Wäre Gorleben eine Million Jahre sicher?

Wäre Gorleben eine Million Jahre sicher?
Alle Jahre wieder: Das niedersächsische Wendland zieht Tausende von Atomgegnern an, die gegen die Castor-Transporte ins Zwischenlager und gegen ein Endlager in Gorleben protestieren. Foto: dpa

Gorleben/Rheinland-Pfalz – Der kleine Konvoi stockt im Dämmerlicht des Gorlebener Salzstocks tief unter der Erde. Eveline Lemke springt von dem offenen Wagen. Feuchtigkeit hat die Wand des weiß-beigen Schachts gelb-bräunlich gefärbt. Flüssige Kohlenwasserstoffe sickern in den Stollen. Es riecht nach Diesel. Die rheinland-pfälzische Energieministerin inspiziert die fleckige Stelle ganz genau.

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Das Licht ihrer Helmlampe tanzt über die glitzernde Oberfläche. Ein Geologe erläutert den Befund. Wolfram König, Chef des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS), hört ebenso wie Lemke aufmerksam zu. König verzieht keine Miene. Doch er weiß: Auffälligkeiten wie diese bergen eine politische Dimension. Denn Flüssigkeit (Kohlenwasserstoffe, Salzlaugen) und Gase können das Aus für ein potenzielles Atomendlager bedeuten.

Um das strahlende Erbe des Atomzeitalters aufzunehmen, muss ein Salzblock so sicher sein, dass mindestens eine Million Jahre keine Radioaktivität in die Biosphäre geraten kann. Die Strahlung darf keine Chance haben, mit dem Leben in Kontakt zu kommen. Konkret heißt das: Oberfläche und Grundwasser müssen vor dem tödlichen Gift sicher sein. Alles andere könnte eine unkalkulierbare Katastrophe auslösen. Nur wenn die den Atommüll umschließenden Gesteinsschichten absolut dicht sind, kann ein Endlager in Betrieb gehen. Das muss auch dann noch gelten, wenn die Fässer verrostet und alle Behälter verrottet sind. Ob das in Gorleben tatsächlich gegeben ist, daran mehren sich inzwischen die Zweifel.

Der Salzstock im niedersächsischen Wendland ist längst zum Symbol geworden. Wer zum Erkundungsbergwerk Gorleben, wie es korrekt heißt, gelangen will, befindet sich auf den letzten Kilometern auf einem Pilgerweg der Anti-Atomkraft-Aktivisten. Die Hinweisschilder zum Zwischenlager und Bergwerk sind geschwärzt, als wolle man beides von der Landkarte tilgen. Gelbe Warnkreuze als Zeichen des Widerstands säumen die Strecke. An einer Hauswand sitzt eine Puppe. Sie warnt vor „Castor-Alarm“. Wenn die Castor-Behälter ihre hoch radioaktive Fracht ins Zwischenlager Gorleben bringen, versuchen Tausende von Demonstranten, den Transport über Straßen und Schienen aufzuhalten.

Doch davon ist an jenem Dezembertag, als Energieministerin Lemke mit ihrem kleinen Tross in Gorleben eintrifft, nichts zu spüren. Ein kalter Nieselregen schlägt den Besuchern entgegen. Der Lager- und Bergwerkskomplex ist ein ungastlicher Ort. Nato-Stacheldraht auf den Zäunen. Schmucklose Gebäude. Ganz anders als die vielen kleinen Dorfkirchen und die verklinkerten, rot bedachten Bauernhäuser im Wendland, vor denen Pferde auf saftigen Weiden grasen. Eigentlich ein idyllischer Flecken.

Eveline Lemke ist hoch in den Norden gekommen, um sich selbst ein Bild von dem potenziellen Endlager im Salzstock zu machen. Denn noch immer ist Gorleben im Gespräch, um nach der Abfallprognose bis 2040 irgendwann 29 000 Kubikmeter hoch radioaktiven Abfalls aufzunehmen. Die schwarz-gelbe Bundesregierung hat das Erkundungsmoratorium aufgehoben. Seitdem wird der Salzstock wieder auf seine Eignung als Endlager getestet. Nach der Atomkatastrophe im japanischen Fukushima sucht man allerdings inzwischen ergebnisoffen nach Alternativ-Standorten. Eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe entwickelt das Verfahren. Für die Bundesländer, die von SPD und Grünen regiert werden, koordiniert Lemke das Vorgehen.

Nachdem die Rheinland-Pfälzerin sich mit der Bürgerinitiative getroffen hat, die gegen ein Endlager Gorleben kämpft, geht sie den Dingen im Wortsinn auf den Grund. Jeder, der sie begleitet, trägt Schutzkleidung und einen Sauerstoffretter. Im Notfall spendet er 50 Minuten Leben. Danach muss die Luft wieder atembar sein.

Hinunter in den Berg geht es mit zehn Metern pro Sekunde. In der Seilfahrtsanlage, einem Stahlkäfig, braust Fahrtwind auf. Der Druck auf den Ohren wächst, so schnell geht es in dem Schacht abwärts. Nach 840 Metern bremst der Fahrstuhl ab. Die Gruppe ist am Ziel.

Mit offenen, dieselbetriebenen Fahrzeugen geht es durch eine bizarre Welt im Kunst- und Dämmerlicht. Lange Querschläge (Stollen) wurden in den Salzstock getrieben. Wo frisch gebohrt wird, türmen sich knirschende Salzberge. An den geriffelten Wänden laufen die dicken Stränge der Versorgungsleitungen entlang. Endet ein Tunnel in einer Sackgasse, wird er mit riesigen Rohren belüftet. So hält man die Hitze in Schach. Dennoch ist es warm unter Tage.

In einem Seitentunnel haben Bergleute und Forscher einen „Bohrort“ angelegt. Ein Arbeiter fräst gerade alle Unebenheiten von der Tunneldecke. Salzstaub liegt in der Luft. Ohne Helmlicht könnte man nicht mal die Hand vor Augen sehen.

In dem Stollen wird ein Anhydrid-Band angebohrt. Die Wissenschaftler wollen herausfinden, ob die wasserführende Schicht bis zur Oberfläche reicht. Oder ob Gas durch das poröse Gestein aufsteigen kann. Das wäre das Ende für Gorleben. Als der Bergmann seine Maschine abstellt, klärt sich die Sicht in dem Stollen. Ob Gorleben indes zum Endlager taugt, bei dieser Frage tappen auch die Experten noch im Nebel.

Aus Gorleben berichtet unser 
Redakteur Dietmar Brück