeit für alle verspricht.