Vor der Bundestagswahl: Wo steht die Linke?

Wagenknecht
Die Linken-Spitzenkandidatin Sahra Wagenknecht würde eine Kurskorrektur in der Russlandpolitik begrüßen. Foto: Monika Skolimowska

Die Linke ist auf dem besten Weg, bei der Bundestagswahl am 24. September auf Platz drei oder vier zu landen. In den Umfragen liegt sie stabil bei 9 bis 10 Prozent. Eine realistische Option, von der Oppositions- auf die Regierungsbank zu wechseln, hat sie trotzdem nicht. Manche in der Partei sind darüber aber nicht unglücklich.

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In ernsthaften Koalitionsgesprächen mit SPD und Grünen – der überhaupt einzig denkbaren Option für eine Regierungsbeteiligung der Linken – könnten alte Grabenkämpfe rasch wieder aufbrechen. In der Außen-, der Sicherheits- und der Steuerpolitik hat die Partei in ihrem Wahlprogramm zahlreiche rote Linien eingezogen, die eine Koalition mit der SPD schwer möglich machen. Würde sie von diesen Standpunkten abrücken, könnte das die Partei erneut vor eine Zerreißprobe stellen.

Der letzte große Kampf, in dem sich die Linke um ein Haar zerlegt hätte, ist noch nicht lang her. Beim Parteitag in Göttingen 2012 warf Fraktionschef Gregor Gysi seiner Partei Hass, Zerstörung und Arroganz vor. Vorausgegangen war eine wachsende Unzufriedenheit mit den Vorsitzenden Klaus Ernst, als bayerischer Genussmensch und Porsche-Fahrer verschrien, und der Ostberlinerin Gesine Lötzsch, die in einem Artikel darüber sinnierte, wie man Deutschland in den Kommunismus führen könnte. Die Linke beschäftigt sich über Monate nur noch mit sich selbst. Es kommt schließlich zum offenen Machtkampf zwischen dem heutigen Fraktionschef Dietmar Bartsch aus Stralsund und dem einflussreichen Saarländer Oskar Lafontaine um den Parteivorsitz. Kurzzeitig steht beim denkwürdigen Parteitag in Göttingen sogar die Möglichkeit im Raum, dass der Reformerflügel sich abspaltet.

Von den tiefen Zerwürfnissen ist beim Fest im Juni dieses Jahres zum zehnjährigen Bestehen der Linkspartei nichts mehr zu spüren. Den beiden Parteichefs Katja Kipping und Bernd Riexinger, die in Göttingen als rettender Kompromiss zu neuen Vorsitzenden gewählt wurden, ist es in den vergangenen vier Jahren erstaunlich gut gelungen, den bunten Laden Linkspartei zusammenzuhalten. Beiden wird ein verbindlicher Führungsstil nachgesagt, beide sind weniger aufbrausende Temperamente als Oskar Lafontaine oder Gregor Gysi, die die Partei lang dominierten. Mit dem Rückzug des brillanten Rhetorikers Gysi aus der Fraktionsspitze im Jahr 2015 hat die Partei zwar auch Aufmerksamkeit eingebüßt, nach innen hat aber auch Gysi in der Partei polarisiert. Die neuen Fraktionsspitzen im Bundestag und Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch stehen allerdings weiter für die alten Gegensätze, die die Partei kaum auflösen kann. Die 48-jährige Wagenknecht stammt aus Jena, lebt heute aber mit ihrem Ehemann Oskar Lafontaine im Saarland. Wagenknecht kann reden und ist als Vertreterin des radikal-linken Flügels eines der bekanntesten Gesichter der Linkspartei überhaupt. Ihr Fachgebiet ist Wirtschafts- und Finanzpolitik. Die radikale Umverteilung und Besteuerung von Vermögenden ist ihr Kernanliegen. Beim diesjährigen Parteitag in Hannover, bei dem die Linke auch ihr Programm für die Bundestagswahl verabschiedete, bezeichnete Wagenknecht den SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz als „Zottelbart“ – nicht gerade eine einladende Geste für mögliche Koalitionsgespräche mit den Sozialdemokraten. Wagenknecht und der Dietmar Bartsch stehen für die weiter schwierig miteinander zu versöhnenden Bewegungen innerhalb der Linkspartei. Bartsch ist Vertreter der ostdeutschen Pragmatiker, die nach mehreren Beteiligungen der Linkspartei an Landesregierungen in den neuen Bundesländern auch im Bund mitregieren wollen.

Das von prominenten Vertretern wie Gysi weiterhin propagierte Vorhaben, Rot-Rot-Grün nicht aufzugeben, wird von den neuen Führungskräften allerdings nur halbherzig, wenn überhaupt, vorangetrieben. Das in Hannover beschlossene Programm zeigt wenig Bereitschaft zum Kompromiss. Die Linken wollen eine Vermögensteuer einführen, die die SPD auf ihrem Parteitag abgelehnt hat. Die Linken wollen Bundeswehrsoldaten aus allen Kampfeinsätzen abziehen. Die Nato wollen sie abschaffen, ebenso alle Geheimdienste. Ein Antrag, die völkerrechtswidrige Annexion der Krim zu verurteilen, fand beim Parteitag keine Mehrheit.

All dies klingt eher danach, als würde die Linke sich auch in der nächsten Legislaturperiode lieber in der Rolle der Opposition sehen. Zumindest dürfte sie sich mit diesem Programm aber ihrer Wählerschaft sicher sein. Linke Protestwähler hatten sich Umfragen zufolge zuletzt auch der AfD zugewandt. Die Linke ist im Zwiespalt: Macht sie sich geschmeidiger und weniger radikal, verliert sie an Zuspruch. Das scheint sie für eine vage Aussicht auf eine Regierungsbeteiligung nicht riskieren zu wollen.

Von unserer Korrespondentin Rena Lehmann