Berlin

Vor dem Kachelmann-Prozess: Das Internet als Pranger

Der am Montag beginnende Prozess gegen Jörg Kachelmann schlägt im Internet hohe Wellen. Für viele stehen Schuld oder Unschuld schon fest. Die öffentliche Vorführung der Beteiligten erinnert an die im Mittelalter verwurzelte Strafe des Prangers. Pranger im Jahr 1732: Der „Wittib Eimmerin“ wird eine außereheliche Geburt zum Vorwurf gemacht, sie wird wegen eines „jüngst zur Welt gebohrnen huren Kindts“ öffentlich vorgeführt.

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Berlin – Der am Montag beginnende Prozess gegen Jörg Kachelmann schlägt im Internet hohe Wellen. Für viele stehen Schuld oder Unschuld schon fest. Die öffentliche Vorführung der Beteiligten erinnert an die im Mittelalter verwurzelte Strafe des Prangers.

Pranger im Jahr 1732: Der „Wittib Eimmerin“ wird eine außereheliche Geburt zum Vorwurf gemacht, sie wird wegen eines „jüngst zur Welt gebohrnen huren Kindts“ öffentlich vorgeführt.

Pranger im Jahr 2010: Dem Wetterexperten Jörg Kachelmann wird Vergewaltigung vorgeworfen. Sein Privatleben wird ebenso wie das der Frau, die ihn beschuldigt, öffentlich ausgebreitet.

Die Prangerstrafe besteht in der öffentlichen Schande, die ein harmonisches Weiterleben in der Gemeinschaft zumindest erheblich erschwert. Die Witwe in Oppenheim am Rhein wurde von den Behörden der Kurpfalz dazu verurteilt, „2 stunden lang die gaigen (zu) tragen“ – dabei wurde man mit Kopf und Händen in einem Brett eingeschlossen und öffentlich zur Schau gestellt. Danach sollte die Witwe aus der Stadt gewiesen werden, wie es das Protokoll des Stadtrats festhält, das heute im Landesarchiv Speyer liegt.

Was beim Pranger in der Kleinstadt Oppenheim der Platz vor dem Rathaus war, ist heute das weltumspannende Internet. „Auch im Falle eines Freispruchs ist Herr Kachelmann öffentlich erledigt“, erklärt der ehemalige Richter Bernd von Heintschel-Heinegg in einem Blog-Beitrag. Dies habe die außergewöhnliche „mediale Spekulationsmaschine“ zu diesem Fall verursacht.

Im Internet wird aber auch die Frau attackiert, die Kachelmann beschuldigt. Ein Schweizer Blog nennt ihren vollen Namen und ihre Adresse, zeigt ihr Foto und spricht von „Rachefeldzügen von frustrierten Frauen“.

In Sozialen Netzwerken wie Facebook wogt die Diskussion hin und her. Viele kritisieren, dass die Persönlichkeitsrechte Kachelmanns verletzt worden seien und stellen die Glaubwürdigkeit seiner ehemaligen Lebensgefährtin massiv in Frage.

„Auch die Anzeigeerstatterin im Fall Kachelmann hat den Schutzanspruch, nicht genannt zu werden, solange sie nicht selbst an die Öffentlichkeit geht“, erklärt der Düsseldorfer Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht, Volker Herrmann. „Die Privatsphäre ist geschützt. Da müssen sich auch Blogs daran halten“, sagt der Jurist. „Bei Einträgen in
Sozialen Netzwerken wie Facebook ist dies allerdings schwieriger zu beurteilen.“

Hier stoßen das Recht auf freie Meinungsäußerung und Persönlichkeitsrechte auf eine Weise zusammen, dass sich nur im Einzelfall klären lässt, welches Rechtsgut übergeordnet ist. Zivil- oder gar strafrechtlich relevant wird es bei falschen Tatsachenbehauptungen, Verleumdungen, Beleidigungen oder Schmähkritik.

Der Kommunikationswissenschaftler Wolfgang Donsbach erklärt, der Pranger habe historisch ein manifestes Bedürfnis des Staates oder der Kirche erfüllt, „indem man Abweichler sanktioniert durch öffentliche Bloß- und Zurschaustellung“. Bei den Zuschauern habe es gleichzeitig ein latentes Bedürfnis gegeben, eine unterschwellige Aggression gegenüber dem Anderen und Fremden auszuleben.

„Die heutige Prangerfunktion haben die Medien übernommen“, sagt Donsbach. Dabei sei die Prangerwirkung im Internet im Vergleich etwa zum Fernsehen bislang noch relativ gering ausgeprägt. „Das versendet sich oft“, sagt der Professor der TU Dresden. „Publizistisch wirksam wird es erst, wenn die anderen Medien das aufgreifen.“

Allerdings hält das Internet alles auf Dauer fest, solange es nicht gelöscht wird. Der Bundesgerichtshof befand im Dezember 2009, verurteilte Straftäter dürften zwar nicht „ewig an den Pranger“ gestellt werden. Die Namen von Straftätern könnten im Online-Archiv eines Rundfunksenders aber weiter genannt werden, auch wenn die Strafe verbüßt sei. Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht habe hinter dem Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit und dem Recht auf freie Meinungsäußerung zurückzutreten.

Inwieweit tatsächlich von einem Pranger gesprochen werden kann, wird von der Justiz sehr zurückhaltend betrachtet. So befand das Oberlandesgericht Stuttgart 2007 in einem Fall zum Persönlichkeitsrecht, dass sich allein aus der weltweiten Verbreitung
keine Prangerwirkung herleiten lasse: „Das Medium Internet bringt es zwar mit sich, dass Äußerungen weltweit und permanent abrufbar und mit Suchmaschinen auch leicht zugänglich sind. Solange es sich jedoch ... um eine sachbezogene Berichterstattung handelt, ist damit keine Bloßstellung des namentlich genannten Klägers verbunden.“

Das Internet als Pranger beschäftigt aus einem ganz anderen Blickwinkel auch die Debatte über die Sicherheitsverwahrung von Straftätern. Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gegen diese Praxis in Deutschland wurde der Vorschlag laut, Name und Adresse der Straftäter im Internet zu veröffentlichen.
Der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Konrad Freiberg, lehnt dies entschieden ab und sagt: „Der Pranger war ein Instrument des Mittelalters und entspricht nicht unseren heutigen rechtsstaatlichen Grundsätzen.“

Peter Zschunke